Warum so mancher Hund vor dem vollen Napf verhungert (2)
Im ersten Teil haben wir Ihnen die Physiologie des Hundes vorgestellt, die wesentlich für die Verdauung ist.
Im zweiten Teil gehen wir auf die Erkrankungen ein, die durch fehlerhafte Ernährung ausgelöst werden können.
Entzündliche Darmerkrankungen
Im Praxisalltag treffen wir immer häufiger auf Hunde, bei denen mäkeliges Fressverhalten, Schmatzen, Schlecken und Erbrechen bereits institutionalisiert sind und in wiederkehrenden Episoden auftreten. Während dieser Symptomatik wird der Hund unruhig, drängt nach draußen und frisst gierig Gras oder Erde. Vielleicht versucht er sich aber auch dadurch zu helfen, dass er sein Körbchen intensiv beleckt, den Teppich benagt oder durch das Fressen von Textilien versucht, sich Linderung zu verschaffen. In der Tiermedizin sind solcherlei Anfälle bekannt als „licky fits“, die im Zusammenhang mit entzündlichen Erkrankungen der Speiseröhre, des Magens oder des Darmes auftreten.
Der Krankheitskomplex der entzündlichen Darmerkrankung oder auch IBD („inflammatory bowel disease“) ist unter unseren Hunden sehr weit verbreitet, wird jedoch bedauerlicherweise von vielen Therapeuten nicht erkannt und nur oberflächlich symptomatisch therapiert. Die erkrankten Tiere werden zumeist nach einer erschöpfenden Odyssee aus Diagnostik und fehlgeschlagener Medikation in der ganzheitlichen oder ernährungstherapeutischen Praxis vorstellig.
Die chronische Darmentzündung des Hundes kann in drei Formen auftreten – als Entzündung des Dünndarms (Enteritis), als Entzündung des Dickdarms (Colitis) sowie als Mischform (Gastroenteritis).
Bei der Colitis zeigen die Patienten klassische Durchfall-Symptome wie Blähungen und Bauchschmerzen, wechselnde Kotmengen und -konsistenzen. Der Kot weist schleimige, manchmal auch blutige Beimengungen auf. Eine Dickdarmentzündung entsteht häufig nach einem schweren, unbehandelten Parasitenbefall, insbesondere nach einer Giardieninfektion. Aber auch intensive Antibiosen, allopathische Wurmkuren sowie oral verabreichte Präparate zur Vorbeugung eines Zecken- oder Flohbefalls können schwerwiegende Reizungen und schließlich auch Entzündungen der Darmschleimhäute hervorrufen.
Bei Patienten mit chronischer Dünndarmentzündung hingegen finden wir nur selten Durchfall-Symptomatiken oder auffälligen Kot – ihre Beschwerden sind insbesondere im Magen lokalisiert. Hier lassen sich neben einem veränderten Maulgeruch und dem typischen Schmatzen und Schlecken ein zwanghaftes Fressen von Gras und Erde sowie Erbrechen feststellen. Diese Tiere erregen unsere Aufmerksamkeit in den meisten Fällen durch ein wechselhaftes Fressverhalten: Phasenweise nehmen sie ihre Nahrung ganz unproblematisch zu sich, mit der Zeit werden sie jedoch zunehmend mäkeliger, bis sie ihr Futter irgendwann ganz verweigern. Sie benötigen zahlreiche Futterwechsel und können doch nie langfristig bei einer Ernährungsform bleiben.
Dies hat einen ganz plausiblen Hintergrund: Eine Dünndarmentzündung entsteht in den meisten Fällen als Folge von Fütterungsfehlern und Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Der Körper wird mit Substanzen konfrontiert, die er nicht verdauen kann. Insbesondere Getreidebeimengungen im Fertigfutter, aber auch die Hauptallergene wie Rind und Huhn rufen Schleimhautreizungen hervor.
Konfrontieren wir den Verdauungstrakt unseres Hundes mit für ihn unverdaulicher, entzündungsfördernder Nahrung und schädigen wir seine Immunabwehr und seine feinstrukturierte Darmflora darüber hinaus mit unnötigen Antibiosen und Wurmkuren, so kommt es zur Entzündung bestimmter Darmabschnitte und letztlich zu einer gravierenden Beeinträchtigung der Verdauungsleistung. Dabei ist es von der Konstitution und der Toleranzgrenze des Einzelorganismus abhängig, wann und in welchem Maße er auf die schädigenden Einflüsse reagiert.
Jedoch ist das Sensorium, der untrügerische Instinkt unserer Hunde, sehr wohl in der Lage, Zusammenhänge zu ziehen zwischen der Futteraufnahme und seinem körperlichen Wohlbefinden oder Unwohlsein. Hunde, die unverträglich auf ihre Nahrung reagieren, merken meist instinktiv, dass sie sich ihrer Toleranzgrenze nähern und beginnen, diese Nahrung zu meiden, um den schädigenden Einfluss auf ihren Körper so gering wie möglich zu halten. Eine selektive Futteraufnahme und eine gänzliche Futterverweigerung lassen die Schleimhäute zur Ruhe kommen und bewahren den Körper vor der Potenzierung seines Entzündungszustandes.
Übergehen wir diese instinktive Futter-Ablehnung nun oder psychologisieren wir sie zur Macke, zum missglückten Versuch eines Dominanzgerangels, so ignorieren wir den verzweifelten Kommunikationsversuch unseres Hundes, auf sein Leiden aufmerksam zu machen. Im Falle einer Darmentzündung ist eine Ernährungsumstellung eines der wichtigsten Therapeutika – man versucht damit, die gravierendsten Störfaktoren auszuschalten, den Entzündungsreiz abklingen zu lassen und den Körper zur Regeneration zu befähigen. Eine fundierte naturheilkundliche oder homöopathische Therapie liefert zuverlässige und nachhaltige Ergebnisse.
Fehlfunktionen der Bauchspeicheldrüse – Wenn das System ins Chaos stürzt
Vor allem bei Junghunden geht ein gestörtes oder auffälliges Fressverhalten häufig mit einer zugrundeliegenden Störung der Bauchspeicheldrüsenfunktion einher. Bei der Pankreas-Insuffizienz werden nicht ausreichend Verdauungsenzyme produziert und ausgeschüttet, so dass die aufgenommene Nahrung nicht vollständig aufgespalten werden kann. Sie passiert weitgehend unverdaut den Magen-Darm-Trakt und wird als beträchtlich große Kotmenge wieder ausgeschieden. Auf lange Sicht erleidet der Körper dadurch einen Nährstoffmangel, der besonders bei Hunden im Wachstum Folgeerkrankungen nach sich ziehen kann. Doch nicht nur das: Passieren unphysiologisch große Nahrungsbestandteile die Darmstrukturen, kann dies zu entzündlichen Reizungen an den Schleimhäuten führen und die Entstehung einer IBD/chronischen Darmentzündung begünstigen.
Nicht immer weist die körperliche Symptomatik jedoch den Weg zu einer gezielten Diagnostik und Therapie: Gerade Junghunde sind imstande, ihre Problematiken hervorragend zu kompensieren, so dass sie weder durch Gewichtsverlust noch durch große Kotmengen, weder durch einen reduzierten Allgemeinzustand oder durch Fellveränderungen auffällig werden. In vielen Fällen ist ein lustloses, wechselhaftes Fressverhalten der einzige Ansatzpunkt, der auf eine gestörte Bauchspeicheldrüsenfunktion verweist.
Dass ein so wichtiges Steuerungsorgan schon in jungen Jahren Schaden nehmen kann, hat zahlreiche Ursachen: Einen Anteil trägt sicherlich das intensive Prophylaxe-Management, dem die Hunde, gerade die Rassetiere, von Welpenbeinen an unterworfen werden – zwischen ihrer Geburt und dem Einzug in das neue Zuhause wird der noch unreife Verdauungstrakt durch zahlreiche chemische Wurmkuren geschädigt. Vor allem die konventionelle Giardien-Therapie steht im Verdacht, schwerste Schädigungen des Darmes und der Bauchspeicheldrüse hervorzurufen. Einen weiteren Anteil trägt das Fütterungsmanagement: Kaum ist das Tier imstande, feste Nahrung zu sich zu nehmen, wird es mit Fertigfuttermitteln konfrontiert. Statt dem sensiblen Darm die Möglichkeit zu geben, sich von der Muttermilch zu entwöhnen und schonend, Schritt für Schritt, Muskelfleisch und die anderen Komponenten der artgerechten Hundeernährung kennenzulernen, erhält der Welpe hochverarbeitete Nahrung, die enzymatisch tot und mit einem Chemiebaukasten an künstlichen Zusatzstoffen versetzt ist.
Dieses rücksichtslose Vorgehen schädigt und schwächt den Zellstoffwechsel, die Schleimhäute des Verdauungstrakts, die Darmflora und mit alledem das darmassoziierte Immunsystem. Es legt den Grundstein für therapieresistente Verdauungsstörungen aller Art und ist mitverantwortlich dafür, dass immer mehr Tiere heutzutage schwere allergische Konstitutionen entwickeln.
Genuss und Lebenskraft
Der ganzheitliche Blick erlaubt es uns, hinter die Kulissen zu blicken, Pauschalisierungen und Psychologisierungen beiseite zu wischen und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Unsere Tiere besitzen nur beschränkte Möglichkeiten, mit uns in Kontakt zu treten – verhaltensauffällig zu werden, ist eine Möglichkeit. Der Hund, der nicht frisst, kann es womöglich nicht aufgrund einer organischen Erkrankung oder einer handfesten Problematik, der wir mittels einer sorgfältigen Untersuchung, Anamnese und Abstraktion auf den Grund gehen können.
Es ist ebenso berührend wie beschämend zu sehen, wie viele Hunde erst nach einer Futterumstellung erleben dürfen, dass Fressen Genuss sein darf und nicht nur dazu dient, zu überleben. Wir Tierhalter haben es in der Hand. Mit der Wahl der richtigen Fütterung, dem Bekenntnis zur Natur unseres Hundes und zur eigenen Verantwortung legen wir den Grundstein für ein gesundes und unbeschwertes Hundeleben jenseits von leeren Werbeversprechen.
Franzisca Flattenhutter, Tierheilpraktikerin
01.12.2019
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