Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 1
Die Grasnarbe ist lückig geworden. Einfach in den Landhandel und Saatgut kaufen? Warum nicht. Oder doch besser was Spezielles? Zu den häufigsten Fragen, die mir seit Jahren gestellt werden, gehört die Frage, wo Pferdehalter geeignetes Saatgut herbekommen und welches Saatgut wo hingehört. Im Frühjahr kommen die meisten Anfragen.
Die Pferdehalter sind es gewöhnt, ein Produkt empfohlen oder verkauft zu bekommen. Ich arbeite für keine Saatgutfirma und es existiert auch keine Mischung, die ich pauschal empfehlen möchte. Wenn ich dann (manchmal schon leicht genervt) zu erklären versuche, warum ich genau das nicht tue, also ein Produkt empfehlen oder selber verkaufen, scheinen manche sogar zu glauben, ich würde ihnen irgendetwas vorenthalten. Das nächste Frühjahr kommt mit großen Schritten, und so ist es wohl an der Zeit, einmal ganz grundlegend aufzuzeigen, wie es mit dem angebotenen Saatgut und den Anforderungen der Standorte und – selbstverständlich – der Pferde so steht. Daher diese Artikel-Serie zum Thema Saatgut in der Pferdehaltung.
Gras für Milchkühe
Ich habe in vielen Veröffentlichungen, z. B. in meinem Buch Pferdeweide – Weidelandschaft (Neue Brehm-Bücherei, 2005) darauf aufmerksam gemacht, wie energiereich moderne Wirtschaftsgräser sind, und dass es nicht möglich ist, ein Robustpferd dieses Futter abarbeiten zu lassen. Für die Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland e.V. habe ich das Heft „Pferd & Heu“ geschrieben (kostenfrei unter Pferd & Heu) und dort recht genau erklärt, was Pferde brauchen und was nicht.
Während der Landwirt überlegt, ob seine Kuh mit einer Milchleistung von 7000 Litern Milch im Jahr mit 21 kg getrocknetem Futter aus 50% Heu (oder entsprechend MEHR feuchter Silage) und 50% Kraftfutter genug zu fressen hat, geht der Robustpferdehalter mit einer Handvoll Futter zu seinem Tier und überlegt, ob es davon wohl Hufrehe erleiden könnte. Moment mal, Ende der 70er standen aber Milchkühe und Pferde oft noch gemeinsam auf einer Weide! Was ist geschehen?
Die Frage „Wieviel Futter benötigt die 7000-Liter-Kuh?“ ist eine typische Prüfungsfrage bei Landwirtschaftslehrlingen. Ich habe das an der Landwirtschaftskammer erlebt und auch die Ausführungen des Direktors nicht vergessen, dass die ersten dieser Hochleistungskühe verhungert sind, da bei der genetisch bedingt einsetzenden Milchleistung nach der Kalbung anfangs nicht klar war, wie man diese Kühe ernährt. Damals waren das Heu bzw. die Silage sowie das Kraftfutter nicht energie- und eiweißreich genug. Die Milchproduktion zehrte die Kühe so sehr aus, dass sie verhungerten. Daher wurden Gräser gezüchtet und angesät, die extrem hohe Energiegehalte aufweisen (Hochzuckergräser allgemein, Hochzuckergräser der Fa. Planterra, Hochzuckergräser der Fa. Steinach) und sich hervorragend silieren lassen. Gleichzeitig begann die massive Einfuhr von eiweißreichen Sojabohnen als Viehfutter.
Ausschuhen in fünf Tagen auf allen vier Hufen – durch Fruktan?!
Ich glaubte wirklich fest an die Fruktan-Insulin-Hypothese. Bis ich im Jahr 2007 mit einem heftigen Vergiftungsfall konfrontiert wurde. Die „freizeit im sattel“ (fs) veröffentlichte auf den ausdrücklichen Wunsch des Geschädigten hin in der Ausgabe 07/2007 auf Seite 7 folgende Notiz:
„Rehetod durch Pilzgift im Gras?
24 Stunden nach dem Umstellen auf eine neue Weide plötzlich Fieber, Taumeln, Muskelzittern und Krämpfe, wenig später eine schwere Hufrehe, die innerhalb von fünf Tagen zum Ausschuhen führte – Westerntrainer Frank Mierwaldt erlebte im April einen regelrechten Albtraum. Auf der Suche nach den Ursachen für den Tod zweier Pferde lernte er die Biologin und fs-Autorin Dr. Renate Vanselow kennen, die einen Zusammenhang zwischen den Vergiftungssymptomen und den auf der Koppel wachsenden Hochleistungsgräsern für möglich hält.
„Diese Gräser werden auf Resistenzen gezüchtet. Dabei können im Graskörper lebende Pilzsymbionten die Halme vor Insekten und Würmern schützen“, erklärt Dr. Vanselow. „Das Problem ist aber, dass die Pilze unter Klimastress wie im April mit seiner extremen Trockenkeit Gifte bilden. Jede Vergiftung kann Hufrehe auslösen. Im vorliegenden Fall könnte das vom Gras Lolium perenne stammende Gift Lolitreme die Ursache sein."
Ein Zusammenhang zwischen Lolitrem und der Vergiftung wird im aktuellen Fall gerade geprüft.“
Die Pferde hatten auf einer Weide gestanden, die zwei Jahre zuvor für Pferdehaltung neu angesät worden war, offensichtlich mit der Standardmischung GIIo (Grünland Mischung Nummer zwei ohne Klee).
Ich recherchierte im Internet zwei Monate lang unermüdlich. Überrascht musste ich feststellen, dass im Prinzip alles bekannt und frei zugänglich ist. In einer Veröffentlichung (Yoder & Fournier 2002) hieß es unter dem Foto eines erkrankten Rindes: „Figure 2. Laminitis, swelling of the hind feet and slumping are some symptoms of the effects of ergovaline on animals.” („Abb 2. Klauenrehe, Schwellung der hinteren Gliedmaßen und Ausschuhen [Anm. Vanselow: der Hornkapseln] gehören zu den Symptomen der Wirkung von Ergovalin auf Tiere.“) Bei den Autoren handelte es sich um Calvin Yoder, Futterexperte (Forage Specialist), AAFRD, Spirit River und Brad Fournier, Rinderexperte (Beef Specialist), AAFRD, Fairview.
Untersuchungen, die diese Theorie bestätigen, gibt es keine?
Wenn ich auf die Zusammenhänge zwischen Gräsergiften und Stoffwechselproblemen wie Hufrehe (Laminitis) hinweise, dann bekomme ich sehr oft zu hören: „Untersuchungen, die diese Theorie bestätigen, gibt es keine.“
Bereits 1995 veröffentlichte eine Arbeitsgruppe aus den USA (Rohrbach et al. 1995) eine sehr sorgfältige statistische Auswertung über den Zusammenhang des Auftretens von Hufrehe bei Pferden und der Verwendung von Rohrschwingel in der Pferdeernährung. Der damals noch Acremonium coenophialum genannte Endophyt wird heute unter dem Namen Neotyphodium coenophialum geführt. Diese Studie hat also vor 26 Jahren in der amerikanischen Zeitschrift für Forschung in der Tiermedizin die Zusammenhänge zwischen der Einlieferung von Pferden mit Hufrehe in Tierkliniken und dem Futteranbau im Umkreis der Tierkliniken untersucht, weil bereits damals der begründete Verdacht im Raum stand, dass die Endophytengifte für die Erkrankungen verantwortlich sein könnten. Die Studie kommt zu dem Schluss: „Die hier vorgelegten vorläufigen Ergebnisse stützen die Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen der Aufnahme von endophyteninfiziertem Schwingel durch Pferde und der Entstehung von Hufrehe.“
„Die vorläufigen Daten sprechen dafür, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Aufnahme von endophyteninfiziertem Schwingel durch Pferde und einem erhöhten Risiko des Auftretens von Hufrehe; Studien auf Einzeltier-Ebene sind angezeigt, um die Hypothese zu festigen.“
In den USA ist Rohrschwingel ein wichtiges Wirtschaftsgras, in Deutschland ist es das Deutsche Weidelgras. Der Endophyt von Rohrschwingel produziert Ergotalkaloide (Mutterkorngifte) und Loline. Loline können sich auch im Wiesenschwingel finden, wenn er mit seinem Endophyten Neotyphodium uncinatum infiziert ist. Wiesenschwingel ist bisher nicht in den Verdacht geraten, Hufrehe auszulösen. Deutsches Weidelgras hingegen schon.
Ist Deutsches Weidelgras mit seinem Endophyten Neotyphodium lolii infiziert, kann es neben Lolinen und Lolitremen auch erhebliche Mengen an Ergotalkaloiden enthalten. Rohrschwingel und Deutsches Weidelgras haben also die Ergotalkaloide gemein.
Die damals angemahnten Untersuchungen auf der Ebene von Einzeltieren sind in großem Stil bei wirtschaftlich interessanten Weidetieren wie Rindern und Schafen erfolgt, weniger bei Pferden. Wer sich für die enormen Auswirkungen von Ergotalkaloiden auf tierische Gewebe, insbesondere die Bauchspeicheldrüse (von Bedeutung bei Diabetes) und die Hirnanhangdrüse (von Bedeutung beim Cushing Syndrom), interessiert, dem sei der hervorragende, frei zugängliche Übersichtsartikel von Strickland et al. aus dem Jahr 2011 empfohlen (eine deutschsprachige Zusammenfassung wichtiger Teile der Veröffentlichung von Strickland bietet der Fachartikel „Ergotismus – Antoniusfeuer: Ein historisches Problem hoch aktuell“, Vanselow 2015).
Übrigens führen Ergotalkaloide bei Säugetieren allgemein zum Verlust von (Finger-) Nägeln, Krallen und Hornkapseln (Klauen, Hufen), wie man online auf der Homepage der Tiermedizin an der Cornell Universität (USA) nachlesen kann. Wie so etwas beim Rind aussieht (komplettes Ausschuhen der Klauen - Fotos) zeigen Parsons und Bohnert in ihrem Artikel “Health Concerns with Feeding Grass-Seed Straw Residues”.
Fütterungsversuche mit dreijährigen Quarter Horses, die 2012 veröffentlicht wurden (Douthit et al.), zeigten, dass ein geringer Gehalt an Ergotalkaloiden (280 ppb Ergovalin) nach wenigen Wochen zu Fühligkeit und Lahmheit an den Vorderbeinen führt. Die Autoren empfehlen, Pferde auf Flächen mit erhöhten Giftgehalten täglich nur stundenweise grasen zu lassen, da das Ausmaß der Lahmheit deutlich war.
Weitere Informationen über Endophytengifte und ihre Wirkung auf Pferde finden Sie auf den Seiten der artgerecht-tier:
Vergiftungen von Pferden durch Gräsergifte
Giftige Gräser - Wissenschaftsgeschichte
Hirsutismus
Eine nüchterne Rechnung
Wehrhafte Gräser
Häufige Giftpflanzen auf Pferdeweiden
Parasitismus
Urteilen Sie selber, ob es Belege gibt oder nicht. Doch zurück zum Thema Saatgut.
Was sollen wir mit der Natur, solange sie nicht befestigte Anlage ist?
Schauen wir uns erst einmal an, was wir Pferdehalter so tun mit unseren Weiden. Berechtigte Angst vor Wohlstandserkrankungen führt zu
- kleinen, „kontrollierbaren“ Flächen
- hohen Besatzdichten (dem Gras Herr werden)
- tiefem Verbiß (wenig Futter aus Angst vor Verfettung)
- hohem Vertritt („grüner Auslauf“, Trampelweiden)
- Bodenverdichtung und Staunässe
- Zerstörung der Vegetation
- Nutzung von Reparatursaat
- und ganz unbemerkt zur Selektion auf die Härtesten und Giftigsten ...
Pferdehalter vernichten dabei oft wertvolles traditionelles Dauergrünland mit hoher Artenvielfalt. Solche Flächen sind in der Milchviehhaltung nicht von Interesse. Sie befinden sich oft auf nicht ackerfähigen Böden, als zu feucht und zu tiefgründig, Hanglagen, felsig oder anderes. Da die Pferdehalter nicht bemerken, was sie tun, aber mit einer Vollkasko-Mentalität aufgewachsen sind (macht nichts, kauf dir was Neues), gehen sie in den Landhandel und „reparieren“ für wenig Geld den Schaden – ohne zu bemerken, dass die zerstörte traditionelle Futtergrundlage nun durch eine völlig andere ersetzt wird. Gibt es danach gesundheitliche Probleme, werden Bewegungslaufställe und Paddock-Trails auf Kosten des Graslandes angelegt. Die Pferdehaltung verabschiedet sich mit diesen Haltungssystemen zunehmend aus der Weidehaltung nach dem Motto: Was sollen wir mit der Natur, solange sie nicht befestigte Anlage ist?
Zugegeben, eine Anlage zu warten ist um ein Vielfaches einfacher, als ein lebendiges Ökosystem zu steuern. Grasland ist wie ein Organismus zu verstehen, es ist ein Ökosystem. Einen Computer zu bedienen ist ja auch einfacher, als ein Baby zu pflegen, denn Letzteres kommt ohne Bedienungsanleitung auf die Welt und bringt ein Eigenleben mit. Welch schreckliche Überforderung für den modernen Homo computerensis. Die Anlage ist nach Bedienungsanleitung zu warten. Das Grasland entwickelt sich dagegen nach eigenen Gesetzen, und keine Anleitung kann ein erfahrenes Auge für die Zusammenhänge ersetzen, die dem Laien verborgen bleiben.
Eine Frage des Saatguts
Es geht auch anders. Im Frühjahr 2009 musste in einem Offenstall ein sechsjähriger Holsteiner Wallach eingeschläfert werden, mit Hufrehe auf allen vier Hufen. Der Tierarzt vermutete Vergiftung. Bei der gerade zugegebenen Weide handelte es sich um die erste Beweidung einer Neuansaat aus dem dörflichen Landhandel (GIIo, überwiegend Dt. Weidelgras, Wiesenschwingel). Ich konnte keine Giftpflanzen finden, auch keine Verunreinigung der Tränke war feststellbar.
Obwohl die Pferde schon mehrere Tage in das etwa kniehohe, kurz vor der Blüte stehende Gras (Stadium des „Ährenschiebens“ bis „Beginn der Blüte“) durften, waren außer niedergetretenen Pfaden nur an wenigen Stellen geringe Fraßspuren der Pferde an den Spitzen der Gräser zu erkennen, keine Bereiche tiefer abgeweideter Stellen. An einer Seite der Weide unter dem Elektrozaun waren Wildgräser stehen geblieben, ebenso um den Drainage-Gulli herum. Offensichtlich war hier der beauftragte Landwirt mit seinen Geräten nicht näher herangekommen und die ursprüngliche Narbe war stehen geblieben. Diese Wildgräser waren kürzer als Golfrasen abgenagt, so weit die Mäuler unter den E-Zaun reichten. In den Tagen bevor der Holsteiner bewegungsunfähig mit größten Schmerzen auf der Weide stand, war aufgefallen, dass die Pferde vermehrt gelegen hatten. Hatte es das größte und hungrigste Pferd, das am schlechtesten unter dem E-Zaun hindurch fressen konnte, als erstes erwischt? Die Weide wurde sofort gesperrt. Einen Tag später hatte ein Pferd leichte Kolikprobleme, sonst gab es nichts Auffälliges mehr. Die kaum ein Jahr eingesäte Weide wurde umgepflügt und mit anderen Gräsern angesät. Seitdem wird sie problemlos beweidet.
Dienstleistung im Verborgenen
Was könnte hinter den seltsamen Vergiftungsfällen nach der Verwendung von Saatgut stecken? Es gibt nur wenig laienverständliche Fachliteratur über giftige Wirkstoffe in Gräsern, aber hier ist ein deutschsprachiger Fachartikel, den die meisten Pferdehalter problemlos verstehen dürften: Im ForschungsForum der Universität Paderborn (FFP) veröffentlichte in der Ausgabe 03/2000 die Arbeitsgruppe um Prof. Paul ihre Forschung an Pilzsymbionten der Wirtschaftsgräser. Dort auf den Seiten 46 bis 50 erklären die Forscher unter dem Titel „Dienstleistung im Verborgenen - Biologische Gegenspieler in Gräsern und ihre praktischen Anwendungsmöglichkeiten“ gut verständlich, welche Potenziale in diesen Symbionten stecken. Dabei werden auch mögliche Risiken nicht verschwiegen. In der Danksagung ist zu lesen, dass das Projekt vom BMELF und der Gesellschaft zur Förderung der privaten deutschen Pflanzenzucht (GFP) unterstützt wurde. Die Forschung befand sich in einer euphorischen Goldgräberstimmung.
Einer der Mitarbeiter von Prof. Paul war Johannes Reinholz, der seine Doktorarbeit zum Thema „Analytische Untersuchungen zu den Alkaloiden Lolitrem B und Paxillin von Neotyphodium lolii und Lolium perenne, in vivo und in vitro“ im Jahr 2000 abschloss. Herr Reinholz erhielt für seine Versuche von Mitarbeitern der Deutschen SaatenVeredlung (DSV) etwa 450 Ökotypen (das sind Sippen einer an bestimmte Umweltbedingungen angepassten Art) von Deutschem Weidelgras (Lolium perenne). Die Ökotypen wurden im Sommer 1993 innerhalb Rumäniens in vier größeren Regionen gesammelt (Carei-Ebene, Transsilvanien, Karpaten, Rumänisch-Moldawien).
Reinholz schreibt: „Ziel der Neotyphodium-Forschung muss es also sein, sich die positiven Auswirkungen der Neotyphodium/Gras-Symbiose (höherer Trockenmasse-Ertrag, Schadinsektenresistenz etc.) zu Nutze zu machen, und die negativen Begleiterscheinungen (Weidetiererkrankungen) zu eliminieren. Denkbar und auch schon in Übersee, in den USA und Neuseeland praktiziert, ist der Einsatz von neotyphodium-besiedelten Gräsern im Rasensektor. Der Einsatz von neotyphodium-besiedelten Rasen mit einem hohen Alkaloid-Gehalt auf Golf-, Fußballplätzen sowie auf öffentlichen und privaten Grünflächen im Bereich der Freizeitgestaltung birgt keinerlei Gefahren. In diesem Bereich werden die negativen Begleiterscheinungen durch den Verwendungszweck eliminiert. Auf der anderen Seite sind gerade in diesem Bereich widerstandsfähige Gräser von hohem Nutzen.“
Das Dilemma
Die Wirkstoffe der Endophyten machen die Wirtsgräser widerstandsfähig (resistent) gegen Stress wie Dürre, Insektenplagen oder allgemein Überweidung. Diese Wirkstoffe sind aber auch verantwortlich für Vergiftungen von Weidetieren. Ohne Pilzsymbiont sterben die Gräser im schlimmsten Falle bei Dürre ab und der Landwirt verliert seine Futtergrundlage. Der goldene Schnitt wäre eine Resistenz ohne Weidetiervergiftung. Aber von nichts kommt nichts, sprich: Ohne Wirkstoffe keine Resistenz.
Beim Deutschen Weidelgras (Lolium perenne) kann der Pilz eine Vielzahl von Wirkstoffen herstellen. Erfolgreiche Züchtungen resistenter Gräser ohne die verdächtigen Wirkstoffe ergaben mehrfach „sichere Endophyten“, die zu völlig unerwarteten neuen Vergiftungen führten: Die Resistenz entstand hier durch andere Wirkstoffe, die zuvor nur in sehr geringen Mengen gebildet wurden. Die ausgewählten Endophyten konnten also nur deshalb die gewünschte Widerstandskraft ohne die bekannten Gifte zeigen, weil sie stattdessen extrem hohe Gehalte anderer Wirkstoffe produzierten – mit bisher nicht beschriebenen Weidetiervergiftungen im Gefolge.
Die bekannteste ist vielleicht das Equine Schwingelödem (Equine Fescue Oedema), verursacht durch den erwünschten Wirkstoff N-acetyl-Norlolin, produziert vom patentierten Endophyten MaxP der Fa. Wrightson Seeds in Zucht-Rohrschwingel. Ein anderes Beispiel ist Deutsches Weidegras das mit dem Endophyten „Endosafe“ infiziert wurde, der kein Lolitrem B produziert. Leider zeigte sich später, dass dieser Weidelgras-Endophyt besonders hohe Gehalte an Ergovalin herstellt und somit bei Schafen zur „Fescue Toxicosis“ (Schwingelvergiftung) führte. Später kamen Endophyten wie AR1 in den Handel, gefolgt von AR37 und dem patentierten Endophyten MaxP (siehe „Wrightson Seeds“ oder „Barenbrug“).
Das Saatgut für europäische Weiden
Obwohl auch die europäischen Saatgutproduzenten DSV in Deutschland und DLF-Trifolium in Dänemark intensiv an Gräserendophyten forschen, erhält man bei den europäischen Firmen fast keine Informationen über den Infektionsgrad und die Endophyten ihrer Gräser. Allerdings machte die stellvertretende Marketingleiterin der DSV, Frau Marion Nölkensmeier, im Jahr 2008 aufgrund einer hartnäckigen Anfrage hin folgende schriftliche Aussage:
„Hiermit bestätigen wir Ihnen, dass die Gräsersorten, die von uns in den COUNTRY Horse-Mischungen eingesetzt wurden, im eigenen Haus auf Endophyten kontrolliert und kein Besatz festgestellt wurde.“
Bedenkt man, mit welchem Elan die DSV wilde Gräserendophyten gesammelt und Forschung finanziert hat, dann lässt diese Aussage aufhorchen.
Die konventionellen Saatgutmischungen für deutsches Grasland enthalten fast ausnahmslos Weidelgräser und Schwingel. Angenommen dieses Saatgut ist frei von möglicherweise giftigen Endophyten – dürfen wir uns sicher fühlen?
Nein, denn Getreideblattläuse, die an Gräsern saugen, übertragen bei dem Saugakt Gräserendophyten (Dobrindt et al. 2009). Blattläuse gehören zum Luftplankton. Sie werden vom Wind in großer Höhe sogar von Kontinent zu Kontinent verdriftet. Kein Weidezaun hält sie auf. Wenn in der Nachbarschaft Rasengräser auf Bolzplätzen, in Vorgärten oder auf Golfgreens angesät wurden, können diese mit giftigen Endophyten infiziert sein. Gärten und Parks sind gesetzlich privilegiert. Jeder darf im Garten pflanzen und säen, was ihm beliebt. Auch giftigste Gräser als Zierrasen, denn dieser dient nicht der Futterproduktion und unterliegt nicht den strengen Gesetzen für die Landwirtschaft (Sorten- und Saatgutrecht, Saatgutverkehrsgesetz). Erst saugt die Blattlaus am Zierrasen, dann am Futtergras auf der Pferdeweide. Blattläuse gelangen überall hin.
Alternatives Saatgut für Pferdeweiden?
Nun hat deutsches Grasland seit alters her weit mehr zu bieten als Weidelgräser und Schwingel. Unsere Grasländer sind reich an unterschiedlichsten Grasarten. Verzichten wir doch einfach auf die Wirtschaftsgräser für Rinder und Schafe und kreieren unser eigenes Pferdesaatgut. Das kann nicht so schwer sein, oder?
Theoretisch nicht, aber in der Praxis doch. Denn die Nachfrage aus der Pferdehaltung macht bei den Saatgutproduzenten – egal ob Firmen des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) oder des Verbandes deutscher Wildsamen- und Wildpflanzenproduzenten (VWW) – grundsätzlich weniger als 5% aus. Für einen derart geringen Absatz lohnt aber keine neue Entwicklung.
Zwar gibt es Mischungen, die auf die fraglichen Grasarten verzichten, aber diese Mischungen haben ihre Tücken. Verbesserung und Erprobung der Mischungen kostet Geld, das niemand in die Hand nehmen möchte.
Die Saatgutindustrie kann sich ganz entspannt zurücklehnen.
Im Jahr 2015 hatte ich ein Gespräch mit dem Geschäftsführer eines Grassamenproduzenten. Er erzählte, dass man beim Weizen durch Optimierung den Gewinn um 2% steigern könne, die Produktivität beim Grünland dagegen um ganze 20%. Das würde jeden Landwirt beeindrucken. Ich habe ihn auf folgendes hingewiesen:
„Die Nutzung nicht giftiger Endophyten zur Steigerung der Widerstandsfähigkeit von Rohrschwingel und Deutschem Weidelgras ohne nachteilige Wirkungen auf das Vieh ist die neueste Entwicklung in der Herstellung gewinnbringender Futter (…). Diese Strategie hat die mittlere tägliche Gewichtszunahme bei Rohrschwingel um 80% erhöht (…) und um 600% beim Deutschen Weidelgras (…).“ (Zitat aus: Hill et al. 2002)
Ich habe ihm auf den Kopf zugesagt, dass meiner Ansicht nach zumindest drei seiner Mischungen mit giftigen Endophyten infiziert seien. Darauf entgegnete er, die Saatgutindustrie könne sich ganz entspannt zurücklehnen. Ich habe ihm Recht gegeben: Ohne stichhaltige Laboranalysen hat diese Branche nichts zu befürchten. Doch es würde sich herumsprechen, wenn Saatgut einer Firma Probleme bei Weidetieren verursacht, mit oder ohne Analysen. Und ist der Ruf erst ruiniert …
Berührt uns das alles in Deutschland nicht?
Im Frühjahr 2015 führte die St. Georg auf Anregung einer Züchterin hin ein Interview mit mir, aus dem ein Artikel im Heft 04/2015 entstand. In diesem Artikel befindet sich auf S. 100 ein Kasten mit Angaben zu einem Vergiftungsfall, mit dem andere Züchter gewarnt werden sollten:
"Beispiel einer Züchterin: Gifte im Gras gefunden.
Vor Jahren säte die Betreiberin eines Gestüts ihre Weiden neu ein und griff auf eine handelsübliche Saatmischung zurück. Nach drei Jahren stieg die Anzahl der Aborte (Verfohlen) und Resorptionen bei den Stuten, die Jährlinge magerten ab und hatten Stoffwechselprobleme. Sie alle standen Tag und Nacht auf der Weide. Bei einer ersten Untersuchung kam heraus, dass das Gras zu 35 Prozent mit Endophyten infiziert war, mit einer jährlichen Zunahme war zu rechnen. An der Uni Gießen wurden Ergovaline (Mutterkorngifte) nachgewiesen. Da man dort nicht auf Lolitreme testen konnte, reichte die Züchterin Proben in ein Speziallabor in den USA ein, wo diese Gifte gefunden wurden. Die Konsequenzen: Sie lässt die Pferde nun nicht mehr rund um die Uhr auf die Weiden, schneidet das Heu früher, bricht nach und nach Weiden um und sät sie neu ein, allerdings mit einer Sorte Weidegras, das resistent gegen Endophyten sein soll."
Fazit
Wer eine gesunde Futtergrundlage für seine Pferde hat, der möge sie hüten wie seinen Augapfel. Keineswegs können Schäden an der Grasnarbe mal eben so mit preisgünstigem Saatgut ausgeglichen werden. Es fragt sich, ob man nachher noch das hat, was vorher war. An erster Stelle muss also die Erhaltung der gesunden Pflanzenzusammensetzung stehen: Bewahren statt säen!
Trotzdem führt bei Neuanlagen kaum ein Weg an Saatgut vorbei. Saatgutübertragung von geeigneten Flächen aus der Nachbarschaft ist oft nicht möglich. Daher wird sich diese Artikel-Serie mit den Anforderungen an Saatgutmischungen und Grasland für die Pferdehaltung auseinandersetzen.
Dr. Renate Vanselow, Biologin
Dieser Artikel ist Teil 1 unserer Serie über Saatgut - lesen Sie weiter:
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 1
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 2: Der Königsweg
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 3: Wirtschaftsgräser der Vergangenheit
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 4: Traditionelle Wirtschaftsgräser
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 5: Rezepturen - Versuch und Irrtum
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 6: Idiotensichere Rezepturen für intensive Grünlandwirtschaft
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 7: Gestresste Gräser - wann wird es gefährlich?
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 8: Wann treten hohe Giftgehalte in Gräsern auf?
- Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 9: Giftige Grasbestände - was tun?
Literatur
L. Dobrindt, H. Alkhedir, H. Hahn & S. Vidal (2009) Do aphids serve as vectors for systemic grass endophytes? Section 07 – Poster P7-4, Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie Tagung, Göttingen, 16.-19.3.2009
Rohrbach, B.W.; Green, E.N.; Oliver, J.W. & J.F. Schneider (1995): Aggregate risk study of exposure to endophyteinfected (Acremonium coenophialum) taII fescue as a risk factor for laminitis in horses. Am. J. Vet. Res., 56 (1): 22-26.
„Ergotismus – Antoniusfeuer: Ein historisches Problem hoch aktuell“ (Vanselow 2015, Tierärztliche Umschau 05/2015, S. 176-182), kann über www.dr-vet.net bezogen werden.
Yoder, C. & B. Fournier (2002): Survey of Endophytes in Grass Seed Crops in The Peace Region January 2002.
08.10.2017