Herdenschutzhunde und Hütehunde
Beide Hundegruppen sind die besten Freunde des Hirten, doch sie unterscheiden sich grundlegend in Wesen, Charakter und Arbeitsaufgaben. Vereinfacht gesagt: Hütehunde halten auf Befehl des Hirten aktiv die Herde zusammen und treiben sie in eine gewünschte Richtung, während Herdenschutzhunde sie vor Angreifern schützen – und zwar ohne den Befehl des Hirten.
Meist unterscheidet man zwischen den Hütehunden auf der Koppel oder in der freilaufenden Herde und den Treibhunden. Zu den ersten gehört der bekannte Border Collie sowie der australische Working Kelpie. Auf die kleinsten Zeichen ihres Schäfers dirigieren diese intelligenten und lernwilligen Hunde ganze Viehherden oder sondern auch einzelne Tiere ab. Koppelgebrauchshunde arbeiten dabei immer eng mit dem Menschen zusammen.
Zu den beliebtesten Vertretern der Hütehunde an der Herde gehören der Deutsche und der Altdeutsche Schäferhund, der Altdeutsche Hütehunde sowie der französische Berger des Pyrénéés. Diese Hunde begrenzen mit gezielten Bewegungen die Herde auf der Wanderung. Ist die Herde an der vorgesehenen Weidestelle angekommen, wird sie durch das Auf- und Abtraben der Hunde, das sogenannte Furche laufen, auf der Fläche gehalten. Auch diese Hütehunde arbeiten eng mit dem Hirten zusammen. Auf dessen Befehl hin können sie die Herde auch gegenüber fremden Menschen oder auch anderen Hunden verteidigen.
Der Treibhund kommt dann zum Einsatz, wenn beispielsweise große Rinderherden bewegt werden sollen. Es sind mittelgroße, wendige Hunde wie in der Schweiz der Appenzeller oder Entlebucher Sennenhund oder in Australien der Cattle Dog. Dabei treiben sie die Tiere nicht nur mit Bewegung und Gebell, sondern kneifen durchaus mal in die Beine. Auch sie arbeiten eng mit dem Hirten zusammen.
Hüte- und Treibhunde sind lernbegierige Hunde mit einem hohen Aktivitätspotenzial. Sie orientieren sich dabei am Menschen. Um sie angemessen auszulasten sollte man täglich 2 - 3 Stunden Zeit einplanen. Sie eignen sich hervorragend für Hundesportarten wie Agility, Treibball oder Longieren, nur als Couch-Potatoes sind sie absolut unterfordert.
Herdenschutzhunde
Hierbei handelt es sich um große, massige Hunde, die alleine schon durch ihr Erscheinungsbild abschreckend auf Feinde wirken. Sie wachsen in der Herde auf und bleiben fortan bei ihr. Gerade bei Schafherden sind die Hunde mit ihrer Fellfärbung gut getarnt und können so überraschende Angriffe zur Verteidigung starten.
Und das ist ihre eigentliche Aufgabe: den Schutz der Herde zu gewährleisten, auch ohne Anwesenheit des Hirten. Und zwar vor Feinden wie Wölfen oder Bären. Dazu werden sie seit Jahrtausenden selektiert und eingesetzt. Es geht aber nicht darum, sich wahllos in jeden Kampf zu stürzen, sondern überlegt und durch Abschreckung zu arbeiten. Allerdings verteidigen Herdenschutzhunde im Ernstfall auch mit ihrem Leben.
Aus diesem Arbeitsbereich ergeben sich bei Herdenschutzhunden grundlegend andere Wesenseigenschaften als sie die auf Befehl arbeitenden Hütehunde haben. Herdenschutzhunde müssen eigenständig, entschlossen, furchtlos und souverän handeln, sie arbeiten dabei meist im Verbund mit anderen Hunden. Vom sogenannten „Will-to-please“ (Willen zu Gefallen), wie ihn beispielsweise Schäferhunde oder Retriever haben, sind sie meilenweit entfernt. Das macht sie nicht unbedingt zu den leichtführigen Familienhunden, die sich so mancher Halter erhofft, wenn er den „niedlichen Knuddelbär-Welpen“ aus dem Ausland adoptiert. Auch wenn es sich oft um Mischlinge handelt, kann der Anteil Herdenschutzhund unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Im Gegensatz zu Hüte- und Treibhunden ist das Aktivitätspotenzial der Herdenschutzhunde eher gering. So steht in der Rassebeschreibung des Karakatschan „nicht sehr bewegungsfreudig“. Meist findet man sie ruhend in oder bei der Herde, aber der Eindruck täuscht. Sie sind extrem wachsame Tiere, die kleinste Veränderungen in der Umgebung wahrnehmen und ihre ganze Energie für eine eventuelle Verteidigung der Herde sparen. Das machen sie aber nicht etwa, weil sie die ihnen anvertrauten Tiere so lieb haben, sondern es handelt sich um eine Ressourcenverteidigung. Dabei scheint gar nicht die Herde im Vordergrund zu stehen, sondern das Territorium als Ressource. Das zeigt sich auch daran, dass es auch ohne Herde weiterhin beschützt wird. Und es gibt Berichte von Hunden, die, obwohl sie mit Schafen aufgewachsen sind, nach einer entsprechenden Umgewöhnungsphase auch Ziegen schützen.
Hier einige Rassen nach Herkunftsland aufgelistet:
Türkei: Kangal, Akbaş
Kaukasien: Kaukasischer Otwscharka
Polen: Polski Owczarek Podhalanski
Rumänien: Carpatin (Ciobănesc Românesc Carpatin)
Mioritic (Ciobănesc Românesc Mioritic)
Bulgarien: Karakatschan (Bulgarischer Hirtenhund)
Ungarn: Komondor, Kuvasz
Portugal: Estrela Berghund (Cão da Serra da Estrela)
Italien: Maremma (Abruzzen Schäferhund)
Spanien: Mastín Español
Frankreich: Pyrenäenberghund
Serbien/Makedonien: Šarplaninac
Herdenschutzhunde gehören zu den Spätentwicklern, man sagt, dass sie erst mit 3 - 4 Jahren erwachsen sind. Als Welpen zeigen die wenigsten von ihnen bereits die Neigung ihren Napf, Spielzeug oder den heimischen Garten zu verteidigen. Allerdings fallen sie bereits durch ihre extreme Eigenständigkeit und den Willen Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen auf. Herdenschutzhunde sind zudem schwer bestechlich, so wird das angebotene Leckerchen vielleicht noch beim ersten Mal genommen, aber schnell ist es uninteressant oder wird direkt wieder ausgespuckt. Ebenso lassen sie sich nicht mit Spielzeug locken, wenn sie beschlossen haben, das für ihre Art Typische zu tun, nämlich sich hinzusetzen und die Umgebung zu beobachten.
Das kann dann auch mitten beim Spaziergang oder auf der Straße sein. Dabei versuchen sie sich ein genaues Bild auf Sicht- und Geruchsebene zu machen, um auch kleinste Veränderungen auf mehrere hundert Meter sofort zu registrieren. Geduld, Ausdauer und eine gehörige Portion Humor sind die besten Wegbegleiter bei der Erziehung eines Herdenschutzhundes. Wesentlich ist es, eine gute Bindung zum Hund aufzubauen. Trotzdem kann es vorkommen, dass beim Trainieren des Rückrufsignals der Herdenschutzhund gelassen seines Weges weiterzieht, als würde er denken: „Was soll das Theater, ich sehe dich, du siehst mich, was soll das nun?“. Da helfen auch klein geschnittene Käsewürfel nicht weiter. Nicht umsonst nehmen viele Hundeschulen keine Herdenschutzhunde auf.
Spätestens in der Pubertät wird aus dem niedlichen Kuschelbärchen dann ein Junghund, der alles hinterfragt und seine Grenzen testet. Wie alle anderen Hunde eben auch, nur, dass wir es bereits mit imposanten 40 - 60 kg-Hunden zu tun haben, die mehr als einmal nachfragen, wer denn jetzt die Entscheidungen trifft und die eine erstaunliche Sturheit an den Tag legen können. Leider landen in dieser Zeit sehr viele Hunde im Tierheim. Dabei wäre mit Konsequenz, souveränem Auftreten – was nicht mit hartem Drill zu verwechseln ist – und einer gehörigen Portion Liebe ohne zu vermenschlichen auch diese Zeit zu bewältigen. Das Wissen um ihre Besonderheiten schützt dabei vor der eigenen Überforderung und auch der des Hundes. Vergleiche mit „Normal-Hunden“ helfen nicht weiter. Suchen Sie sich besser direkt einen Trainer, der sich auch mit Herdenschutzhunden auskennt. Und wenn dann die Pubertät vorbei ist, hat man einen souveränen, besonnenen und unbestechlichen Freund an seiner Seite.
Nicht alle Herdenschutzhunde eignen sich dabei als ständige Begleiter und Bürohunde, aber ausgeschlossen ist das nicht. Für Hundesport sind sie allerdings nur schwer bis gar nicht zu begeistern. Ein sicher eingezäuntes Grundstück, auf dem sie zeitweise ihren Wach- und Schutztrieb ausleben können, sollte ihnen zur Verfügung stehen. Das macht es zumindest einfacher. Denn wie alle Hunde neigen sie bei Unterbeschäftigung und Stress zu dem, was sie am besten können – und das ist bei Herdenschutzhunden eben die Ressourcenverteidigung.
Martina Kamp, Tierheipraktikerin
19.08.2022
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