Ein Überraschungsgeschenk

Da stand sie nun im Stall, Coco, die Rappstute, von der man weder Herkunft noch genaues Alter erfahren konnte. Ende April kam sie zu uns, war aber kein Aprilscherz, sondern harte Realität. Hochsensibel und miss­trauisch. Argwohn in Pferdegestalt. So schwierig, dass ihr Vorbesitzer sie zum Schlachter bringen wollte. Aber wo die Liebe hinfällt … Mein Mann hatte sich jedenfalls in sie verliebt. Für mich war sie nur schwarz.

Ihr Körper erzählte ihre Lebensgeschichte, eine traurige Geschichte. Narben an Kopf und Beinen. Und so war es nicht verwunderlich, dass sie alles daransetzte, sich Menschen vom Leib zu halten. Darin war sie sehr erfolgreich: Ohren anlegen, ein besseres „Kein-Ohr-Pferd“ gab es nicht, Lippen leicht zurückziehen und den Kopf in die Richtung dessen drehen, der sich von ihr fern halten sollte.

Ich hielt mich daran.
Mein Mann machte es anders und bot ihr damit offensichtlich Sicherheit. Er streichelte sie nicht vorsichtig, sondern schrubbte mit einer Wurzelbürste kräftig Hals und Kopf. Handfeste Berührungen lagen ihr. Die beiden rauften sich zusammen, jeder brachte die nötige Geduld für den anderen mit. Und weil mein Mann gebisslos reitet, durfte er sie aufzäumen und aufsitzen. Am Ende waren die beiden ein Team. Irgendwann wurden auch die ersten langen Ausritte möglich und Ende des Sommers waren 25 Kilometer Strecke ein Klacks.

Es wurde trotzdem ein anstrengender Sommer. Wurmkuren verweigerte sie, Einsprühen gegen Insekten ließ sie sich nicht gefallen, nicht einmal streicheln durfte man sie. Sie schaute finster, sobald ihr ein unsicherer Mensch begegnete, stampfte auf, wenn man den Hinterhuf anheben wollte, mit angelegten Ohren kam sie einem auf der Weide entgegen und ergriff die Flucht, sobald ein Halfter in Sichtweite geriet – wirklich ein liebenswertes Pferd. Mein Mann hatte mit all dem kein Problem, er sagte ihr deutlich, sie solle damit aufhören, er packte sie an – und sie entspannte sich.

Zum Winter hin nahm sie kräftig zu und wurde immer kugeliger. „Kein Wunder“, dachten wir, denn es gab gehaltvolles Heu. Auch ihre Herdenkollegen nahmen zu.
Wir versuchten gemeinsam gegen die Gewichtszunahme anzuarbeiten, es wurde mehr geritten und Mitte Januar entschieden wir, als Diät Grassamenheu zu füttern. Es musste doch irgendwie dieses Zunehmen aufgefangen werden. Wo sollte das denn hinführen, wenn man nicht mal mehr gegen das Gewicht anreiten konnte? Zu allem Überfluss entwickelte sie Kotwasser. Erst nur ein bisschen, dann langsam immer mehr. Abnehmen war aber nicht. Anfang Februar 2011 erschien sie mir schlapp, das Kotwasser bereitete mir langsam Sorge, und wir beschlossen, die Ernährung wieder umzustellen.

Dann erfolgte alles Schlag auf Schlag. Coco bekam Fieber, sie hustete, beim Hus­ten schoss das Kotwasser nur so heraus, und ich rief einen Tierarzt. Coco wurde vom Offenstall in eine Box bugsiert, bekam gegen die Nervosität einen kleinen Haufen Heu vorgelegt – und machte plötzlich einen hochzufriedenen Eindruck. Dummes Gefühl, wenn das Pferd, von dem man vermutet, dass es eine Kolik haben könnte, dem Tierarzt putzmunter entgegenblickt.

„Na schön, dann geht es ihr eben wieder besser und lieber ein Mal umsonst den Tierarzt gerufen, als zu spät“, dachte ich, „wenn er schon mal da ist, soll er sie doch untersuchen“, denn das Kotwasser hatte sie ja trotzdem. Der Tierzart untersuchte und untersuchte.

Er bescheinigte Coco einen guten Allgemeinzustand. „Aha, dachte ich, „das ist ja eine schöne Nachricht“. Aber der Tierarzt war noch nicht fertig, er fragte, mit wem sie denn zusammenstehe. Mit einem Wallach und zwei Stuten. Ich verfluchte insgeheim den Wallach, denn ich wusste, dass er auf­springt und einschlaucht – er hat bestimmt der armen Coco eine fiese Entzündung verpasst, einen Infekt, einen Pilz, irgendwas in der Art!

Dann kam die Überraschung: „Keine Kolik“, sagte der Tierarzt, „die Dame ist hochträchtig“! Wie bitte? Wie geht das denn? Mein fassungsloses Gesicht hätte ich gern selbst gesehen.

Ich unterstellte dem Tierarzt zuerst eine Fehldiagnose, was ihn verletzte. Aber dann war ich glücklich, denn es gibt doch keine schönere Diagnose als ein Fohlen in Aussicht.
Beim Zurückrechnen wurde mir klar, dass Cocos „Niederkunft“ bald kommen würde.
Mein Verhältnis zu der Hippe drehte sich um 180 Grad. Mein Mann fragte mich verwundert, woher die plötzliche Fürsorge für Coco komme! Ich muss zugeben, es lag an der Trächtigkeit, die hat meinen Fürsorgewillen ausgelöst und mein Verhältnis zu Coco grundlegend verändert. Ich war nur noch darauf aus, ihr zur Seite zu stehen und sie zu versorgen. Sie dankte es mir, indem sie mich nur noch unwirsch begrüßte, wenn ich mit dem Futter zu langsam war.
Sie machte einen rundum zufriedenen Eindruck, als würde sie sagen: „Na endlich habt ihr es begriffen!“

Am 13. März, fast sechs Wochen nach der Diagnose, hat uns Coco in einem stillen nächtlichen Stündchen und ganz ohne Hilfe ein bildschönes Stutfohlen geboren, ein kleines braunrotes Wunder, das voller Energie steckt. Mutter und Tochter haben ein vorbildliches Verhalten gezeigt. Mama ist immer ganz fürsorglich und Tochter neugierig und selbstbewusst.

Das Fohlen ist eine Schönheit, es heißt Mahpíya Luta und macht alles nach, was die Mama tut. Sie probiert vom Heu, knabbert an den Kräutern und kommt mir wiehernd entgegen galoppiert. Eine unglaublich tolle Erfahrung.

Es gibt Stimmen, die sagen, dass nichts dem Zufall überlassen sei. Es sollte so sein. Coco sollte den Weg zu uns finden und ihr Fohlen bei uns das Licht der Welt erblicken.

Maike Neb

04.09.2017

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