Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 6

- idiotensichere Rezepturen für intensive Grünlandwirtschaft

Produktiver Grasacker (angesäte Weidelgras-Monokultur) zur Silageproduktion, oft kurzfristig als Zwischenfrucht im Getreidebau, selten mehrjährig – mit Heu-Trocknung als Bio-Heu bzw. pelletierte Cobs für Pferde? „Heu-Farmen“ sind der neueste Schrei und stark im Aufwind. Foto: R. Vanselow. 

In dieser Saatgut-Serie sind wir durch gut 200 Jahre landwirtschaftlicher Grünlandgeschichte gereist. Wir haben allerlei Wirtschaftsgräser unterschiedlicher Nutzungs-Epochen kennen gelernt. Die produktiven Wässerwiesen waren für Großvieh weitgehend nicht begehbar, sie konnten nicht überall angelegt werden und ihr Bau war teuer. Also keine Lösung für die Allgemeinheit und die arme Landbevölkerung. Fettweiden mit reichlich Klee oder fette Marschen der Küsten und Flüsse, kleearm aber mit Weidelgras, waren selten und wertvoll.

Zu wenig Futter für unzählige Mäuler

Verbreitet waren dagegen sogenannte Hungerweiden. Darunter verstand man Weiden, auf denen das Vieh im Herbst so abgemagert war, dass es im Stall gemästet werden musste. Eine wesentliche Ursache für die Futterknappheit war die Überbesetzung vieler Flächen: Der Aufwuchs in der zweiten Sommerhälfte gibt vor, wie viele Tiere das Land ernährt. Das Futterüberangebot in der ersten Sommerhälfte ist als Winterfutter (Heu) einzulagern. Die Bauern orientierten sich aber am Aufwuchs in der ersten Sommerhälfte und stellten so viele Fresser auf die Flächen, wie dieser Aufwuchs dann ernährte.

Manche klugen Bauern machten nicht nur genug Heu, sondern brachten auch Mitte des Sommers überzählige fette Weidetiere zum Markt, so dass ihre Weiden bis zum Herbst nur noch so viele Mäuler ernähren mussten, wie sie satt machen konnten. Diese Bauern hatten gutes Geld beim Schlachter verdient und dazu runde Tiere im Stall, die nicht teuer gepäppelt werden mussten.

Besonders hart ausgebeutet wurden oftmals Gemeinschaftsflächen. Wer kein eigenes Land, aber eine Milchziege oder eine Milchkuh besaß, war auf diese oft verheideten, manchmal Wanderdünen bildenden degradierten Flächen angewiesen. Als extremes Beispiel sei hier die Entstehung der Wanderdünen des Listlandes im Norden der Insel Sylt genannt:

Die Wanderdüne ist durch Erosion entstanden. Der zunächst luv-seitigeSteilhang der sichelförmigen Dünenzüge auf der Westseite der lnsel wurde aufgerissen und der Sand in Gestalt eines großen Barchans mit Steilhang nach Osten umgelagert. Der bogige Luvhang ist nahezu unbewachsen. Die Wirkung des Windes ist an Kleinformen der Oberfläche und in der Korngrößensortierung des Sandes gut zu beobachten. Die Düne wandert zeitweise jährlich um ca. 5 Meter in Richtung Osten. Wanderdünen haben schon in früheren Jahrhunderten Dorfschaften vernichtet (Wüstungen Listum, Blidsum, Alt Westerland = Eidum). Wanderdünenbildung wird durch übermäßige Nutzung der Vegetation ausgelöst. Bis ins 18. Jahrhundert waren Dünen und Strand Königsgut und konnten von den lnselbewohnern unentgeltlich genutzt werden. Das bedeutet, daß Vieh auf den Dünen weidete, Dünenhafer wurde als Winterfutter geerntet.

Dünengräser dienten als Material für Stricke und zum Decken von Dächern. Nicht selten wurden Pflanzen mitsamt ihren Wurzeln als Brennmaterial gesammelt. Man grub nach Hasen und Kaninchen. Gerade die Schädigung der Pflanzendecke der Tertiärdünen führte zur Bildung von Wanderdünen. lm Jahre 1778 organisierte man auf Sylt erstmalig lokal den Schutz der Dünen und erst 1867 bestand für die gesamte lnsel Dünenschutz.“ (Zitat aus: Kappen, L.: Exkursionen auf Sylt. Exkursions-Skript anlässlich des 11. Seminarkongresses der Bundesapothekerkammer vom 22.9. – 28.9.1985 in Westerland / Sylt)

Ansaaten und deren Rezepturen bargen hohe Risiken. Sie brachten kaum den Erfolg, den die Bauern sich erhofften und oft bitter nötig hatten. Die Qualität des Saatguts entsprach selten dem, was wir heute gewöhnt sind. Man hatte wenig Erfahrung und so passten Böden, Standorte, angesäte Pflanzenarten sowie Nutzung und Pflege der gesäten Pflanzen oft nicht zueinander.

Es gab noch ein weiteres Problem: Aller (Mist-) Dünger war in der Vergangenheit für die Äcker zur menschlichen Ernährung verwendet worden. Grasland wurde fast nie gedüngt. Als Winterfutter für die zahlreichen Tiere wurde den Grasländern Material entzogen – welches der Humusschicht und der Nährstoffversorgung der Böden fehlte. Die Böden laugten auf von Natur aus armen Standorten stark aus (siehe Artikel Humus & Mist Teil 1). Heiden mit Wanderdünen entstanden. Um noch mehr Mist als Dünger zu gewinnen, wurden die Tiere ganzjährig aufgestallt – eine Praxis, die auf Schubart von Kleefeld im 18. Jahrhundert zurück geht. Mit anderen Worten: Auch das, was die Tiere im Sommer fraßen, gelangte nicht als Dung zurück auf das Grasland. Stattdessen wanderte der gesamte Dung aus geschnittenem Gras, Heu und Futter auf Ackerböden. Der Entzug von Nährstoffen und Humus aus den Graslandstandorten wurde dadurch beschleunigt. Wen wundert es da, dass gerade auf den der Allgemeinheit zur Verfügung stehenden Flächen (Allemende) die Bodendegradation stark voran geschritten war und die Milchlieferanten der Ärmsten ständig vom Hungertod bedroht waren?

Ausgebeutete Böden, kranke Stalltiere

Nicht nur die Landschaft und ihre Böden litten unter dieser Ausbeutung. Die ganzjährige Aufstallung zeigte selbstverständlich auch negative Wirkung auf die Gesundheit der Tiere. Die Stalltiere waren schlecht bemuskelt, verweichlicht gegenüber der Witterung und anfällig für Seuchen. Aus diesem Grund weist der Gutsbesitzer K. Schneider darauf hin, dass man nicht ungestraft gegen die Natur sündigen könne:

Nur die naturgemäße Aufzucht vermag einen besseren Gesundheitszustand zu schaffen, und darum ist der Weidegang des Jungviehes unerläßlich. Daher müssen dort, wo Aufzuchten stattfinden sollen, auch Weiden vorhanden sein, und man muß dem Weidebetrieb auch dort Eingang verschaffen, wo es seither nicht üblich war.“ (Zitat aus: Schneider 1926)

Schneider forderte vor einhundert Jahren, dass jede Dauerweide zur Fettweide (zu verstehen als Gegensatz zur „Hungerweide“) werden solle und stellte fest, dass Hungerweiden keine Berechtigung mehr hätten. Mit diesen Forderungen stand er nicht alleine. Die Situation der Böden war damals eine völlig andere als heute. Seine Forderung nach der Freilandhaltung aller (!) Nutztiere möglichst ganzjährig klingt noch heute erstaunlich revolutionär. Könnte er moderne Mastanlagen für Nutztiere sehen, wäre er vermutlich vor Fassungslosigkeit sprachlos. Der hohe Medikamentenverbrauch derartiger Haltungen würde ihn ganz sicher keineswegs erstaunen – dafür umso mehr die Unbelehrbarkeit der Menschen.

Die Wiege der Standardmischungen

Statt wie von Prof. Weber ursprünglich geplant, Saatgutmischungen für jeden einzelnen Standort individuell auf die Witterung, Nutzung und Pflege abzustimmen, kam es anders. Die ökonomischen Zwänge brachten auch Prof. Weber dazu, diese völlig korrekte Einsicht, dass die genutzten Pflanzen regionaler Herkunft sein müssten und individuell zusammengestellt werden müssten, beiseite zu schieben und stattdessen das zu tun, was in anderer Form bereits in der Vergangenheit praktiziert worden war: Wieder einmal wurden die Standorte, also ganze Landstriche, so verändert, dass erwünschte Pflanzen kultiviert werden konnten.

Diesmal wurde nicht als Düngemaßnahme bewässert – Stickstoff ersetzte Wasser. Statt zu bewässern und die Wasserversorgung der Böden zu kontrollieren, wurde nun aufgedüngt. Gleichzeitig wurde trocken gelegt: Schwere Tiere und Maschinen sollten nicht einsinken. Mit genug Stickstoff kann sehr stark entwässert werden, ohne dass der Ertrag sinkt. Feuchte bis nasse Standorte sind von Natur aus erheblich produktiver als trockene Standorte. Saftige, zarte, großblättrige Pflanzen brauchen viel Wasser – oder Stickstoffdünger. Nun waren nur noch die produktivsten, also wüchsigsten Gräser von Interesse. Dem Vieh gut schmecken sollten sie auch. Prof. Weber selber erklärte von 36 gefundenen Kräutern des Grünlandes, die nicht zu den Leguminosen (Schmetterlingsblütler wie Klee, Wicken oder Platterbsen) gehörten, alle außer Schafgarbe, Herbstlöwenzahn, Löwenzahn, Breit- und Spitzwegerich zu Unkräutern.

Im vorangegangenen Artikel habe ich gezeigt, dass im 20. Jahrhundert über 80 Pflanzenarten des Grünlands als ansaatwürdig galten und in Rezepturen Verwendung fanden. Pflanzen, die ohnehin als Samen in den Böden weit verbreitet waren, mussten in die Rezepturen nicht aufgenommen werden, selbst wenn sie als Futterpflanzen nützlich und erwünscht waren. Sie siedelten sich von alleine an. Was in den Rezepturen nicht vorkam, musste also noch lange kein „Unkraut“ sein. Die Vielfalt der Rezepturen schnurrte nun jedoch auf wenige Gräser und Kräuter zusammen:

Rezepturen

Gräser

Leguminosen

andere Kräuter

vor 1900

50

28

4

nach 1900

16

8

2

Bei den 16 weiterhin in Rezepturen oft eingesetzten Grassamen handelt es sich um:

Fioringras (Agrostis alba gigantea), Flechtstraußgras (Agrostis alba stolonifera), Wiesen-Fuchsschwanz (Alopecurus pratensis), Weiche Trespe (Bromus hordeaceus), Wehrlose Trespe (Bromus inermis), Kammgras (Cynosurus cristatus), Knaulgras (Dactylis glomerata), Verschiedenblättriger Schwingel (Festuca heterophylla), Wiesen-Schwingel (Festuca pratensis), Echten Kriechenden Rotschwingel (Festuca rubra rubra), Welsches Weidelgras (Lolium multiflorum), Deutsches Weidelgras (Lolium perenne), Wiesen-Lieschgras (Phleum pratense), Wiesen-Rispengras (Poa pratensis), Gewöhnliches Rispengras (Poa trivialis) und Goldhafer (Tristum flavescens).

Die Rezepturen zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren keineswegs artenreich. Manchmal wurden Monokulturen aus nur einem einzigen Gras angesät. Wenn der Standort stimmte, war das preisgünstig und recht erfolgreich. Die meisten Rezepturen bestanden aus 4 Gräsern und 1-3 Leguminosen. Selten kamen etwa 10 Arten in einer Rezeptur zur Anwendung. Da im Boden noch reichlich Samen und Wurzelreste vorhanden waren, stellten sich trotzdem längerfristig artenreiche Grasländer ein.

Diese Entwicklung führte über Jahrzehnte zu den standardisierten, artenarmen Grünlandmischungen für standardisierte Böden guter Nährstoffversorgung, die wir heute im Handel überall angeboten bekommen. Ich hatte schon im Teil 4 dieser Saatgut-Serie beschrieben, wie intensiv die Böden im vorbildlichen Hauptgestüt Altefeld mit Kompost und Mineraldünger gedüngt wurden und welche Gräser angesät wurden. Gestüte wie Altefeld und Trakehnen dienen noch heute als Vorbilder. Sie haben damals vorgemacht, was heute großflächig in vielen Pferdehaltungen nachgemacht oder angestrebt wird. Im Gegensatz zu damals ist aber die Samenbank des Bodens erschöpft, die Zuchtgräser intensiv durchgezüchtet. Bei Einhaltung der Pflegeanleitung entwickeln sich die Samenmischungen in kürzester Zeit so üppig wie versprochen. Darunter zu leiden haben die Artenvielfalt und manchmal die Gesundheit der Weidetiere.

Wiedergutmachung alter Sünden?

Die Aufdüngung der Landschaft hatte vor dem Hintergrund der praktizierten Ausbeutung der Böden eine gewisse Berechtigung. Jahrhundertelang, mancherorts sogar über Jahrtausende, wurde die Landschaft von Material und Nährstoffen leer geräumt, um punktuell all dieses Material auf kleinen Äckern anzuhäufen: Es entstanden abgeräumte Heidelandschaften neben künstlichen Humusböden, sogenanntem Plaggenesch. Ein solcher Humusboden ist eine unglaubliche Kulturleistung sehr vieler Generationen von Menschen. Es sind Plaggenesche von 120 cm Höhe bekannt, entstanden seit der Bronzezeit.

Der angehäufte Humus fehlte in der übrigen Landschaft. Im Zuge der Intensivierung wäre eine Pflege der Humushorizonte durch Kompostgaben sinnvoll und nachvollziehbar gewesen. Stattdessen beobachten wir seit Jahrzehnten den massenhaften Verbrauch leichtlöslicher Mineraldünger und Gülle aus der Tierhaltung, die mit dem Oberflächenwasser in den zunehmend überdüngten Gewässern (Flüsse, Seen, Meere) landen, statt im Boden zu verbleiben (Tab. 1):

 

Überschuß Jahresmittel [kg/ha]

Überschuß 1950-1986

S [kg/ha]

Vorkommen der Dünger

Austräge

K

1981-1983:

69

2000

grund-sätzlich Ackerland >Grünland

Sand & Moor > Lehm > Ton

P

1981-1983:

50

900

kaum Austräge, Festlegung in der Krume

N

ab 1950

58

~ 2400

hohe Austräge v.a. aus Sand- und unbewachsenen Böden

1979-1985:

~103

1987:

117

Tab. 1: Überschüsse der Düngung mit N, P und K in Deutschland nach Bilanzierungen in Scheffer & Schachtschabel (1992). Aus: Vanselow 2005, S. 94.

Die Mineraldüngerhersteller warben bei den Landwirten mit „einfachen, sicheren, sauberen Lösungen“: Keinen schweren Mist oder Kompost mehr bewegen und ausbringen müssen. Kein kompliziertes Herumrechnen, welcher Dünger wo wann gerade eingesetzt werden sollte. Einfache Beschaffung und Handhabung. Geringer Bedarf an Lagerkapazitäten.

Abb. 1 und 2: „Warum sich quälen?“ Abgebildet sind Vorder- und Rückseite eines Infohefts der Badischen Anilin- & Soda-Fabrik BASF aus der Nachkriegszeit. Foto: R. Vanselow


Intensiviertes Grünland: statt Humus Mineralungleichgewichte

Dauerweiden wurden massiv mit Phosphor aufgedüngt:

Gute Dauerweiden können denselben Ertrag bringen wie gutes Ackerland; sie brauchen dazu ebensoviel Dünger und Wasser wie Zuckerrüben, aber weit weniger Arbeit. Das schreibt Professor Dr.Könekampin seinem neuen Buch „Der Grünlandbetrieb“ (Tierzucht-Bücherei 1959, Herausgeber: Prof. Dr. W.Zorn). Der Verfasser ist Direktor des Instituts für Grünlandwirtschaft und Futterkonservierung in Völkenrode; außerdem lehrt er an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Sein Buch ist der Niederschlag von 35 Jahren Arbeit am deutschen Grünland. ProfessorKönekamprät, die Dauerweide nicht nach dem Nährstoffentzug zu düngen, sondern stets für einen reichlichen Vorrat an Phosphorsäure und Kali zu sorgen und damit den Boden biologisch zu beleben. Von der Phosphorsäure sagt er: „Wo Phosphorsäuremangel nachgewiesen ist, und das ist auf der erdrückenden Mehrzahl der Grünlandböden der Fall, helfen die üblichen Düngergaben nicht. Hier muß nach dem Prinzip der Schocktherapie vorgegangen werden! Kleine Gaben dienen immer erst dazu, den Phosphorsäurevorrat des Bodens aufzufüllen. Erst wenn das leer gewordene Phosphorsäurereservoir im Boden aufgefüllt ist und dann gewissermaßen überzufließen beginnt, kommt die Pflanzenwurzel in den Genuß dieses Nährstoffes.““ (Zitat aus: Pilaski & Fleischel (1961) - Dr. W. Pilaski war Leiter der Beratungsstelle der Thomasphosphaterzeuger in Oldenburg/Nds.). 

Abb. 3: „Die Besamer erzählen … etwas über die Sterilität“ sollte die Milchbauern überzeugen, dass sie ihr Grasland gut mit Phosphor düngen müssten. Ausschnitt aus der Seite 9 aus: „Grünland im Küstenklima Norddeutschlands“ von Pilaski und Fleischel (1961).

Die Phosphoraufdüngung auch des Graslandes wurde damit begründet, dass die Fruchtbarkeit der Rinder durch Futtergräser auf stark phosphorgedüngten Böden gesteigert würde (Abb. 3). Als unbeabsichtigte Nebenwirkung des massenhaften Einsatzes von phosphorhaltigen Thomasmehlen kam es hin und wieder zu hohen Kalkgehalten mit hohen pH-Werten des Bodens, was wiederum mit einem „Säurestoß“ durch Schwefelsauren Ammoniak oder Montansalpeter behoben wurde (Abb. 4).


Abb. 4: Ausschnitt aus der Seite 14 aus: „Grünland im Küstenklima Norddeutschlands“ von Pilaski und Fleischel (1961).

Zur Pflanzenverfügbarkeit des Phosphors stellt Professor Dr. Hans-Peter Blume im Jahr 1990 im „Handbuch des Bodenschutzes“ fest:

Während in der Vergangenheit die Vorstellung, dass auch langfristig eine maximale P-Ausnutzung von 50-80% nicht überschritten wird, zur Rechtfertigung einer über den Pflanzenentzug hinausgehenden P-Düngung selbst bei guter Versorgung diente, weisen neuere Untersuchungen eine langfristig annähernd vollständige Ausnutzung des gesamten anorganischen Phosphats nach.“ (Zitat aus: Blume 1990).

Dabei ist die Aufnahme von der Pflanzenart abhängig. Hauptdüngerelemente sind Stickstoff, Phosphor und Kalium. Stickstoff wird schnell verbraucht, abgebaut oder weggeschwemmt. Kalium bleibt je nach Boden länger. Der Phosphor schließlich verbleibt zumeist unverändert über Jahre und Jahrzehnte im Oberboden. Daher stellt die im Lehrbuch der Bodenkunde (Scheffer & Schachtschabel 1992) bilanzierte Phosphor-Überschußdüngung von durchschnittlich 900 kg Phosphor pro Hektar auf landwirtschaftlichen Flächen in der Zeit zwischen 1950 und 1986in Deutschland ein Problem des Nährstoffungleichgewichts dar, das noch viele Jahrzehnte bestehen wird.

Ackerland wurde stärker mit Phosphor aufgedüngt als Grünland. Während also die anderen Nährelemente früher oder später verloren gehen und nach Liebigs Satz des Minimums das Wachstum begrenzen, bleibt der Phosphor fast unverändert hoch und stellt dann ein Probleme bei der Renaturierung ehemals aufgedüngter Böden dar (Gilbert et al. 2003). Leguminosen (Schmetterlingsblütler), die sich über ihre Knöllchenbakterien in den Wurzeln mit Luftstickstoff versorgen können, werden von hohen Phosphorgehalten und ggf. Kaliumgehalten bei niedrigen Stickstoffgehalten des Bodens im Konkurrenzkampf mit den Gräsern deutlich begünstigt. Massenaufwüchse von Klee sind die Folge. Pferdehalter, die ehemals intensiv bewirtschaftete Flächen lange nicht gedüngt haben, kennen dieses Kleeproblem.

Auswirkung der Aufdüngung auf die Artenvielfalt

In Rothamsted in Hertfordshire, England, wird seit 1843 ein weltweit einmaliger Langzeitversuch zur Reaktion von Grasland auf Düngung durchgeführt (Rothamsted Research http://www.rothamsted.ac.uk/). Brenchley & Weber (1926) fassten die vorläufigen Ergebnisse des Versuchs aus dem Zeitraum zwischen 1856 und 1919 zusammen (Abb. 5):

  • Stickstoff- und Mineraldünger führen zu hohen und schweren Ernten.
  • Ohne Düngung werden 30 bis 40 Arten gefunden, die große jährliche Schwankungen aufweisen.
  • „Mit steigenden Düngegaben, insbesondere von Stickstoff, nimmt in gleichem Maße die Artenzahl ab, bis bei sehr starken Gaben von schwefelsaurem Ammoniak nur etwa 8 bis 10 Arten übrig bleiben; und von diesen sind nur zwei oder drei durch ihre Masse von Bedeutung.“ (Brenchley & Weber 1926).
  • Durch schwefelsauren Ammoniak werden Schmetterlingsblütler fast vollständig verdrängt."

Abb. 5: Die Langzeitwirkung von stickstoffhaltigem Dünger, dokumentiert durch die Rothamsteder Wiesendüngungsversuche (Brenchley & Weber 1926).

War das im Sinne des Erfinders?

Albrecht Thaer, der verdienstvolle Reformator der deutschen Landwirtschaft, war es hauptsächlich, der der Humustheorie zu größtem Ansehen verhalf. Er sagte: „Am besten würden wir für die Pflanzen durch Zufuhr von Humus sorgen.Ihm (Thaer) trat der berühmte Chemiker Justus v. Liebig entgegen, der dem Humus jede Bedeutung für das Pflanzenwachstum absprach. Liebig verfocht die Mineralstofftheorie, nach der „nur die anorganische Natur den Pflanzen ihre ursprüngliche Nahrung liefert.Da Liebig in seinen volkstümlichen Schriften seine Ansichten zu beweisen verstand, gelang es ihm, den Sturz der Humustheorie herbeizuführen. Bis in unsere Zeit ist der Glaube an die Mineralstofftheorie bestehen geblieben, für die ja die Wasserkultur den deutlichsten Beweis erbringt. (…) Mit mineralischer Düngung allein ist es nicht immer möglich, Höchsterträge zu erzielen. Die Voraussetzungen für die volle Wirkung solcher Düngung ist ein gewisser Humusgehalt des Bodens.“ (Zitat aus: Werth 1934).

Diese Worte stammen aus dem Jahr 1934 (!), als Wirtschaftdünger, also Mist, noch das rare Gold des Bauern war und nicht etwa – wie uns heute oft glauben gemacht wird – eine Art Sondermüll, der zu „entsorgen“ sei.

Liebigs „Gesetz vom Minimum“ (Liebig 1840) besagt:

Das Gedeihen der Pflanze ist abhängig von demjenigen unentbehrlichen Nährstoff, der ihr im Minimum (also in geringster Menge) zur Verfügung steht.

Oder in Versen formuliert von M. Hoffmann (1921):

Wasser, Wärme, Luft und Licht
Braucht die Saat – sonst wächst sie nicht.
Stickstoff, Phosphor, Kali, Kalk
Sind des Ackers Würz´und Schalk.
Fehlt´s an diesen Kernnährstoffen –
Wettergunst? – welch eitles Hoffen!
Ja, falls einer schon ist rar,
Scheffelt´s schlecht in Korn und bar.
Richtig düngen – gares Feld
Bringt selbst bei schlecht´ Wetter Geld.

Liebig fordert jedoch (zitiert in Pfaff 1951) auch:

Die Aufgabe des Landwirts besteht nicht allein darin, die höchsten Erträge von seinem Feld zu gewinnen, sondern sein Ziel soll auf die ewige Dauer und die Wiederkehr dieser höchsten Erträge gerichtet sein.

Daran gemessen hat die moderne Landwirtschaft, obwohl begründet auf Liebigs Theorien, heute vielfach ihre Aufgabe verfehlt, denn sie wirtschaftet nicht nachhaltig, wie unsere Serie zu Humus & Mist gezeigt hat.

Fazit

Im dritten Teil unserer Konik-Serie haben wir gelernt, mit wie wenig Futter von ungedüngten Wegrändern diese robusten Pferde in Polen gehalten werden, sollen sie nicht verfetten. In Teil 4 dieser Saatgutserie haben wir gesehen, wie karg (arabische) Vollblüter gehalten wurden, um hohe Leistungen erbringen zu können. Kammgrasweiden auf sandigen Böden ernährten bei guter Mist-Düngung über die Vegetationsperiode 4 GV/ha.

Was wollen wir Pferdehalter mehr?

Alles war vor 100 Jahren bekannt: die negative Wirkung der Stallhaltung auf die Tiergesundheit ebenso wie der Verlust der Artenvielfalt durch Stickstoffdünger. Was haben wir daraus gelernt und gemacht?

Die Ureinwohner Australiens sind nie Bauern geworden. Trotzdem lebten sie ohne Not und im Gleichgewicht mit ihrer Umwelt. Ihr Geheimnis: Sie hatten die ganze Landschaft domestiziert, nicht etwa einzelne Pflanzen oder Tiere. Sie hatten die Feuerökologie begriffen und setzten das Feuer gezielt ein, um in gesteuerten Brandschneisen die Vegetation zu verjüngen, so ihren Beutetieren ständig optimale Lebensbedingungen mit frischem Aufwuchs zu schaffen und unkontrollierbare Brände von zu üppigen Pflanzenresten zu verhindern. Sie lebten als Jäger und Sammler in einer gezähmten Landschaft im Gleichgewicht. Dann kamen die Eroberer und Ausbeuter aus Europa. Diese wollten nicht glücklich im Gleichgewicht leben, das war ihnen fremd, sondern sie wollten Reichtum und Macht. Nicht LEBEN im Sinne von SEIN, sondern BESITZEN im Sinne von HABEN. Die Bibel nennt das Mammon.

Die Gier nach mehr, mehr und noch mehr führt zu Ungleichgewichten, zu sinnloser Produktion auf Kosten anderer Lebewesen. Idiotensichere Grassaaten auf intensiv aufgedüngten Böden für eine maximale Futterproduktion gehen auf Kosten der Artenvielfalt, der Tiergesundheit, der Gewässer und der Nachhaltigkeit der Böden. Wann wollen wir endlich vernünftig werden? 

Die Evolution wird uns Schädlinge der Umwelt, als die wir uns aufführen, noch domestizieren, ganz sicher. Denn Parasitismus ist ganz anders als gedacht …

Dr. Renate Vanslow, Diplom-Biologin

Dieser Artikel ist Teil 6 unserer Serie über Saatgut - lesen Sie weiter:

Literatur:


Blume, H.-P. (1990): Handbuch des Bodenschutzes. – ecomed, Landsberg, Lech, 686 S.

Brenchley, W.E. & Weber, C.A. (1926): Die Rothamsteder Wiesendüngungsversuche von 1856 bis 1919. Vlg. August Reher, Berlin, 206 S.

Gilbert, J. C.; Gowing, D. J. G.; Loveland, P. (2003) Chemical amelioration of high phosphorus availibility in soil to aid the restoration of species-rich grassland. - Ecological Engineering, 19:297-304.

Hoffmann, M. (1921): Düngefibel. Ein Leitfaden zu der Düngertafel der DLG auf Grund der neuesten Forschungsergebnisse. 21te Auflage, Flugschriften der DLG, Heft 7, Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft DLG, Berlin, 198 S.

Liebig, J. (1840): Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie. Vlg. Vieweg, Braunschweig, 1840.

Pfaff, C. (1951): Die Pflanzennährstoffe im Boden unter besonderer Berücksichtigung der Auswaschungsvorgänge. Ratschläge für den Bauernhof, Heft 7, Landwirtschaftl. Versuchsstation Limburger Hof (Pfalz), 32 S.

Pilaski, W. & H. Fleischel (1961): „Grünland im Küstenklima Norddeutschlands“ mit einem Vorwort von D. Bader, Landwirtschaftliche Abteilung der Thomasphosphatfabriken. Vlg. Gerhard Rautenberg, Leer in Ostfriesland, 33 S.

Scheffer, F. & Schachtschabel, P. (1992) Lehrbuch der Bodenkunde. - Vlg. Enke, Stuttgart. 491 S.

Schneider, K. (1926): Die Anlage von Dauerweiden und ihr Betrieb nach neueren Erfahrungen. 3te Aufl., Vlg. Korn, Breslau, 132 S.

Vanselow, R. (2005): Pferdeweide – Weidelandschaft. Kulturgeschichtliche, ökologische und tiermedizinische Zusammenhänge. Ein Leitfaden und Handbuch für die Praxis. Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben, Die Neue Brehm-Bücherei Bd. 657, 238 S.

Werth, A.J. (1934): Praktische Düngerlehre. Gärtnerische Lehrhefte, Heft 25, 2te Aufl., Vlg. Paul Parey, Berlin, 96 S.

05.09.2017

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