Der Psychopath auf Samtpfoten

Wenn Katzenverhalten krankhaft wird

Verehrt, verwöhnt, verkannt – im täglichen Miteinander geben uns unsere Katzen so manches Rätsel auf. Nicht immer lässt sich die Frage nach dem Warum beantworten:
Warum verhält sich unser geliebter Stubentiger in einer bestimmten Weise? Warum wird die Katze verhaltensauffällig? Was bringt sie mit ihrer plötzlichen Unsauberkeit, ihrem Putzzwang oder ihrem Erbrechen zum Ausdruck? Ist sie krank oder hat eine Veränderung in ihrem Alltag stattgefunden, die sie nicht verarbeiten kann? Was können wir tun, um der zarten Katzenseele zu schmeicheln?
Ein Blick hinter die Kulissen lohnt: Denn was die Katze als Verhaltensstörung zum Ausdruck bringt, ist in vielen Fällen der verzweifelte Versuch, eine körperliche Problematik zu artikulieren.

Häufiger als bei anderen Tierarten sind viele Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten der Katze mit dem Adjektiv psychogen versehen – „von der Psyche verursacht“. Was so komplex und bedeutungsträchtig klingt, ist jedoch in vielen Fällen ein Anlass, Krankheitsbilder nicht mehr zu hinterfragen, sondern sie einzig und allein der Empfindsamkeit unserer charakterstarken Samtpfoten zuzuschreiben.
Das Resultat: Zu viele Katzenpatienten verlassen die Tierarztpraxis mit Psychopharmaka, Bachblüten und anderen „Stimmungsaufhellern“ sowie dem Ratschlag, einen Verhaltenstherapeuten zu konsultieren, die Lebensbedingungen zu ändern sowie einen gemeinsamen Lebensrhythmus zu finden, der Katz und Mensch gleichermaßen zufrieden stellt. Zu kurz kommt hier der ganzheitliche, medizinische Blick.

Zwar dürfen wir als Katzenhalter uns glücklich schätzen, zum Kreis der Auserwählten zu gehören, die von ihrer Majestät Felis silvestris catus zum königlichen Dosenöffner und Toilettensäuberer ernannt wurden – wir sollten aber aufhören, unsere Katzen zu hochkomplexen Wesen zu psychologisieren, die uns mit jeglicher Unart zu dominieren und zu tyrannisieren versuchen. Auch eine Katze versucht, sich in eine Familienstruktur zu fügen und ein Mindestmaß an Kommunikation aufzubauen, was ihr, je nach Charakter, subtil gelingt oder auch den Einsatz des berühmten Zaunpfahls erfordert. Zu Letzterem zählen die Verhaltensauffälligkeiten, die uns mit der Nase auf ganz spezifische Problemstellungen stoßen sollen.

Übertriebene Fellpflege: Die Leckalopezie

Katzen gelten im Allgemeinen als sehr reinliche Tiere. Manche von ihnen jedoch zeigen ein geradezu zwanghaftes Leck und Putzverhalten, das darin gipfelt, dass sie sich das Fell bevorzugt am Rücken, symmetrisch an den Flanken und im Innenschenkelbereich ausrupfen. Die Haut selbst weist dabei zunächst keine Irritationen auf, wenngleich das intensive Belecken oberflächliche Verletzungen und Entzündungen hervorrufen kann.

Bedauerlicherweise wird die Diagnose „psychogene Leckalopezie“ schon häufig dann gestellt, wenn die dermatologische Untersuchung auf Parasiten, Pilze und andere Krankheitserreger ergebnislos war oder entsprechende Therapieversuche a priori wirkungslos blieben. Bevor der Patient nun jedoch als „verhaltensgestört“ entlassen wird, lohnt sich die Investition in eine umfassende Ausschlussdiagnostik: In vielen Fällen steht hinter dem Putzzwang der Katze eine simple organische Erkrankung, die sich durch Juckreiz oder Schmerzen bemerkbar macht; so sollte beispielsweise untersucht werden, ob bei der immer kahler werdenden Katze eine Reizung der Harn- oder Geschlechtsorgane vorliegt, die Brennschmerzen verursacht und die Katze zum obsessiven Belecken der entsprechenden Körperregionen veranlassen kann.

Ein anhaltender Putzzwang kann bei der Katze auch durch eine Futtermittelunverträglichkeit hervorgerufen werden:
Besonders Trockenfutter und andere stark verarbeitete Futtermittel führen zu chronischen Reizungen nicht nur des Magen-Darm-Trakts, sondern auch der Haut und Schleimhautstrukturen. Eine Therapiemaßname sollte es daher sein, Convenience-Nahrung pauschal vom Speiseplan zu streichen und stattdessen die Umstellung auf ein sehr hochwertiges Nassfutter oder idealerweise BARF (biologisch artgerechte Rohfütterung) zu wagen und die entsprechenden Veränderungen zu beobachten. Bei Katzen gehen Futtermittelunverträglichkeiten sehr häufig auch mit wiederkehrendem Erbrechen, einem aufgetriebenen Bauchraum sowie generellen Fellveränderungen einher – hier sollte unter Anleitung eines ganzheitlich ausgebildeten Therapeuten eine Ausschlussdiät in Betracht gezogen werden.

Hysterie und Selbstverstümmelung

Das Feline Hyperästhesie Syndrom

„Verrückte fünf Minuten“ kennt fast jeder Katzenhalter von seinem Tier. Werden damit Phasen besonders wilden Tobens oder Spielens bezeichnet, ist dies natürlich nicht weiter bedenklich. Beginnt die Katze aber, hektisch ihr Fell zu belecken, vor sich selbst davon zu springen oder ihren eigenen Schwanz zu attackieren, sollte an das Krankheitsbild der Felinen Hyperästhesie, auch Rolling Skin Syndrom, gedacht werden.

Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine fortschreitende neurologische Erkrankung. Diese beginnt meist harmlos und unspezifisch mit einer gesteigerten Nervosität und Berührungsempfindlichkeit des Fells. Die Katze kann im weiteren Verlauf rhythmische Kontraktionen der Rückenmuskulatur und aggressive Schwanzbewegungen entwickeln, die anfallsartig auftreten und die Katze hektisch und reizbar werden lassen. Je weiter die Erkrankung fortschreitet, desto aggressiver kann sich der Patient gegenüber seinem Halter und seinen Artgenossen zeigen. Diese Aggression kann sich auch gegen den Patienten selbst richten, indem er beispielsweise seinen Schwanz fängt, sich in ihm verbeißt und sich dabei selbst wiederholt so verletzt, dass einzelne Schwanzglieder amputiert werden müssen.

Das Feline Hyperästhesie Syndrom ist eine Erkrankung unbekannter Genese; eine einheitliche Krankheitsursache konnte bislang nicht gefunden werden, jedoch sind Zusammenhänge mit der Verabreichung neurotoxischer Arzneimittel wie beispielsweise chemischer Wurmkuren und Präparaten zur Ektoparasiten-Abwehr (Spot-ons, Halsbänder, Kautabletten) sowie hochverarbeiteter Industrienahrung abzuleiten.
Im Rahmen der Diagnostik sollten anfallsartige Schmerzzustände beispielsweise nach Verletzungen der Wirbelsäule und der Weichteile, Krampfgeschehen etwa des Verdauungstrakts sowie fokale epileptiforme Anfälle ausgeschlossen werden. Um das Krankheitsbild nachhaltig therapieren zu können, ist es essenziell, mögliche Auslöser zu vermeiden, geschädigte Körperstrukturen zu entlasten und dem Körper Möglichkeiten und Mittel zur Regeneration zur Verfügung zu stellen, beispielsweise indem man B-Vitaminen supplementiert, um die Nervenfunktion zu schützen und zu regenerieren.

Plötzliche Unsauberkeit

Hilfe, meine Katze ist „angepisst“!

Der „Protestpinkler“ ist der Inbegriff für den starken Willen und die Ausdruckskraft unserer Katzen. Und tatsächlich artikulieren manche Miniaturtiger mit gezielten Harnspritzern oder unmissverständlichen Pfützchen, dass sie an unserem Besuch, an Veränderungen im Tagesablauf oder auch an bestimmten Erziehungsversuchen unsererseits so gar keinen Gefallen gefunden haben.

Eine plötzlich unsaubere Katze jedoch gleich als Haustyrannen abzustempeln, wird ihrem Bemühen um Kommunikation nicht gerecht: In vielen Fällen bringt die Katze, indem sie auf unsere Schuhe, Teppiche oder Bettdecken uriniert, nämlich keine Laune oder Unpässlichkeit zum Ausdruck, sondern weist uns auf eine Harnwegserkrankung hin. Ehe der Halter auf die Problematik aufmerksam wird, können Nieren- und Harnwegsleiden der Katze über lange Zeit in einem okkulten, sprich symptomlosen oder symptomarmen Stadium gewesen sein. Aus dem Augenwinkel wurde womöglich beobachtet, dass der Stubentiger etwas mehr trinkt oder häufiger mal recht kleine Urinmengen absetzt. Die Ursache hierfür können unter anderem Harnkristalle sein, die sich ablagern, zu chronischen Reizungen der Blasenschleimhaut und der Harnröhre führen und einen Brennschmerz beim Wasserlassen verursachen, den wiederum die Katze mit ihrer Toilette oder der Einstreu verbindet. Das schlaue, sensible Tier versucht fortan, diesen Schmerz zu umgehen, indem es sein Katzenklo meidet und sich stattdessen auf weichen Unterlagen wie beispielweise Textilien Erleichterung verschafft.
Gelingt es ihr nicht, die Aufmerksamkeit ihres Halters auf ihre körperliche Problematik zu lenken, wird sich die Katze immer neue „Lösungen“ einfallen lassen, bis sie womöglich auf das Kopfkissen oder die Bettdecke ihres Halters uriniert.

Im Übrigen verhält es sich ähnlich, wenn die Katze mit einem Mal demonstrativ vor ihre Toilette kotet: Wenngleich es für so manchen Katzenhalter mit einiger Überwindung verbunden sein mag, so sollte er doch einmal die Beschaffenheit des „großen Geschäfts“ unter die Lupe nehmen. Wie ist die Konsistenz – flüssig, breiig, gut geformt oder vielleicht sogar zu fest? Wie ist der Kot gefärbt, lässt sich ein Überzug feststellen oder sind Einschlüsse erkennbar? Und ja, Augen zu und durch: Riecht der Kot der Katze plötzlich anders, intensiver vielleicht oder säuerlicher.

Ganzheitlich betrachtet lässt sich aus Form, Farbe und Geruch der Hinterlassenschaften der Katze so manches körperliche Problem ableiten: Handelt es sich um eine sehr dunkle, harte und in sich verdrehte Wurst oder um einige runde Knödelchen, so ist der Kot zu hart und verursacht Schmerzen beim Absatz. Auch hier wird die Katze womöglich den Schmerz mit ihrem Katzenklo oder der Einstreu assoziieren und andere Orte aufsuchen, um sich zu lösen.
Weicher Kot, der intensiv riecht und wie von Luftbläschen durchsetzt zu sein scheint, kann auf Probleme der Darmflora hinweisen. Während gelblich-grüner, schmieriger Kot im Zusammenhang mit Belastungen der Leber und der Galle entsteht, ist er bei Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse häufig fettig und grau verfärbt: Er kann unverdaute Nahrungsbestandteile enthalten und sehr voluminös wirken.
In Darmgeräuschen, Kot von wechselnder Konsistenz und starkem Geruch bringt der Verdauungstrakt der Katze oftmals eine Nahrungsmittelunverträglichkeit zum Ausdruck, die in Fehlgärungen und chronischen Reizzuständen resultiert.

Wiederkehrendes Erbrechen

Wenn das Katzenleben „zum Kotzen“ ist

Bei ernährungssensiblen Tieren sehen wir uns des Öfteren mit Verdauungsproblematiken konfrontiert, so dass sich die Frage nach dem richtigen Futter als wahrer Spießrutenlauf erweisen kann: Mal stürzt sich der Stubentiger auf den Napf und kann gar nicht genug bekommen, mal wendet er sich mit vorwurfsvollen Blicken ab oder versucht das Futter sogar angewidert im Küchenboden zu vergraben. Katzen sind Feinschmecker – und zeigen es uns mitunter recht deutlich, wenn wir uns bei der Wahl des Futters mal wieder vergriffen haben.

Wenn keine Fehlprägung und keine Erziehungsproblematik hinter der Futterverweigerung steckt, wenn der Hungerstreik chronisch wird oder sich alternativ Erbrechen einstellt, sollten wir uns von dem Irrglauben verabschieden, dass unsere Katze ihre Fresslust nur als Machtinstrument missbraucht. Zeigt die Katze weitere Symptome wie wechselnde Kotkonsistenzen, einen aufgeblähten und schmerzhaften Bauch und verliert sie an Gewicht, sollte zwingend ein Therapeut zu Rate gezogen werden – denn dieser Krankheitskomplex bezeichnet längst keine psychische „Unpässlichkeit“ mehr, sondern steht beispielhaft für eine ganze Reihe von Magen-Darm-Erkrankungen, die mitunter gravierende Folgen nach sich ziehen können. Dazu zählen unter anderem Futtermittelunverträglichkeiten, Magenschleimhautreizungen, chronische Entzündungen des Dünn- und Dickdarms, Bauchspeicheldrüsenerkrankungen und vieles mehr.

Die Katzensprache: Ein Buch mit sieben Siegeln?

So intelligent und ausdrucksstark sie auch sein mag – eine Katze hat nur wenige Möglichkeiten, ihren Menschen auf eine Problemstellung hinzuweisen. Ihre Konsequenz: Verhaltensauffällig werden! Und damit die Aufmerksamkeit unmissverständlich dorthin zu lenken, wo es weh tut. Bevor wir unserer Katze also einen arttypischen Sprung in der Schüssel attestieren, lohnt sich der Blick auf das scheinbar banale Körperliche. Häufig steht die Verhaltensauffälligkeit nicht für sich allein, sondern ist in einen Symptomenkomplex eingebettet – und diesen sollten wir wahrnehmen, Rückschlüsse ziehen, die entsprechenden diagnostischen Maßnahmen ergreifen und Therapien einleiten. Eine voreilige Psychologisierung unserer Hauskatze hilft weder dem Patienten, noch seinem Halter, geschweige denn dem Therapeuten selbst. Verbirgt sich hinter der Unsauberkeit, dem Putzzwang, der Selbstverstümmelung oder auch dem „Stressmagen“ eine manifeste körperliche Erkrankung, so wird weder Beschäftiungstherapie noch die Gabe von Psychopharmaka, weder die Änderung der Lebensumstände oder die Weitervermittlung des betroffenen Tieres zielführend sein. Der Blick über den Tellerrand, der Mut sowie der Willen, vorschnelle Meinungen und Urteile zu hinterfragen, sowie die Bereitschaft, neue Wege einzuschlagen, stehen am Anfang eines respekt– und verantwortungsvollen Miteinanders von Mensch und Tier.

Franzisca Flattenhutter, Tierheilpraktikerin

01.12.2018

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