Heuwiesen am Rennsteig

im Thüringer Wald

Anfang Juni begaben wir uns auf eine Exkursion in den Thüringer Wald, nach Friedrichshöhe am Rennsteig. Wir waren zu viert: Manfred Heßel, Diplom-Ökologe, Bernhard Demel, Diplom-Ökologe, Dr. Frank Saßmanshausen, Diplom-Ökologe und Forstwissenschaftler, Klaus-Rainer Töllner, Biologe.

Wir waren vom Landschaftspflegeverband „Thüringer Wald e. V.“ eingeladen.
Der Verein widmet sich der Durchführung und Förderung von landschafts-pflegerischen und gestalterischen Maßnahmen, die aus Gründen des Artenschutzes veranlasst sind. Dies betrifft hauptsächlich die Erhaltung und Pflege artenreicher Bergwiesen, die Förderung naturnaher Waldbestockung und die Sicherung sauberer, unverbauter Gewässer im Gebiet des Naturparks Thüringer Wald.

Wir wurden sehr herzlich empfangen. Zuerst mussten wir uns an die alles umgebende Stille in dem ruhig und abseits gelegenen Dorf gewöhnen. Wir waren angereist, um das Artenspektrum der Wiesen im Naturschutzgebiet zu untersuchen und zu dokumentieren. Wegen der langen Trockenheit im Mai war das Wachstum sehr zurückgeblieben.

Mein erster Eindruck war, jetzt haben die ja doch schon gemäht. Verglichen mit den mastigen Wiesen des Müns­terlandes, zeigten die ungedüngten Bergwiesen kaum Biomasse.

Mit uns kam auch der Regen nach Thüringen, und es regnete richtig. Das war zwar nicht geplant, aber wir waren auch dafür gerüstet. So machten wir uns auf und untersuchten verschiedene Wiesen auf Hochflächen, in Hanglagen, Bachauen und Waldwiesen. Dort wurde jeweils eine Referenzfläche von 5 x 5 m abgesteckt und innerhalb dieses Quadrates wurde genau notiert, welche Arten vorkommen und nach einem wissenschaftlichen Schlüssel, der Braun-Blanquet-Skala, in eine Tabelle eingetragen.

Mit dieser Arten­tabelle kann man dann das Inventar der verschiedenen Wiesen vergleichen, die Ähnlichkeiten oder Unterschiede anhand der Artenliste herausarbeiten und die verschiedenen Wiesentypen klassifizieren. Neben der Artenzahl gibt diese Skala auch Auskunft über die Artmächtigkeit und den Deckungsgrad. Ob nur ein einzelnes Exemplar gefunden wurde oder ob die Arten mit 5 %, 12 % oder 25 – 50 % oder mehr Prozent an der Gesamtdeckung der Reverenzfläche beteiligt sind, kann man aus der Aufnahmetabelle entnehmen.

Die Böden am Rennsteig sind relativ sauer, das Ausgangsgestein ist Schiefer. Im Gegensatz zu den Kalkmagerrasen, die zu den artenreichsten Pflanzengesellschaften zählen, findet man auf den mineralstoffreichen, säurebetonten Flächen wenige, sehr spezialisierte Arten. Die Flächen hatten 2011 zwischen 13 und 41 Arten. Auffallend dabei ist die relativ gleichmäßige Verteilung und Deckung; nur ganz wenige Arten erreichten einen Deckungsgrad von mehr als 25 %. Viele Arten, die auf den Fettwiesen der Ebene zu mächtigen Exemplaren heranwachsen, mussten hier genau bestimmt werden, weil der magere Habitus nicht ihrem und uns gewohnten Erscheinungsbild entsprach. Der lichte Gräserbestand gibt in diesen Wiesen auch niedrigen Gräser und Kräutern eine Chance.

Kennzeichnend für die Bergwiesen im Thüringer Wald ist die aromatisch duftende Bärwurz, Meum athamanticum, der als Heilpflanze vielseitig eingesetzt wurde, und der anderenorts wegen des Düngereinsatzes in der Landwirtschaft stark zurückgedrängt wurde. Bärwurz ist ein Doldengewächs, sein Duft ist intensiver als Dill und weniger penetrant als Liebstöckel. Anders als der Dill behalten die filigranen Bärwurzblätter ihr Aroma auch nach dem Trocknen. Die Bärwurzblätter sorgen mit für die intensiven Aromen des Bergheus. Dass die Pflanze nichts mit Bären zu tun hat, verraten ihre weiteren Name Mutterkraut oder Gebärkraut. Bärwurz wurde bei Gebärenden eingesetzt.

Ganz besonders geschützt: die Arnika (Arnica montana)

Diese gefährdete Rote-Liste-Art genießt auf den ökologisch bewirtschafteten Wiesen einen besonderen Schutz. Arnika wächst so üppig, dass man gar nicht das Gefühl einer Gefährdung hat. Hier wird erst gemäht, wenn Arnika verblüht und ausgesamt hat. Die Arnikapflanze bildet das Signet des Naturparks Thüringer Wald. Ins Heu gelangen also nur die Stängel. Arnika bildet am Boden Blattrosetten, die vom Mähwerk nicht erfasst werden, sie sind also durch den Heuerwerb nicht beeinträchtigt. In den intensiv bewirtschafteten und gedüngten Talwiesen verdrängt der Löwenzahn die Arnika. Hier offenbart sich die so oft wiederholte Problematik, denn auch Arnika ist ein Stickstoffflüchter.

Heilkundlich genutzt werden in ers­ter Linie die Blüten der Arnika. Sie wirken antibakteriell, entzündungshemmend, krampflösend und schmerzstillend. Früher wurden vor der Mahd große Mengen an Blüten gesammelt und getrocknet. Das im Heu verbleibende Kraut enthält die Wirkstoffe weniger konzentriert, sie sind aber für den Organismus ein wichtiges Immunstimulanz. Die wiederholt vorgebrachte hautallergene Wirkung ist inzwischen wissenschaftlich widerlegt (Dermatologie Uni Freiburg).

An etwas trockeneren Stellen, an den der Sonne zugewandten Hängen, wachsen Polster von wildem Thymian oder Quendel (Thymus serpyllum). Wie der große Bruder hilft der Wilde Thymian bei Verschleimung und Bronchialproblemen, er beruhigt den gereizten Darm und reduziert Fehlgärungen und verhindert Aufblähungen.

Die rundblättrige Glockenblume, Campanula rotundifolia, weist mit ihren Vorkommen immer auf mageren, stickstoffarmen Boden hin. Ihre Blattrosetten wurden früher, ebenso wie die der Rapunzelblättrigen Glockenblume, Campanula rapunculus, als Salat (Rapunzel) gegessen.
Die Ährige Teufelskralle, Phyteuma spicatum, ist heute sehr selten geworden. Wie viele andere ursprünglich häufige Wiesenpflanzen hat die Stickstoffdüngung sie aus den Wiesen vertrieben. Sie gehört zur Familie der Glockenblumen und darf nicht mit der Afrikanischen Teufelskralle verwechselt werden, die zu den Sesamgewächsen zählt. Beim flüchtigen Betrachten kann man die Teufelskralle mit dem Spitzwegerich Plantago lanceolata verwechseln. Dem echten Johanniskraut, Hypericum perforatum, ist der Boden hier zu nass, dafür fühlt sich das deutlich kleinere gefleckte Johanniskraut, Hypericum maculatum, in dieser Region sehr wohl. Es verfügt über weniger Öldrüsen als das echte Johanniskraut und entwickelt nur ätherisches Öl. Doch auch das gefleckte Johanniskraut enthält zahlreiche Vitalstoffe und Immunstimulanzien. Die Photosensibilität steigert es nicht.

Ich freue mich immer, wenn ich in einer Wiesengesellschaft den Frauenmantel, Alchemilla vulgaris, entdecke. Frauenmantel ist nicht besonders spezialisiert, kennzeichnet also keine spezielle Wiesengesellschaften, aber nach meinen Beobachtungen zeigt er intakte Standorte an. Viele regionale Namen beziehen sich auf den Einsatz in der Frauenheilkunde. Die Bauern schätzten den Frauenmantel als heilkräftiges und nahrhaftes Futterkraut für Milchvieh und für Pferde.
Er lässt die Tiere nicht nur schneller trächtig werden, sondern verbessert auch die Heuqualität und heilt Kolik und Durchfall. Heilkundige loben das Kraut vor allem als Kraftfutter für Muttertiere: Sie kommen nach der Geburt schneller wieder zu Kräften und können ihre Jungen besser mit Milch versorgen, wenn sie gut mit Frauenmanteltee versorgt werden.
Wir fanden auch Schafgarbe, Weißklee und Sauerampfer, die sich aber nicht als dominierende Pflanzen durchsetzen konnten.

Auch außerhalb der untersuchten Wiesen und Reverenzflächen gab es eine erstaunliche Artenvielfalt von Flora und Fauna. Das Jakobskreuzkraut hat in diesen Wiesengesellschaften keine Chance, wir fanden es auch nicht an den Straßenrändern, obwohl es in 20 km Entfernung die Autobahn, wie fast überall, begleitet.
Der Aufenthalt am Rennsteig war für uns eine Bereicherung, ich bin einigen Pflanzen begegnet, die ich bisher nur von Abbildungen kannte.

Diese Wiesen sind Zeugen einer alten Kulturlandschaft. Die Vielfalt der Arten und ihr Miteinander sorgen für ein ausgewogenes Kräfteverhältnis, in dem keine Art dominiert. Der Mensch pflegt diese Wiesen durch die jährliche Mahd, sonst würden die Flächen vom Wald zurückerobert. In ihrer Vielfalt und in ihrer Ausgewogenheit unterscheiden sich diese bunten Wiesen vollkommen von mastigen, gedüngten Grasäckern. Der Naturschutzstatus dieser Gemeinschaft, dieser Ökosysteme, kann hier gar nicht hoch genug bewertet werden. Wer je erlebt hat, wie schwierig es ist, auf einer Wiese oder Weide wieder Kräuter zu etablieren, wird den hohen Wert ermessen können.

Manfred Heßel (2012)

04.09.2017

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