Blutegel

Blutegel im "Aquarium"Meine erste Begegnung mit Blutegeln war während meiner Ausbildungszeit zum Tierheilpraktiker. Schnell war ich von ihren unglaublichen Fähigkeiten überzeugt. Gedacht, getan – und schon hatte ich die ersten zwölf Hirudo medicinalis, medizinische Blutegel, bei einer Blutegelfarm bestellt. Und dann kamen sie …

Angeliefert in einem feuchten Leinensäckchen in einer Styroporverpackung, damit die Tiere auch den Transport unbeschadet überstehen. Das Leinensäckchen war verschnürt mit einer kleinen Kordel. Und ich hatte einen Behälter mit stillem Mineralwasser und dazu ein Haushaltssieb bereitgestellt. Denn erstmal sollten die Egel abgeduscht werden. Das hatte ich so gelernt.

Blutegel in der Badewanne

Also ab ins Badezimmer und dann vorsichtig die Kordel gelöst. Was ich nicht geahnt hätte – Blutegel, besonders hungrige, sind schnell. Und halten sich fest. Dafür haben sie sowohl vorne als auch hinten einen Saugnapf. Und während noch die eine Hälfte sich am Leinensäckchen festsaugte und partout nicht rauszuschütteln war, wollte die andere Hälfte einfach nicht im Sieb auf ihre Dusche warten. Sie begannen stattdessen eine Wanderung durch die Wanne und hatten mit ihren Saugnäpfen auch keinerlei Schwierigkeiten, die Wand hinaufzuklettern, im Turbotempo. Das Leinensäckchen hatte ich mittlerweile in die Wanne fallen gelassen, was die restlichen Egel animierte, sich der Wanderung anzuschließen.

Also versuchte ich jetzt die Blutegel mit dem Fingernagel abzulösen, um sie doch noch im Sieb zu platzieren. Dank des glatten Wannenrandes ging das auch recht gut. Bedauerlicherweise waren meine Finger nicht annähernd so glatt und boten eine gute Ansatzfläche.  Dazu kam, das ich nicht unterscheiden konnte, welche Seite die nur mit Saugnapf war und welche die mit Saugnapf und Zähnen. Dann klingelte zu allem Überfluss auch noch der Postbote. Mit zwei Egeln an den Fingern rannte ich zum Fenster und rief: „Komme gleich“. Mittlerweile hatte ich Panik, dass die Egel jetzt mich beißen würden – noch ungeduscht, als Frühstück. Und wenn ich sie nicht sofort einfinge als nächstes meine Katzen, die definitiv für eine solche Attacke zu wenig Blut hätten. 8 Minuten später war das Sieb kaputt – ich hatte den letzten Egel raus klopfen wollen – die Handtücher im Badezimmer verstreut, eine Wasserlache auf dem Boden – Blutegel lassen sich aus Sieben auch nicht rausspülen, nur falls es jemanden interessiert. Aber die Egel waren endlich im Behälter verstaut, der mitten auf dem WC das Chaos überragte.

Was du nicht kennst, macht dir Angst

Mittlerweile bin ich souveräner im Umgang mit Egeln. Die erste Lektion der kleinen Helfer war:  „Was du nicht kennst, macht dir Angst.“ Und so begann ich mich intensiv mit ihnen zu beschäftigen. Eine solche Panik meinerseits beim Ansetzen hätte jedes Pferd in die Flucht geschlagen und auch dem geduldigsten Hund ein Zähneblecken entlockt.

Dabei gibt es Blutegel schon lange. Mit mindestens 450 Millionen Jahren kann man hier zurecht von einem Erfolgsmodell der Natur sprechen. Menschen kommen im Vergleich noch nicht einmal auf eine Million Jahre Geschichte und auch die Vorfahren unserer Pferde gerade mal auf 60 Millionen Jahre. Viele der älteren Menschen unter uns erinnern sich noch, dass sie als Kinder nach einem Bad im Teich auch Blutegel am Körper hatten. Das spricht übrigens für die naturbelassene Nahrung der damaligen Zeit – aber dazu später. 

Blutegel

Blutegel sind Zwitter und haben sage und schreibe 9 Hodenpaare. Zur Fortpflanzung brauchen sie aber einen Geschlechtspartner. Die nahen Verwandten der Regenwürmer sind erst mit 3 Jahren fortpflanzungsfähig. Dabei haben sie eine Lebenserwartung, die unseren Pferden ähnelt, stolze 30 Jahre kann so ein Egel werden. In ihren drei strahlenförmig angeordneten Kiefern befinden sich jeweils 80 Kalkzähnchen. Damit hinterlassen sie kleine, rasch verheilende Narben, die an Mercedes-Sterne erinnern.

Unterscheiden kann man einen medizinischen Blutegel von anderen seiner Gattung, wie beispielsweise dem Pferdeegel, an seinen „Ralleystreifen“ rechts und links am Rumpf. Egel bewegen sich im Wasser sehr flink und geschickt. Ihre therapeutischen Fähigkeiten waren schon vor Christus bekannt, und die machten sie zu so begehrten Objekten, dass sie fast ausgerottet wurden. Man übertrieb es allerdings in der Mitte des 19. Jahrhunderts und setzte bis zu 100 Blutegel an einem Menschen an. Durch dieses Fehlverhalten nach dem Motto „Viel hilft viel“ geriet die Blutegeltherapie in Verruf und leider auch in Vergessenheit. Chemische Verbindungen – mit all ihren Nebenwirkungen – rückten bei Therapien in den Vordergrund. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass sich diese besser vermarkten lassen als Blutegel, die man früher selber sammeln konnte. Mittlerweile erinnert man sich an die kleinen Helfer und ihre Wildform steht in Deutschland unter Naturschutz.

Was können die "kleinen Helfer“?

Die Egel geben mit ihrem Speichel viele verschiedene Substanzen in die Blutbahn des Gastwirtes ab. Am intensivsten erforscht ist das Hirudin. Es gilt als blutgerinnungshemmend, antithrombotisch, gefäßkrampflösend und lymphstrombeschleunigend. Das Calin verhindert, dass die Blutplättchen aneinander kleben und ist mit verantwortlich für die lange Nachblutung. Weitere Stoffe, wie das Egelin, können Entzündungen und Schmerzen lindern. 

Dreizehn verschiedene Speichelinhaltsstoffe sind bisher gefunden worden, aber der Egel hat seine Geheimnisse noch längst nicht alle preisgegeben. Und wie so oft gilt auch hier: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Wenn ich alle Stoffe isolieren und einsetzen würde, hätte ich trotzdem nicht so gute Erfolge wie mit der Blutegeltherapie. Dazu zählt sicher ebenso der minimal chirurgische Eingriff an der Ansetzstelle wie auch der „kleine Aderlass“.  Die Natur weiß eben den Weg.

Man hat beobachtet, dass Rinder und Schafe sich gezielt in Gewässer begeben, in denen Blutegel sind. Der Tausch heißt: Ein paar Milliliter Blut gegen heilende Substanzen. Dass Tiere das instinktiv und gezielt machen, erklärt mit die lange Überlebenszeit der Blutegel. Denn sie sind keine Schmarotzer, sondern tatsächlich „Kleine Heiler“. Nur leider kommen unsere Haustiere von selber nicht mehr an diese Mini-Therapeuten heran.

Blutegel in der Therapie

Ob Hufrehe beim Pferd oder Arthrose beim Hund, ihre Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig.

Bei Tieren mit einem Körpergewicht unter zehn Kilo sollte man auf die Blutegeltherapie verzichten. Ich selber habe Egel bei Hunden und Pferden angesetzt und mittlerweile weiß ich auch die Vorzüge eines Gummihandschuhs zu schätzen. Damit lässt sich der Egel sehr gut dort platzieren, wo ich ihn haben möchte, und hygienisch handhaben.

Wenn ich punktuell bestimmte Stellen behandeln möchte, dann ritze ich die Haut ein wenig an und die Egel setzen sich sofort auf diese Blutspur. Ihren Biss nimmt der Hund oder das Pferd übrigens kaum wahr, denn die Blutegel haben eine betäubende Substanz im Speichel. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, es ist ungefähr wie ein Ameisenstich und wenn sie dann angedockt haben, merkt man sie gar nicht mehr.

In der Regel dauert eine Blutegelbehandlung ungefähr eine Stunde. Aus der Wunde rinnen dann noch 4-16 Stunden kleine Bluttröpfchen. Der Egel nimmt beim Einsatz 20-50 ml Blut auf, und etwa genauso viel blutet nach. Durch das lange Nachbluten wird die Wunde sauber gehalten und Infektionen sind selten.

Der „Blutegeltest“

Komplikationen beim Ansetzen gibt es aber vor allem wenn das Blut nicht „frei von künstlichen Zusätzen“ ist. Beim Menschen bedeutet dies: vorher nicht rauchen und auch keine parfümierten Seifen oder Deos benutzen. Bei unseren tierischen Patienten gibt es Probleme, wenn zum Beispiel mit Cortison behandelt wurde. Auch eine Cortisonsalbe am anderen Ende des Pferdes, zwei Tage vorher eingesetzt, ist für die Egel schon ein Grund, das angebotene Blut zu verschmähen. Bei einem Hund, der mit Trockenfutter ernährt wird und zusätzlich viele bunte Leckerchen bekommt, bleiben die kleinen Helfer auch schon mal lieber abstinent. Das sollte uns zu denken geben, denn schließlich haben die Blutegel mit dieser Strategie schon lange überlebt. Ich nenne es gerne „den Blutegeltest“ auf unnatürliche Substanzen im Blut.

Blutegel sind übrigens sehr genügsam. Haben sie sich entschlossen, das Blut anzunehmen, dann kommen sie mit einer Mahlzeit bis zu anderthalb Jahre aus. Und auch dem angezapften Tier geht es normalerweise schon nach nur einer Behandlung erheblich besser. Damit lässt sich nicht viel verdienen. Kein Wunder also, dass die Blutegel-Therapie fast ausschließlich von Tierheilpraktikern angeboten wird. Oder kennen Sie einen Tierarzt, der das macht?

Blutegel darf man aus hygienischen Gründen nicht wieder verwenden. Empfohlen wird das Einfrieren als sanfter Tod. Aber es gibt auch eine Blutegelfarm, die einen Rentnerteich hat und sie wieder zurücknimmt. Ich selber habe ein Aquarium, indem ein Teil meiner „kleinen Helfer“ bei mir zu Anschauungszwecken lebt und mit Blut vom Schlachthof nachgefüttert wird. Ich bin froh, diese Helfer an meiner Seite zu haben. Und falls Ihr Tierheilpraktiker Ihnen einmal empfiehlt, begleitend über eine Blutegeltherapie nachzudenken … wird Ihr Tier mit natürlicher Ernährung, ergänzt durch organisch gebundene Mineralien und Kräuter, auch den „Blutegeltest“ bestehen. 

Martina Kamp, Tierheilpraktikerin

06.08.2017

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