Freilebende Koniks Teil 2

- die Rasse "Konik Polski"

Koniks im größten polnischen Reservat bei Popielno, in einem Bruchwald am Sniardwy-See.

Die letzten europäischen Wildpferde bezeichneten die russischen Bauern als „Tarpane“, was ihnen schließlich den Namen gab. Da die wilden Hengste Hauspferdehengste angriffen und die Herden die wertvollen Heuvorräte vernichteten, waren sie nicht beliebt. Über die Jahrhunderte wurden solche wilden Pferde von Dänemark bis Litauen beschrieben und als Fleischlieferanten gejagt. Der vermutlich letzte frei lebende südrussische Tarpan wurde 1879 nahe Askania Nova erlegt.

Jedoch hatten Wildhengste immer wieder Hauspferdestuten gedeckt. Um 1780 wurden Tarpane im Gebiet des Bialowieza-Urwaldes an der polnisch-russischen Grenze gefangen und in einem Wildpark nahe Bilgoraj gehalten. Als der Wildpark 1806 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, wurden die nutzlosen Wildpferde an die umliegenden Bauern verschenkt. Nur diese kleinen, zähen Pferde kamen mit den kargen Bedingungen und der extremen Witterung dort klar, im Winter oft ohne Stall und ohne Kraftfutter. Sie waren für die bitterarmen Bauern als Arbeitspferde ideal geeignet. Es fand daher kaum eine Vermischung mit Hauspferden statt.

 Herde des Hengstes Trzmiel am Heu-Futterplatz im Konik-Reservat und Naturschutzgebiet Popielno.

Wissenschaftliches Interesse

1902 wurden die den Tarpanen ähnlichen Bauernpferdchen erstmals als Lokalrasse wissenschaftlich beschrieben, von 1914 bis 1921 schließlich von zwei jungen Wissenschaftlern näher untersucht. Ab 1923 nahm sich Tadeusz Vetulani, später Professor an der Universität Poznan (Posen), dieser „polnischen Primitivpferde“ an. Er prägte ihren heutigen Namen Konik Polski, der „polnisches Pferdchen“ bedeutet. Vetulani erkannte den genetischen Wert dieser Tiere als direkte Nachkommen der Tarpane – was andere Wissenschaftler stark bezweifelten. Dabei war er davon überzeugt, das Konik sei eine Anpassung an das Leben im Wald und unterschied diesen Waldtarpan vom ausgerotteten russischen Steppentarpan.

Koniks im größten polnischen Reservat bei Popielno: Herde des Hengstes Osowiec auf den alten Wiesen am Waldrand.

1933 begann er mit der gezielten Rückzüchtung der Wildpferde, um alles eingeflossene Hauspferdeblut zu entfernen. Ab 1936 hielt und züchtete Vetulani Koniks frei lebend und von wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet in Reservaten. Niemand hat mehr stichhaltige Informationen über diese Pferde gesammelt als die polnischen Wissenschaftler.

Den Professoren Tadeusz Jezierski (Tierzuchtexperte, Verhaltensforscher) und Zbigniew Jaworski (Gestütsleiter der Reservatszucht und des Konik-Staatsgestüts Popielno) verdanken wir eine Zusammenfassung des polnischen Wissens in deutscher Sprache: „Das Polnische Konik“, 2008 im Verlag Westarp Wissenschaften erschienen, ist ein Buch, das jeder Halter von Robustpferden gelesen haben sollte. Sowohl der holländische Naturschutz als auch der Tierpark Warder für vom Aussterben bedrohte Hautierrassen in Schleswig-Holstein (der wiederum Tiere an den deutschen Naturschutz verkauft), kauften Koniks aus dem größten polnischen Reservat und Staatsgestüt Popielno bei Prof. Jaworski und Prof. Jezierski.

Zucht

Die genetische Basis der polnischen Koniks ist sehr eng. Die Zahl der geeigneten Tiere für die Rückzüchtung war von vornherein begrenzt. Vetulanis Rückzüchtungs-Experiment in Bialowieza basierte auf nur 15 Stuten und 4 Hengsten, die im Wesentlichen die Basis der heutigen Konikzucht geblieben sind. Die Wirren des zweiten Weltkriegs haben fast alle Aufzeichnungen zur Abstammung zunichte gemacht. Die deutschen Besatzer waren an der Zucht der Koniks sehr interessiert. Viele wertvolle Koniks wurden am Ende des Krieges mitsamt ihrer polnischen Betreuer nach Norddeutschland verschleppt und später von den britischen Besatzern nach Polen zurückgeschickt. Trotzdem blieb die Abstammung der verstreuten und nur zum Teil wiedergefundenen Tiere zumeist verloren.

Der Inzuchtfaktor ist bei den Koniks grundsätzlich hoch. Das polnische Zuchtbuch trägt dem Rechnung und bemüht sich um genetische Vielfalt bei den Anpaarungen bei gleichzeitig harter Selektion auf gesunde Tiere. Beachtenswert ist die hohe Fruchtbarkeit und Lebensdauer der Reservatspferde unter den harten klimatischen Bedingungen in Masuren (ehemals Ostpreußen) mit seinen schneereichen, eisigen Wintern. 1995 lag das Alter der zehn langlebigsten Stuten der Reservatsgruppe Popielnos zwischen 21 und 33 Jahren, wobei jede Stute mindestens 13 und maximal 25 Fohlen zur Welt gebracht hatte.

Der Reservats-Hengst Osoviec (oben), hier auf dem Foto im Alter von 27 Jahren, und eine seiner Stuten (unten) hochtragend am Ende des besonders harten Winters im April 2006 im Reservat Popielno.

Alle in Polen zur Zucht zugelassenen Tiere werden genau beurteilt und müssen einen Leistungstest bestehen. In der Vergangenheit wurde besonderer Wert auf die Zugeigenschaften gelegt.

 

Die Kutsche, mit der wir im April 2006 zu den Koniks ins Reservat gefahren sind. Die beiden Wallache aus dem Konik-Staatsgestüt Popielno erwiesen sich als hervorragende, energische Fahrpferde.

Es wurde und wird aber auch auf Reiteigenschaften geprüft. Die leistungsgeprüften Koniks erbrachten nach Jezierski und Jaworski (1995) bei einer durchschnittlichen Widerristhöhe der Stuten von 133,2 cm und der Hengste von 134,5 cm beispielsweise im Freispringen Höhen bis zu 140 cm und unter dem Sattel bis zu 115 cm – eine beachtliche Leistung. Die Qualität der Koniks liegt aber mehr auf Dauerleistung in Distanzen vor dem Wagen oder unter dem Reiter bei guter Dauergeschwindigkeit vor allem im Schritt und Trab.

Da heute in Polen die Pferde in der Landwirtschaft zunehmend durch Maschinen ersetzt werden, kann das polnische Konik jetzt als Freizeitpferd die Stellung eines „polnischen Reitponys“ einnehmen. Es werden keine Spitzenleistungen angestrebt, sondern der primitive Typ und seine Nutzungseigenschaften sollen erhalten werden. Wer sich einmal polnische Koniks vor der Kutsche oder unterm Sattel anschauen möchte, findet auf youtube anschauliche Videos.

Konik unterm Sattel und an der Hand mit zirzensischen Lektionen: http://www.youtube.com/watch?v=3rxhuIZ-uNM

Zuchtgeschichte, alle Jahreszeiten im Reservat, Zucht, Interview mit Prof. Jaworski, Prüfungen u.a.m.: http://www.youtube.com/watch?v=Ww-BH6UfSWM

Koniks im Fahrparcours: http://www.youtube.com/watch?v=HSWCQHdS_rw

Genetik

Im Jahr 2002 veröffentlichten Jansen et al. die Ergebnisse einer breit angelegten Untersuchung der Muttelinien heutiger Hauspferde, wilder Pferde und ausgestorbener Pferde. Die Wissenschaftler hatten dasjenige Erbgut der Pferde untersucht, das fast immer nur von der Mutterstute weiter gegeben wird, weil es nicht über den Zellkern vererbt wird. Die Rede ist von der Mitochondrien-DNS (mDNS), also des genetischen Materials der Mitochondrien der Eizellen.

Mitochondrien sind Zellorganellen, die man als die Kraftwerke der Zellen bezeichnen kann. Sie sind für die Bereitstellung der Energie in der Zelle verantwortlich. Sie haben ihr eigenes Erbgut, das unabhängig vom Zellkern vermehrt wird. Spermazellen enthalten nur extrem selten (statistisch berechenbar) Mitochondrien, weshalb fast immer das Muttertier diese Eigenschaften vererbt. Damit ist dieses Erbgut ideal geeignet, um die Verwandtschaft und Herkunft von Mutterlinien zu untersuchen.

Ein Ergebnis der Veröffentlichung war, dass Koniks (www.konikpolski.info), Sorraia-Pferde (www.sorraia.org) und einige besondere nordamerikanische Mustangherden (z. B. die Sulphur Spring Mustangs, www.americanspanishsulphur.org) einer genetischen Gruppe angehören, die sich in keiner anderen Mutterlinie findet. Diese drei „Rassen“ scheinen vom gleichen Vorfahren abzustammen, vermutlich dem Tarpan, und dieser Vorfahr fand in keine Hauspferde-Mutterlinie Eingang. Damit stellen diese Pferde genetisch eine Besonderheit dar. Vetulanis Beobachtung und Überzeugung findet hier eine späte Bestätigung. Tatsächlich finden sich unter den Koniks in Popielno und in den von ihnen abstammenden Inzuchtgruppen in Naturschutzgebieten in Deutschland nicht selten Nasenlinien, die man sonst bei Sorraiapferden findet und die den Steppenpferden als Vorfahren der ramsköpfigen Pferde zugeschrieben werden.

Konvexe Nasenlinien, also der Ansatz zum Ramskopf, gilt als ein Merkmal der Sorraia-Pferde und der wilden Steppenpferde, von denen die ramsköpfigen Hauspferde abstammen sollen. Wie das Bild aus Popielno (oben) und die Aufnahme aus der Fanganlage in Schäferhaus (links) zeigen, findet man diese Nasenform nicht selten bei den reinrassigen Koniks.

 

 

 

Das mongolische Wildpferd (Przewalski-Pferd, Takhi www.takhi.org) ist nach den genetischen Untersuchung eine ganz eigenständige Gruppe, die mit keiner anderen Pferdelinie verwandt ist, auch nicht mit den tarpanoiden Rassen. Schon gar nicht kann es als Urahn gelten.

Lebensraum

Eine andere Annahme Vetulanis ist heute sehr fraglich, und zwar seine Überzeugung, Koniks seien Waldtarpane, worunter er Waldbewohner verstand. Die Professoren Jezierski und Jaworski berichteten 2008 in ihrem Buch Das Polnische Konik:

 „Kownacki (1959; 1962b) untersuchte die Anpassung der Koniks an die Boden- und Biotopbedingungen in der Reservatzucht anhand von Veränderungen im Mineralstoffgehalt von Hufhorn und Fellharen. Er konnte in der ersten Periode der Reservatszucht in Popielno, als die Koniks in einem größtenteils morastigen Gebiet am Ufer des Sniardwy-Sees [s. Abb. unten] gehalten wurden, ein im Vergleich zu den Stallkoniks weitgehendes Defizit an Mineralstoffen im Hufhorn feststellen (Kownacki 1959). Die Reservatskoniks hatten zu dieser Zeit um die Hälfte weniger Mineralstoffe im Hufhorn als die Stallkoniks. Bezüglich Härte und Abreibungsresistenz sowie morphologischer Struktur und Aminosäurezusammensetzung unterschieden sie sich dagegen nicht von den Stallkoniks. Nach der Umsetzung der Koniks in einen höher gelegenen Teil des Reservats, wo es weniger Morastgebiete gab, hat sich der Gehalt an Mineralelementen im Hufhorn verbessert, doch hatten die Reservatskoniks weiterhin weniger Kalium, Natrium und Magnesium als die Stallkoniks sowohl im Hufhorn als auch in den Fellhaaren. Es konnten dagegen keine signifikanten Unterschiede im Gehalt an Kalzium, Mangan, Eisen, Aluminium und Silizium im Hufhorn festgestellt werden. In den Fellhaaren hatten die Reservats- Pferde sogar etwas mehr Aluminium und Eisen als die unter Stallbedingungen gehaltenen Koniks (Kownacki 1962b). Der letztgenannte Autor hat aufgrund seiner Untersuchungen sowie einiger Verhaltensbesonderheiten der Koniks im Waldrevier die Hypothese über den Waldtarpan von Vetulani angezweifelt (Kownacki 1984). Da die Koniks schon nach einer, stammesgeschichtlich betrachtet, sehr kurzen Zeit des Daseins im Waldbiotop ungünstige Veränderungen im Mineralgehalt von Hufhorn und Fell aufweisen, kann nach Kownackis Meinung bezweifelt werden, ob der Waldtarpan zu irgendeiner Zeit überhaupt existierte. Hinzu kommt, dass die Koniks, die im Waldrevier in Popielno gehalten werden, das Walddickicht eher meiden und sich öfter am Waldrand, auf Kahlschlägen, Waldlichtungen, Waldwiesen bzw. Schneisen und anderen offenen Flächen aufhalten. Gelegentlich nur suchen die Reservatskoniks im dichten Wald vor unbekannten Stimuli Zuflucht. Auf morstigem Untergrund bewegen sich die Koniks etwas unbeholfen und es passierte mehrmals, dass sie in einem solchen Gebiet ertranken. Nach Kownacki (1984) sind dies Beweise, die die Hypothese Vetulanis von einem echten Waldtarpan in Frage stellen. Die Tarpane waren nach Kownacki (1984) eher Steppentiere, die gelegentlich in Waldgebieten Zuflucht vor dem Menschen suchten. (…)

Die Bevorzugung des offenen Geländes beim Grasen deutet darauf hin, dass die Koniks eher von Ahnen stammen, die in Steppengebieten lebten. Dieses Verhalten spricht also gegen die Theorie ihrer Abstammung vom Waldtarpan.“ (Jezierski, T.; Jaworski, Z. (2008), S. 145-146 und S. 181).

Der ausgedehnte Verlandungsbereich eines kleinen Sees innerhalb der Halbinsel bei Popielno zeigt ein Hochseggenried, also große Büschel von hochwüchsigen Sauergräsern, seeseitig mit Birkenbruchwald, landseitig vor den Kiefernwald vorgelagert. Insgesamt ein sehr armer, saurer Standort, typisch für die waldreiche Seenlandschaft von Masuren.

Der Birken-Bruchwald am Sniardwy-See. Moos, altes Laub und Seggen (Sauergräser) dominieren den Unterwuchs im Frühjahr.Koniks halten sich eher auf offenen Flächen auf. Hier wurden sie durch Kahlschlag des Waldes künstlich erzeugt, um den Koniks im Reservat Popielno mehr Futterflächen zu verschaffen.

Die von den Betreuern als "Neue Weiden" bezeichneten Flächen, von Menschenhand durch Kahlschlag geschaffen.Die "Alten Wiesen" im Reservat Popielno wurden ursprünglich ebenfalls durch Kahlschlag des Waldes künstlich erzeugt. Die Koniks verhindern eine erneute Bewaldung der Fläche durch intensiven Verbiss.

Die "Alten Wiesen" im Reservat Popielno.Koniks findet man selten im Wald oder in dichtem Unterholz, wo sie nur zeitweise Schutz suchen, z. B. vor Insekten oder der Witterung. Häufiger sieht man sie in der aufgelichteten Landschaft.

Koniks im Naturschutzgebiet Schäferhaus.

Ein Beispiel soll verdeutlichen, wie verwirrend die Wahl der Umgebung durch ein Wildtier sein kann: In Deutschland lebt der Rothirsch im Wald. Um eine Waldverjüngung aus Keimlingen zu ermöglichen, wird das Rotwild mit Zäunen aus dem Wald ausgesperrt. Viele würden sagen, der Rothirsch sei ein Waldbewohner. Allein die Tatsache, dass Rotwild durch sein Frassverhalten den Wald an der Verjüngung hindert und auf lange Sicht zur Auflichtung führt, sollte uns stutzen lassen. Noch mehr stutzen lassen sollte uns die Tatsache, dass das Wild bevorzugt auf Lichtungen oder bei Anbruch der Dämmerung im Offenland (Grasland, Äcker) äsen geht, weshalb die Jäger ihre Hochsitze bevorzugt dort aufstellen. In England, wo in weiten Bereichen kein Wald sondern sumpfige Gebiete vorhanden sind, findet man das Rotwild in eben diesen Mooren. Ist der Rothirsch dort in England dann ein Moorbewohner?

Nein, weder Wald- noch Moorbewohner, sondern das Rotwild ist vor dem Menschen ausgewichen in Gebiete, in denen es auch noch überleben kann, in denen es vor allem aber Ruhe hat vor dem Menschen. Die Megaherbivorentheorie sieht das Rotwild, und noch mehr seinen ausgestorbenen großen Bruder, den Riesenhirsch, als Bewohner der Fraßsavanne an, die kein Wald und keine Steppe ist, sondern ein Mosaik aus allen Strukturen bietet.

Sowohl einen reich gedeckten Tisch als auch Deckung bietet den Koniks diese Landschaft im Naturschutzgebiet Schäferhaus.Hier fände das Wild Deckung hinter Gebüsch und Bäumen bei gleichzeitig reich gedecktem Tisch und Raum für die schnelle Flucht vor Raubkatzen. Ebenso fänden Raubkatzen und andere Beutegreifer genügend Möglichkeiten, sich auf der Jagd zu verbergen, sowohl hinter Gebüsch als auch auf Bäumen inmitten von Grasland.

Dr. Renate Vanselow, Biologin

15.12.2014

Lesen Sie alle Teile dieser Reihe über freilebende Koniks:

Quellen

Jezierski, T.; Jaworski, Z. (2008) Das Polnische Konik. Verlag Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben.

Jezierski, T.; Jaworski, Z. (1995) Polnische Koniks aus Popielno. Inst. f. Genetik und Tierzucht der poln. Akademie der Wissenschaften, Jastrzebiec.

Jansen, T.; Forster, P.; Levine, M. L.; Oelke, H.; Hurles, M.; Renfrew, C.; Weber, J.; Olek, K. (2002) Mitochondrial DNA and the origins of the domestic horse. In Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA, 99(16), 10905-10910.

04.09.2017

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