Klein aber OO-NO

Wie Stress uns im Innersten berührt

Kennen Sie den Zusammenhang zwischen Alfred Nobel, verstörten Kriegsveteranen, einer Salami und einem Dieselmotor? – und was hat das mit unseren Tieren zu tun?

Das Bindeglied (das "missing link") ist klein, es ist gasförmig und dosisabhängig zelltoxisch (giftig). Es wirkt schnell und wird im Körper von Mensch und Tier benötigt und sogar dort selbst gebildet. Es handelt sich um das kleine Molekül Stickstoffmonoxid (weitere, aber ungenaue Namen: Stickstoffoxid oder Stickoxid) mit der chemischen Formel NO. Weltweit vorkommend spielt es eine erhebliche Rolle in natürlichen Funktionsabläufen des Stoffwechsels, aber auch bei deren Störung.

Bei unseren Tieren sehen wir immer häufiger Erkrankungserscheinungen mit vielschichtigen Symptomen (1), die keiner generellen Grunderkrankung zugeordnet werden können. Darunter fallen Symptome, wie zum Beispiel Unverträglichkeiten, immer wiederkehrende Durchfälle, Abmagern, Stoffwechselerkrankung, Hauterkrankungen deren Ursache nicht klar ist, sowie Schmerzen an verschiedenen Stellen im Körper. In diesem Beitrag sollen die grundlegenden Ursachen erläutert werden, wobei diese Grundprinzipien sowohl für das Tier, als auch für uns Menschen gelten. „Hören“ Sie auch mal in sich hinein!

Doch nun zu unserem Bindeglied und der Reihe nach

Alfred Nobel machte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein riesiges Vermögen mit der Erfindung des Sprengmittels Dynamit. Zuvor gab es das Nitroglycerin, dies war allerdings sehr instabil und daher hoch explosiv. Alfred Nobels Bruder Emil kam beim Hantieren mit Nitroglycerin durch eine unkontrollierte Explosion ums Leben. Durch die Vermischung von Nitroglycerin mit Kieselgur (2) konnte Nobel die Transportfähigkeit verbessern, da man zur Auslösung der Detonation nun einen Auslöser (z. B. eine Lunte) für die Initialzündung brauchte. Weil das Dynamit nun besser transportabel war, wurde es in großen Mengen zum Sprengen von Gestein, zum Bau von Tunneln und im Bergbau eingesetzt.

Es war damals schon bekannt, dass Nitroglycerin eine Wirkung auf die Herz-Kreislauf-Funktion hat. Schon 1879 verschrieb der englische Mediziner William Murrell (1853–1912) Nitroglycerin sublingual (3) zur Prophylaxe (4) und Linderung akuter Angina-pectoris-Anfälle (5). Als Alfred Nobel 1896 selbst an einem Herzinfarkt verstarb, hinterließ er sein Vermögen der Nobelpreisstiftung. Was Nobel damals noch nicht wusste: das Molekül Nitroglycerin setzt im Körper Stickstoffmonoxid frei.

Circa 100 Jahre später entdeckten drei Medizinforscher (Furchgott, Ignarro und Murad) einen Stoff, der für die Erweiterung der Gefäße des Herzens, der Arterien und Venen verantwortlich ist (man nannte diesen noch unbekannten Biosignalstoff zuvor „ERF-Gefäß erweiternder Faktor“). Sie fanden heraus, dass es sich dabei um das Molekül Stickstoffmonoxid handelt und bekamen für diese Untersuchungen im Jahr 1998 den Nobelpreis für Medizin.
In weiteren Forschungen zeigte sich, dass NO eine Vielzahl wichtiger Funktionen im Körper innehat:

  1. Enzyme (6), genauer bezeichnet NO-Synthasen (NOS), in den Gefäßzellen (meistens Endothelzellen (7)), produzieren Stickstoffmonoxid, das über Zellmembranen hinweg in die naheliegenden Muskelzellen wandert (diffundiert) und dort eine Relaxation (8) bewirkt, die zu einer Erweiterung der Blutgefäße führt – mit Auswirkungen auf den Blutdruck. Beim Nitrospray wird ebenfalls NO freigesetzt und kann bei einem akuten Gefäßverschluss mit Entspannung der Gefäßwand eine Schädigung des Gewebes aufgrund von Mangeldurchblutung verhindern, z. B. beim Herzinfarkt oder Schlaganfall.
  2. Fresszellen des Immunsystems haben die Aufgabe pathogene (9) Bakterien aufzunehmen und abzutöten. In diesen Zellen wird durch NOS Stickstoffmonoxid gebildet, welches innerhalb dieser Abwehrzellen eine antibakterielle Wirkung hat.
  3. In den Nervenzellen wird NO gebildet und dient dort als Botenstoff zur Erregungsweiterleitung von einer Nervenzelle zur nächsten.
    Diese Botenstoffe werden als "second messenger" bezeichnet.
  4. In den Mini-Energiekraftwerken der Zelle, den Mitochondrien, fungiert NO als Stoffwechselregulator. Es aktiviert und drosselt dort den Sauerstoffverbrauch und greift regulierend in die Zellneubildung oder die Einleitung des natürlichen Zelltodes (Apoptose) ein.

Sauerstoffmangel, Lebensmittelzusatzstoffe, wie Emulgatoren, Stabilisatoren usw., Schwermetalle, viele Chemikalien, Dünge- und Spritzmittelrückstände, aber auch chronische Entzündungen und psychischer Stress sowie Instabilitäten der Halswirbelsäule mit einer dauernden Reizung des Rückenmarks und noch viele andere Faktoren führen zu einer Überproduktion von NO. Diese Überproduktion kann allerdings zum Umschlagen der ansonsten positiven Wirkung ins genaue Gegenteil führen.

Was passiert nun, wenn der Körper zu viel NO aussetzt ist?

Zunächst wird „festgestellt“, dass zu viel NO im Körper vorhanden ist. Bevor nun die zu hohen Mengen NO die Körperzellen schädigen (NO ist wie oben gesagt in größeren Konzentrationen zelltoxisch), fährt der Körper die eigene NO-Produktion herunter. Diese körpereigene Regulation ist aber sehr anfällig gegenüber belastenden Faktoren von außen. Aber was passiert nun wenn die körpereigene NO-Produktion versagt?

  1. Die Gefäßerweiterung kann nicht mehr ausreichend auf äußere Einflüsse reagieren. Durchblutungsstörungen, wie Herzinfarkte, Schlaganfälle aber auch Erektionsstörungen können die Folge sein.
  2. In den Fresszellen wird nicht mehr genug NO produziert, sodass Bakterien zwar noch aufgenommen, aber in den Immunzellen nicht mehr abgetötet werden können. Das Immunsystem ist gestört.
  3. Die Erregungsweiterleitung zwischen Nervenzellen funktioniert nicht mehr richtig. Das Ergebnis sind Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen oder Schwächen in der Gedächtnisleistung.
  4. Wenn durch zu viel NO die Mitochondrienfunktion, d. h. die Energieversorgung der Zellen, heruntergefahren wird, kann dies die Ursache für Burn-outs und psychische Krisen sein.
  5. Wird die Neubildung und der Zelltod nicht mehr richtig geregelt, kann dies eine Ursache für die Entstehung von Tumorerkrankungen (Krebs) sein.

Der Körper hat einen angeborenen und besonderen Schutzmechanismus, der sehr früh in der Evolution angelegt wurde. Man kann ihn unter dem Begriff Stress zusammenfassen. Wenn der Mensch/ das Tier eine Gefahrensituation wahrnimmt, wird Adrenalin ausgeschüttet und der Körper auf Flucht oder Kampf vorbereitet. Die Aufmerksamkeit wird erhöht, die Zellen (z. B. Muskelzellen) werden besser durchblutet. Dies führt zu einer erhöhten Verbrennung von kohlenstoffhaltigen Energieträgern (z. B. Zucker) mit Sauerstoff. Dabei entstehen auch Sauerstoffradikale, die die Eigenschaft haben, sich direkt wieder mit anderen Substraten zu binden. Dazu gehört u. a. das NO und es entsteht ein sehr radikales Molekül mit dem etwas sperrigen Namen „Peroxinitrit“. Die chemische Formel lautet OONO – Sauerstoff (O2) + Stickstoffmonoxid (NO) = Peroxinitrit (OONO).

Es bindet sich direkt, z. B. an Eiweiße. Enzyme und andere proteinhaltige Zellstrukturen und diese werden dadurch in ihrer Funktion gestört. Dies ist der Grund dafür, dass sich Stress negativ auf den ganzen Körper auswirkt. Je nachdem wo die „Sollbruchstelle“ im Körper liegt, kann sich Stress an unterschiedlichen Organen in einer Fehlfunktion als Symptom zeigen. Man bezeichnet die Anfälligkeit für eine Erkrankung als „Prädisposition“. Sie kann genetisch bedingt sein oder aber z. B. durch Fehlernährung, Unfälle oder Krankheiten begünstigt werden.

Wenn eine Maus erfolgreich vor der Katze im Mauseloch verschwunden ist, braucht es einige Zeit, bis der Stress abgebaut ist. Natürlich gilt dies sowohl für unsere tierischen Mitgeschöpfe als auch für den Menschen selbst. Durch eine gesunde Lebensführung mit ausreichender Bewegung kann dem Stress getrotzt werden, sodass dieser durchaus vom Körper kompensiert werden kann. Beim Mensch (und auch bei einigen Tieren in der Obhut des Menschen) wird leider das Instrument Bewegung zum Stressabbau zu wenig genutzt. Die Folge: Der Stress „verbleibt“ im Körper.

Auch die Ernährung spielt beim Stressabbau eine entscheidende Rolle, da der Körper über die sog. Antioxidative-Kapazität verfügt. Radikale abbauende Systeme schützen die Zelle vor Schäden. Vitamine, Enzyme und Coenzyme, wie Mineralstoffe und Spurenelemente sind Bausteine der antioxidativen, zellulären Schutzmechanismen. Um allerdings ein durch Peroxinitrit geschädigtes Proteineiweiß ersetzen zu können, muss es zunächst abgebaut und dann durch neue, funktionsfähige Eiweiße ersetzt werden. Dies benötigt Zeit und erklärt warum langwierige, chronische Erkrankungen, die stressbedingt sein können, nicht akut und daher schnell geheilt werden können. Um Eiweiße (die Bausteine der Zelle) ersetzen zu können, ist eine ausreichende Versorgung der Zelle mit Aminosäuren notwendig.

Da wir jetzt die Zusammenhänge kennen, können wir die Eingangsfrage beantworten: Das Missing link ist das Stickstoffmonoxid.

  1. Alfred Nobel steht für das Nitroglycerin, welches NO freisetzt und die Gefäße im Körper weitet um die Durchblutung der Gefäße zu steuern.
  2. Die Salami ist eine Dauerwurst, der Nitritpökelsalz zugesetzt wird. Dadurch wird auch hier aus dem Salz NO freigesetzt. Dies führt dazu, dass das mikrobielle Wachstum in der Wurst unterdrückt wird und die Wurst länger haltbar ist. Nebenbei bemerkt erhält die Salami bei dieser Konservierung ihre beständige appetitlich rote Farbe. Ein vermehrter Verzehr von Dauerwürsten kann allerdings zu einer negativen Beeinflussung der Magen-Darm-Mikrobiota (10) führen.
  3. Die Kriegsveteranen stehen für die Erklärung der Funktion des NO an der Nervenzelle. Im ersten Weltkrieg führte die Angst und der Stress im Trommelfeuer, der Hunger oder auch der Schmerz zur Ausbildung der sog. Zitterkrankheit, die der Parkinson´schen Erkrankung sehr ähnelt und das Symptom der unkontrollierten Muskelerregung zeigt. Dieses Phänomen wurde von Prof. Martin Pall auch bei Irak-Soldaten in seinem beachtenswerten Buch „Explaining Unexplained Illnesses“ (Die Erklärung unerklärlicher Erkrankungen) beschrieben. In seinen Ausführungen bringt er auch Erkrankungen, wie Fibromyalgie, das chronische Müdigkeitssyndrom, multiple chemische Sensitivität und viele weitere Erkrankungen in den Zusammenhang mit dem sog. Nitrosativen-/Oxidativen-Stress.
  4. Die zunehmende Mobilität des Menschen führt durch erhöhte Konzentration im Straßenverkehr, wie auch durch vermehrten Ausstoß von Stickoxidradikalen beim Verbrennungsprozess in Diesel- oder Benzinmotoren in die Luft zur Belastung des Körpers und der Umwelt – ein Problem dem wir uns – meiner Meinung nach – nicht mehr entziehen können.

Das oben gesagte gilt für uns Menschen und unsere Tiere gleich.

Zum Glück bestehen Möglichkeiten einige Arten von Stress zu vermeiden, zu reduzieren oder abzubauen, zum Beispiel durch angemessene Bewegung und eine lebensförderliche Ernährung und Lebensführung. Die Natur weiß den Weg.

Dr. Jürgen Neuhaus, Tierarzt und Mikrobiologe

Glossar:

(1) Symptom: Anzeichen einer Erkrankung oder Verletzung
(2) Kieselgur: Mehl aus fossilen Kieselalgen
(3) Sublingual: unter die Zunge
(4) Prophylaxe: Vorsorge
(5) Angina pectoris: Schmerz am Herz durch Mangeldurchblutung
(6) Enzyme: früher Ferment genannt, sind Eiweiße, die Stoffwechselfunktionen regeln
(7) Endothelzellen kleiden die innere Schicht der Gefäße aus
(8) Relaxation: Entspannung
(9) pathogene: krankmachende
(10) Mikrobiota: bezeichnet die Gesamtheit der Bakterien im Darm

31.01.2018

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