Freilebende Koniks Teil 4

Gesundheit der Koniks in Reservats- und Stallhaltung

Frass pflegt die europäische Savanne. Koniks im Naturschutzgebiet Schäferhaus vor Weißdorngebüsch zwischen weiß blühendem Körner-Steinbrech.

Wer Pferde artgerecht auf Grasland halten will, fragt sich heutzutage, wie gesund die Tiere dort leben. Viele Hauspferde werden auf Gras krank, während die freilebenden Koniks ganzjährig in den Naturschutzgebieten laufen. Bekommen wir nur nicht mit, wenn die krank werden? Oder haben bzw. können die irgendetwas, was unsere Hauspferde nicht haben oder können? Sind unsere Hauspferde degeneriert? Es gibt Angaben über Erkrankungen und Todesfälle der Koniks aus der Literatur, die für uns Pferdehalter sehr aufschlussreich sind. Dabei sollte man auftretende Erkrankungen und Todesfälle immer mit der vorliegenden Haltung, also auch der Ernährung, zusammen betrachten (link zum Artikel „Teil 3: Was fressen die Koniks in Popielno?“).

Todesfälle im Reservat

Woran sterben freilebende Koniks in der ursprünglichen Heimat ihres Tarpan-Vorfahren im Osten Europas? Die Professoren Jezierski und Jaworski schreiben in ihrem Buch „Das Polnische Konik“ (2008, S. 113 und folgende), dass Reservatspferde durchschnittlich länger leben als Stallpferde. Ihre Begründung ist, dass im Reservat im Fohlenalter eine härtere Selektion statt findet, weshalb nur Tiere mit besonders guter Konstitution überhaupt das Zuchtalter erreichen. Während die Nutzungsdauer der Pferde (bis zum Ausmerzen bzw. Verkauf) in den Konikgestüten zwischen 9,5 und 13,3 Jahren liegt, liegt sie im Reservat Popielno bei 17,1 Jahren. Verkaufte bzw. ausgemerzte Pferde sind z. B. kastrierte Hengste oder nicht mehr zur Zucht genutzte Stuten, die aber privat von Käufern weiterhin genutzt werden. Zählt man die Dauer bis zum Tod bzw. Einschläfern der Tiere, dann kommt man bei der Gestüten auf eine Dauer von 9,3 bis 15,9 Jahre, während das Reservat Popielno bei 21,0 Jahren durchschnittlicher Lebensdauer liegt.

Zu den im Reservat typischen Gründen für den Tod eines Koniks zählt im Fohlenalter vor allem das Ertrinken in Gräben. Das Gelände im Reservat Popielno ist durchzogen von tiefen Gräben mit sehr steilen Wänden. Ohne diese Entwässerungsgräben wäre das Gelände in weiten Teilen eine Sumpflandschaft. Die Herden durchqueren gelegentlich diese Gräben. Vor allem sehr junge Fohlen verunglücken dabei unter Umständen tödlich. Aber auch der Morast ist tückisch und führt zu Verlusten, speziell, wenn der gefrorene Boden im sumpfigen Gelände aufzutauen beginnt und nicht mehr trägt. Manche Tiere ertrinken in den umliegenden Seen. In den ersten 24 Lebensstunden verunglücken vor allem Hengstfohlen. Die Geburt von Fohlen oft bei strengem Frost und Schnee am Ende des Winters stellt dagegen kein großes Problem dar. Insgesamt verenden im Reservat etwa 9% der Fohlen vor dem Absetzen. Zwischen dem Absetzen und dem Erreichen des dritten Lebensjahres sterben noch einmal etwa 12,8% der Jungpferde im Reservat.

Verletzungen und Krankheiten treten bei einzelnen Tieren auf, können aber selten behandelt werden und müssen von alleine heilen, da die Tiere eine Behandlung nicht zulassen. Gelegentlich werden Koniks tot aufgefunden, die sich im Gelände fest gelegen haben: Die Masurische Kiefer ist ein begehrter Forstbaum und wird auch im Reservat geschlagen. Die gerückten Stämme der geschlagenen Bäume hinterlassen tiefe Rückegassen aus weichem Sand. Dieser frisch aufgerissene Sandboden animiert die Pferde, sich zu wälzen. Kommt ein Pferd dabei in Längsrichtung der Rückefurche mit dem Widerrist nach unten, dann kann das Pferd sich festlegen und kommt nicht wieder auf die Beine. Trotz regelmäßiger Kontrolle der Herden treten also tödliche Unfälle ein.

Der Leiter des Konik-Staatsgestüts Popielno, Prof. Zbigniew Jaworski, kontrolliert regelmäßig den Gesundheitszustand der Konikherden im an das Gestüt anschließenden Reservat, hier die Herde des Hengstes Osoviec. In diesem Zusammenhang finde ich Erfahrungen aus der Robustrinderhaltung in den halboffenen Weidelandschaften im Norden Deutschlands interessant. Lebensschwache Kälber wedeln weniger heftig mit dem Schwanz, wenn sich Fliegen am After niederlassen. Haben die Tiere Durchfall, verschlimmert sich diese sehr ernste Situation: Die Fliegen legen Eier ab, und die Maden fressen leider nicht nur Kotreste auf der Haut und im Fell, sondern dringen auch in den Darm ein und fressen sich in das Gewebe der Kälber – eine tödliche Entwicklung für die schwachen Kälber. Greift der Mensch hier nicht ein, dann verläuft diese Besiedlung durch Fliegen tödlich. Die heftige Fliegenabwehr eines Kalbes mit dem Schwanz schon kurz nach der Geburt ist also entscheidend für das weitere Überleben. Geburten sehr früh im Jahr bei Frost oder zumindest niedrigen Temperaturen sind daher unproblematischer, als Geburten mitten im Sommer. Eine andere, unerwartete Erfahrung ist das Verhalten von Krähen bei Kälbergeburten. Unerfahrene Jungkühe, die selber nicht in einem Reservat aufgewachsen sind und ihr erstes Kalb zur Welt bringen, wissen eventuell nicht, dass sie zur Geburt im Gebüsch Schutz vor den Vögeln suchen müssen. Geburten im offenen Gelände können in einigen Gebieten tödlich für gesunde Kälber enden, wenn die Krähen dem noch im Geburtsweg fest hängenden und damit wehrlosen Kalb die Augen aushacken, um sich die Nahrung – das verendende Kalb – zu sichern. Allein diese Beobachtung zeigt, wie unnatürlich und unzweckmäßig vollkommen ausgeräumte, gebüschlose Weidelandschaften sind.

Hufrehe bei den Koniks

An erster Stelle steht für die meisten Pferdehalter wohl die dringliche Frage, wie häufig Koniks in Popielno an Hufrehe (Laminitis) erkranken und ob Koniks genauso von dieser Erkrankung betroffen sind wie Hauspferderassen. Hierzu machen die Professoren Jezierski und Jaworski (2008, S. 119) sehr genaue Angaben:

„Die Hufrehe ist praktisch nur in der Stallhaltung bekannt. In der Reservatszucht wurden in der Periode 1955-2004 nur zwei Fälle von Hufrehe festgestellt. Es handelte sich um die Stuten Ostnica und Norda, bei denen eine milde Form der Hufrehe mit übermäßigem Wachstum des Hufhorns beobachtet werden konnte. Auffallend war dabei auch, dass die beiden Stuten vorher mehrmals güst geblieben waren.“

Unter dem deutschen Fachbegriff „güst“ versteht man „nicht tragend geworden“. Möglicherweise lagen bei diesen Stuten also Probleme vor, die eine Befruchtung oder ein Austragen der Frucht verhinderten. Die Hufrehe könnte dabei eine zusätzliche Komplikation gewesen sein. Eine der beiden Stuten, eine Zweijährige, die kein Fohlen zur Welt gebracht hatte, wurde – laut Auskunft beider Professoren bei meinem Aufenthalt in Popielno im April 2006 – vorübergehend aus dem Reservat genommen und im Gestüt tierärztlich behandelt. Nach der Genesung wurde die Stute wieder ins Reservat entlassen, blieb dort gesund und brachte in den Folgejahren ganz normal Fohlen zur Welt. Reservatsstuten sind bei der Geburt ihres ersten Fohlens zwischen zwei und vier Jahren alt.

Wie sieht es mit Hufrehe-Erkrankungen bei freilebenden Koniks in deutschen Naturschutzgebieten aus? Hier sind für mich die ersten Erfahrungen mit zwei Konikherden ganz im Norden aufschlußreich. Beide Herden werden von Koniks gebildet, deren Vorfahren allesamt aus Popielno stammen. Im Naturschutzgebiet Schäferhaus laufen Koniks, deren Vorfahren der Haustierpark Warder (https://www.arche-warder.de/ ) in Popielno gekauft hatte. Die Geltinger Birk wurde mit Koniks aus den Niederlanden bestückt, deren Vorfahren die Niederländer ebenfalls in Popielno eingekauft hatten. Genetisch können die Abweichungen zwischen den Herden in Norddeutschland also nicht groß sein, handelt es sich doch um Inzuchtgruppen der gleichen Zuchtlinien. Beide Herden laufen vorwiegend auf ärmsten Sandböden aus Podsol (Schäferhaus) bzw. Sanderflächen (Birk). Da beide Standorte nahe beieinander liegen, ist die Witterung weitgehend gleich. Unterschiede gibt es vor allem in der Vegetation. Schäferhaus ist ein botanisches Kleinod, denn es war Truppenübungsplatz, und zwar in weiten Teilen bereits zu Kaisers Zeiten. Es ist, als würde man durch ein Zeitfenster in die Ära vor der Intensivierung der Landwirtschaft durch Maschinen und Kunstdünger schauen. Das Gelände wurde vom Militär und von einem Schäfer offen gehalten. Zwar wurde auf einem Teil Landwirtschaft betrieben, allerdings nicht des Ertrags wegen, sondern als Ausbildungsstätte.

Die Artenvielfalt in Schäferhaus ist einmalig.

Rotschwingel, Rundblättrige Glockenblume und Schafgarbe neben Hasenklee, Mausohr-Habichtskraut, Frauenflachs und Skabiose im Naturschutzgebiet Schäferhaus.

Violett blüht der wilde Sandthymian  zwischen den Gräsern, umrahmt von den weißen Tupfen der Schafgarben-Blüten. Im Naturschutzgebiet Schäferhaus befindet sich das größte Sandthymian-Vorkommen im hohen Norden Deutschlands. Echtes Johanniskraut, Schafgarbe, Hasenklee und Rainfarn im Naturschutzgebiet Schäferhaus.

 

 

 

 

 

 

Rundblättrige Glockenblumen, Aufgeblasenes Leimkraut, Flockenblumen und Rainfarn sieht man oft in Schäferhaus. Die aus Nordamerika eingeschleppte Virginische Traubenkirsche Prunus serotina wird biologisch bekämpft, in dem die Galloway sie im Winter trotz vorhandener Blausäuregehalte der Rinde unbeschadet massiv verbeißen. 

 

 

 

Hasenklee, Kleiner Sauerampfer und Mausohr-Habichtskraut zeigen den extrem nährstoffarmen Sandboden des ehemaligen Truppenübungsplatzes Schäferhaus an.

Zwischen Gräsern, Mausohr-Habichtskraut und Schafgarbe wächst in Schäferhaus häufig Augentrost, eine halb-parasitische Pflanze, die mit ihren Wurzeln die Wurzeln von Gräsern anzapft, um sich zu versorgen.

Ein Grünwidderchen besucht eine Skabiosenblüte. Die Artenvielfalt in Schäferhaus ist extrem hoch, denn der Tisch ist für alle reich gedeckt.

Hasenklee, Feldklee, Rainfarn, Mausohr-Habichtskraut, Rotschwingel – wer die Wahl hat, hat die Qual!  

Sandthymian, Mausohr-Habichtskraut, Flatterbinse, Rainfarn, Großer Sauerampfer – Kräuterapotheke auf engstem Raum.

Die Pflanzenzusammensetzung entspricht teilweise der auf der Halbinsel Popielno. Die Geltinger Birk wurde im Gegensatz zu Schäferhaus landwirtschaftlich intensiv genutzt, bevor die Renaturierung beschlossen wurde. Höher gelegene Teile wurde als Äcker z. B. für Mais genutzt, die Salzwiesen wurden eingedeicht, ausgesüßt und als Rindermastweiden genutzt. Diese Gegensätze machen den Vergleich zu Beginn der Renaturierung interessant, den ich schon in meinen Büchern Pferdeweide – Weidelandschaft und Giftige Gräser auf Pferdeweiden beschrieben habe. Wie ergeht es den Koniks auf den unterschiedlichen Flächen?

Beide Projekte starteten die Beweidung mit Koniks im Jahr 2002. In Schäferhaus wurden zusätzlich zu den dort bereits laufenden Galloway ein Hengst und drei Stuten aus dem Tierpark Warder freigelassen. Im Jahr 2007 lebten in Schäferhaus 13 Koniks, wobei bis dahin nur männliche Fohlen geboren wurden. Die Birk startete 2002 mit 11 Koniks (ein Hengst, zehn Stuten) aus Oostvaardersplassen.

Bei dem Standort Schäferhaus handelt es sich um einen sogenannten Halb-Trockenrasen. Nährstoffeinträge in derartige Naturschutzgebiete sind verboten, weshalb auch das Winterfutter für die dort lebenden Tiere aus dem Gebiet stammen muss. Innerhalb Schäferhauses wird im Frühjahr eine Wiese für die Heumahd ausgezäun. Es findet nur ein einziger Schnitt sehr spät im Jahr statt. Danach wird die Heuwiese wieder wie die restlichen ca. 260 ha der Fläche mit etwa einem Großtier (Galloway oder Konik) pro fünf Hektar beweidet. In Schäferhaus steht die sehr seltene und wertvolle Vegetation im Zentrum der Schutzauflagen, obwohl auch die zahlreichen Braunkehlchen, Neuntöter, Feldlerchen, andere seltene Vögel und die artenreiche Insektenwelt berücksichtigt werden. Die folgende Tabelle 1 gibt besonders häufige Pflanzen an, die sich in Schäferhaus auf der Mähwiese finden:

Mähwiese:

 

Ruchgras

Anthoxanthum odoratum

Kammgras

Cynosurus cristatus

Lieschgras

Phleum pratense

Wiesen-Fuchsschwanz

Alopecurus pratensis

Geknieter Fuchsschwanz

Alopecurus geniculatus

Glatthafer

Arrhenatherum elatius

Wiesen-Schwingel

Festuca pratensis

Wolliges Honiggras

Holcus lanatus

Wiesen-Rispengras

Poa pratensis

Flatterbinse

Juncus effusus

Wiesen-Segge

Carex nigra

Vielblütige Hainsimse

Luzula multiflora

Großer Sauerampfer

Rumex acetosa

Sumpfdistel

Cirsium palustre

Kleiner Klappertopf

Rhinanthus minor

Acker-Schachtelhalm

Equisetum arvense

 

Tabelle 1: Häufig in Schäferhaus in der Mähweide vorkommende Pflanzen. Aus: Vanselow 2005 und 2011.

Auf den Weideflächen in Schäferhaus findet man zusätzlich folgende Pflanzen zahlreich:

Rotes Straußgras

Agrostis capillaris

Knäuelgras

Dactylis glomerata

Weiche Trespe

Bromus hordeaceus

Gras-Sternmiere

Stellaria graminea

Schafgarbe

Achillea millefolium

Zahntrost

Odontites rubra

Augentrost

Euphrasia officinalis

Thymian

Thymus serpyllum

Rundblättrige Glockenblume

Campanula rotundifolia

Berg-Sandglöckchen

Jasione montana

Wiesen-Knautie

Knautia arvensis

Teufelsabbiss

Succisa pratensis

Jakobs-Greiskraut (Jakobs-Kreuzkraut)

Senecio jacobaea

Rainfarn

Chrysanthemum vulgare

Tabelle 2: Häufig in Schäferhaus auf den beweideten Flächen vorkommende Pflanzen. Aus: Vanselow 2005 und 2011.

Nur ausnahmsweise fand sich Deutsches Weidelgras auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Schäferhaus, und zwar direkt auf den Wanderwegen durch das Gebiet, nicht in der Fläche. Wie es dort hinkam, vielleicht eingeschleppt durch Spaziergänger, ist unbekannt, vermutlich handelt es sich aber um irgendwelche Kultursorten. Obwohl der extrem arme Sandboden eigentlich kein geeigneter Standort für dieses Gras ist, habe ich den Eindruck, dass sich das Weidelgras in den letzten Jahren etwas ausgebreitet hat. Ohne die Hilfe symbiontischer Endophyten dürfte das kaum möglich sein. Möglicherweise stellt dieses Gras an diesem Standort also eine gewisse Gefahr für die Zukunft dar.

Lesen Sie hierzu auch die artgerecht-Artikel Wehrhafte Gräser, Vergiftungen von Pferden durch Gräsergifte, Eine nüchterne Rechnung, Hirsutismus!

Auf der Geltinger Birk fanden die dort eingesetzten Koniks eine von Schäferhaus deutlich unterschiedene Situation vor. Ihr erster Aufenthaltsort innerhalb der Birk war eine 14 ha umfassende ehemalige Salzwiese, die durch Eindeichung ausgesüßt und dann zur Rindermast verwendet worden war. Diese Salzwiese zeigte drei unterschiedliche Ausgrägungen der Vegetation: eine kurzrasige und bevorzugt befressene Fläche insbesondere im Bereich der freien Wasserflächen innerhalb der Salzwiese; kaum betretene sumpfige Flächen mit hohem, stehen gelassenen Pflanzenmaterial, dass als Winterreserve gedacht war; schließlich ein erhobener und dadurch trockenerer Bereich, der im Winter gerne aufgesucht wurde. Im Randbereich fanden sich u.a. Schlehengestrüppe und Pappeln. Die Tabelle 3 gibt an, welche Pflanzen innerhalb der Salzwiese vorkamen:

kurzrasige Fläche im schlickigen Feuchtgrünland:

Geknieter Fuchsschwanz

Alopecurus geniculatus

Deutsches Weidelgras

Lolium perenne

Wiesen-Lieschgras

Phleum pratense

Weißes Straußgras

Agrostis stolonifera

Weißklee

Trifolium repens

 

 

überständige Flächen im schlickigen Feuchtgrünland:

Rohrglanzgras

Phalaris arundinacea

Schilf

Phragmites australis

Weiches Honiggras

Holcus mollis

Gemeine Quecke

Elytrigia repens

Wolliges Honiggras

Holcus lanatus

Behaarte Segge

Carex hirta

Flatterbinse

Juncus effusus

Krötenbinse

Juncus bufonius

Großer Sauerampfer

Rumex acetosa

Wiesen-Knöterich

Polygonum bistorta

Gifthahnenfuß

Ranunculus sceleratus

 

 

trockener, höher gelegener Teil:

Rotes Straußgras

Agrostis capillaris

Hundsquecke

Roegneria canina

Glatthafer

Arrhenatherum elatius

Weiches Honiggras

Holcus mollis

Draht-Schmiele

Deschampsia flexuosa

Hasenpfoten-Segge

Carex leporina

Jakobs-Greiskraut (Jakobs-Kreuzkraut)

Senecio jacobaea

Tabelle 3: Die Zusammensetzungen der Vegetation der zuerst von den Koniks genutzten Salzwiese auf der Geltinger Birk mit drei durch unterschiedlichen Untergrund verursachten Bereichen. Aus: Vanselow 2005 und 2011.

Im Sommer 2002 hatten sich die Koniks auf den kurzrasigen Weidelgras-Weißklee-Flächen geradezu gemästet. Im Winter standen überwiegend überständige Gräser der sumpfigen Bereiche zur Verfügung, also im Prinzip Reet und Altgrashorste. Durch diese Diät kam es bei den völlig verfetteten Koniks zum überstürzten Fettabbau. Im Februar 2003 kam es zur Hyperlipidämie, zwei Pferde starben. Es zeigte sich, dass die niederländischen Naturschützer über Hyperlipidämie bestens informmiert waren und die deutschen Naturschützer über diese Erkrankung aufklären konnten. Der erfahrene Sportpferdetierarzt, der die Koniks auf der Birk betreute, kannte diese Erkrankung von den norddeutschen Springpferden nicht. Die Koniks wurden als Konsequenz auf andere, höher gelegene Flächen gebracht und die ehemaligen Salzwiesen den Rindern überlassen.

Die höher gelegene, sandige Fläche wurde zum größten Teil durch einen ehemaligen Acker gebildet, der etwa zehn Jahre zuvor mit einer Weide-Startmischung angesät und von Schafen beweidet wurde. Vermutlich handelte es sich bei der Startmischung um Wildsaatgut.

Exkurs: Kostbares Dauergrünland

Falls das zutrifft, dann könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass das Saatgut, welches diese Produzenten bieten können, nicht annähernd die genetische Vielfalt bringt, die altes, traditionelles Dauergrünland früher einmal aufwies. Müller und Krauss wiesen 2005 darauf hin, dass in einer artenreichen – und das bedeutet auch an Wildtypen von Endophyten reichen – Graslandschaft nicht mit Vergiftungen zu rechnen ist, solange keine deutliche Selektion auf die widerstandsfähigsten, weil giftigsten Exemplare durchgeführt wurde. Eine solche Selektion kann eine bewusste Zuchtselektion sein. Es kann aber auch die Auswahl von Wildpflanzenstandorten sein, die genetische Breite einschränken (Stressstandorte). Die Saatgutindustrie sucht gezielt an natürlichen Stressstandorten in Europa und Nordafrika nach besonderen Gräser-Endophyten, die sie dann als „Zuchtendophyten“ und teilweise patentiert mit bestimmten erwünschten Eigenschaften vermarktet. Wildsaatgut aus solchen Standorten würde von vornherein eine spezielle Anpassung (Ökotyp) darstellen und keineswegs die gesamte genetische Bandbreite der Wildpflanze bieten. Über Jahrzehnte gewachsenes, von Generationen als gesundes Weideland genutztes Dauergrünland kann, wenn es einmal vernichtet wurde, eben NICHT z. B. durch eine Ausgleichsmaßnahme mal eben mit Saatgut wiederhergestellt werden – auch nicht durch Wildsaatgut! Die Rückzüchtung eines "Ur-Hundes" aus allen heutigen Haushunden ist nicht möglich, egal wie viele Rassen man zusammenwürfelt – ein Teil des Erbgutes ging durch Selektion im Laufe der Domestikation für immer verloren. Spezielle Standorte bilden spezielle Anpassungen aus, genau wie die Zucht einer Rasse durch den Menschen.

Selbstverständlich muss zusätzlich mit der Verschleppung besonders giftiger Endophyten durch Pflanzensaft saugende Insekten gerechnet werden, und das insbesondere, wenn Saatgut, egal ob Zucht- oder Wild-Saatgut, an Standorten vermehrt wird, in deren Umfeld fremde Endophyten vorkommen. Wer Saatgut für Europa aus Kostengründen in Neuseeland oder Nordamerika vermehrt, kreiert dabei möglicherweise unbeabsichtigt einen Neophyten (eine neue, aus der Fremde eingeschleppte Pflanze) aus einer europäischen Wirtspflanze mit einem Endophyten aus Übersee. Im Falle der Verbindung einer Pflanze mit einem neuen Endophyten muss mit völlig neuen Eigenschaften dieser Gemeinschaft durch das Gengut des besonderen Endophyten gerechnet werden. Und das gilt keineswegs nur für Gräser, sondern für alle Gewächse (siehe Wehrhafte Gräser) – auch für das weltweit verschleppte Jakobs-Kreuzkraut, denn alle Pflanzen leben in Gemeinschaften mit Endophyten. Warum sollte ein Endophyt eines in Nordamerika oder Neuseeland heimischen Kreuzkrautes sich nicht auch im Jakobs-Kreuzkraut wohl fühlen? Auf diesem Wege könnte sehr schnell ein „Jakobs-Kreuzkraut“ mit völlig ungeahnten Fähigkeiten entstehen.

Schließlich kann auch eine unbewusste Übernutzung der Weidefläche eine Selektion auf die Giftigsten und Härtesten darstellen. Wir kennen das zum Beispiel von sogenannten „Trampelweiden“ (grüne Ausläufe) genauso wie auf Weiden bei anhaltend ungünstiger Witterung durch Überweidung. Hier ist zu wenig Fläche mit zu hohem Besatz an Pferden der gefährliche Selektionsfaktor. Die Gesundheit der Weidetiere ist ein empfindlicher Indikator für verschobene genetische Eigenschaften der Futtergrundlage. Vor diesem Hintergrund wird vielleicht verständlich, wie wertvoll altes, traditionelles Dauergrünland heute ist, und welch einen unwiederbringlichen Verlust es bedeutet, wenn solches Land z. B. durch Pferdehalter rücksichtslos übernutzt und dadurch vernichtet wird.

Zurück zu den Koniks auf der Birk.

Das Frühjahr 2003 war sehr feucht, ebenso der Beginn des Sommers.  Ab der Ernte änderte sich die Großwetterlage, es wurde extrem trocken. Diese Witterung zog sich über den Herbst 2003 und den kalten, schneearmen Winter hin. Sonnenschein gab es reichlich. Diese kalte, sonnige Großwetterlage hielt sich noch bis zum Beginn des Sommers 2004. Erst mit der einsetzenden Heuernte wurde das Wetter mild und feucht. Bis hierhin hatte es keine gesundheitlichen Probleme bei den Koniks auf der höher gelegenen Fläche auf der Birk gegeben, wo die Koniks bevorzugt Weidelgras und Weißklee gefressen hatten. Doch zeitgleich mit dem einsetzenden warmen Regen nach monatelanger Kälte und hoher Sonneneinstrahlung erkrankten vier Stuten der inzwischen 15 Koniks an Hufrehe und mußten aus dem Projekt genommen werden. Mitte Juni 2004 zeigte diese von den Koniks genutzte Weide mengenmäßig überwiegend die in Tabelle 4 aufgelisteten Pflanzen.

höher gelegene Weide, z. T. ehemaliger Maisacker, angesät

(+ bestandsbildend)

Kammgras +

Cynosurus cristatus

Deutsches Weidelgras +

Lolium perenne

Weißklee +

Trifolium repens

Wiesen-Schwingel +

Festuca pratensis

Kleiner Klee

Trifolium dubium

Honiggras

Holcus lanatus

Acker-Kratzdistel

Cirsium arvense

Tabelle 4: Die Zusammensetzungen der Weidevegetation der neu eingesäten Fläche aus ehemaligem Maisacker der höher gelegenen Flächen. Aus: Vanselow 2005 und 2011.

Die Koniks auf der Weidelgras-Weißklee-Fläche aus ehemaligem Maisacker auf der Geltinger Birk. Das Konik versucht mit dem Hinterhuf eine Bremse am Ohr abzustreifen und zeigt dabei seine Speckschichten. Bei einer der vier erkrankten Stuten konnte eine Geburtsrehe durch Verfohlen nicht ausgeschlossen werden. Die Nachzucht der Stuten verblieb nach dem Absetzen bei der Herde auf der Birk, während die vier genesenen Stuten als Freizeitpferde abgegeben wurden, um ihnen eine möglicherweise erneute Erkrankung zu ersparen. Die Kollegen aus dem Naturschutz in den Niederlanden wussten auch über Hufrehe bestens Bescheid und konnten die deutschen Naturschützer aufklären. Die Herde der Birk wurde danach auf weniger fette, seit Jahrzehnten als Dauergrünland bestehende Flächen umgeweidet und im Jahr 2006 mit weiteren Koniks (ein Hengst, acht Stuten und drei Fohlen) aus Holland ergänzt. Erkrankungen der Koniks auf der Birk bewegen sich nach diesen Erfahrungen gleich zu Beginn des Projektes in einem auch für die Sportpferdezucht üblichen Rahmen.

Interessant ist, dass die „Wohlstandserkrankungen“ auf Weideflächen auftraten, die weitgehend dem entsprechen, was wir unseren Hauspferden bieten. Auffällig ist, dass mit dem Fehlen von Deutschem Weidelgras (Reservate Popielno und Schäferhaus) offensichtlich gesündere Voraussetzungen für die Koniks vorliegen. In Schäferhaus mit seiner Vegetation, die vor über einhundert Jahren noch großflächig typisch war für Viehweiden, zeigten die Koniks – abgesehen von selbst verheilenden Biss- und Trittverletzungen – keine Erkrankungen seit ihrer Ankunft 2002. Offensichtlich ist Gras eben nicht gleich Gras, und der springende Punkt scheint das Deutsche Weidelgras (Lolium perenne) zu sein.

Sommerekzem bei den Koniks

In Popielno trat den Angaben von Jezierski und Jaworski (2008, S. 119) zufolge zwischen 1949 und 2004 nur ein einziger Fall von Sommerekzem bei einem Wallach auf, also offensichtlich aus der Stallgruppe. Popielno liegt inmitten der masurischen Seenplatte, umgeben von Sümpfen und Gewässern. Blutsaugende Plagegeister sind dort im Sommerhalbjahr in Massen vertreten, auch die Insektenarten, die wir bei uns kennen. Auslöser für Allergien gibt es dort also reichlich. Zeigen die Koniks in Popielno keine genetische Anfälligkeit für diese Allergien? Ich möchte das bezweifeln, da mir Koniks in deutscher Haltung bekannt sind, die zu 100% von den Linien in Popielno abstammen, hier im Westen aber unter Sommerekzem leiden.

Ich erinnere mich lebhaft an die Diskussion, die wir in Popielno mit unseren Gastgebern Prof. Jezierski und Prof. Jaworski zum Thema Ekzem und Insektenplagen führten. Prof.  Jaworski spricht zwar Russisch, aber weder Deutsch noch Englisch. Als Übersetzer all dieser Sprachen diente Prof. Jezierski. Also erzählten wir Herrn Jezierski, was für ein Aufwand im Westen betrieben wird, werden muss, um die allergisch reagierenden Pferde auf die Weiden zu bekommen. Wir erzählten von Ekzemerdecken und Fliegenmasken für Augen, Ohren und Nüstern sowie von Insektenabwehrmitteln zum Auftragen und Zusatzfuttermitteln sowie von Fress- bzw. Maulkörben für den Weideaufenthalt. Herr Jezierski übersetzte. Ungläubiges Staunen. Rückfrage: Es müsse ein Übersetzungsproblem vorliegen. Wir erklärten also erneut, Herr Jezierski übersetzte erneut – wieder ungläubiges Staunen. Es ging mehrmals hin und her, bevor unsere polnischen Gastgeber begriffen, dass es kein Übersetzungsproblem gab, sondern ein Insekten- oder besser Allergieproblem im Westen. Unsere Gastgeber erzählten, sie seien mal im Westen gewesen und ihnen sei aufgefallen, dass dort kaum Mücken vorkämen. Daraufhin diskutierten wir, wie es sein könne, dass in Masuren im Sommer der Himmel oft schwarz von Mückenschwärmen ist (diese Schwärme werden gebildet von Zuckmücken – keine Blutsauger!), die Koniks oft stundenlang Schutz vor Bremsen und Stechmücken im dunklen, trockenen Fichtenunterholz suchen, aber keine Ekzemer dort auftreten. An Insekten mangelt es in Polen wahrlich nicht! Worin mag das Problem liegen? Koniks, die als Freizeitpferde in Deutschland leben, erweisen sich als ähnlich betroffen von Erkrankungen wie Hufrehe, Ekzem oder Heuallergien wie andere Robustpferderassen, etwa Isländer.

Sehr interessante Zusammenhänge gibt es zu berichten über Blut saugende Zecken, ihren Speichel und das Gräsergift Ergovalin. Kaufman und Minion veröffentlichten hierzu 2006 eine sehr aufschlussreiche Studie. Demnach reagieren Zecken (Spinnentiere, genau wie Milben) bei ihrer Blutmahlzeit auf das Gräsergift Ergovalin im Blut ihrer Opfer. Dabei regt das Ergovalin den Speichelfluss des Blutsaugers an. Der Speichelfluss wird von drei Rezeptoren (Andockstellen für Botenstoffe an Nerven) geregelt. Diese Rezeptoren reagieren auf Mutterkorngifte, also Ergotalkaloide, zu denen das Ergovalin gehört. Weidetiere, die giftige Gräser gefressen haben bzw. diese aufgrund ihrer Genetik besonders schlecht abbauen können, werden möglicherweise anders mit Blutsauger-Speichel bedacht als Opfer ohne die Gifte im Blut. Der Speichel der Blutsauger enthält eine Vielzahl von Stoffen, auf die Allergiker reagieren können. Die Zusammensetzung des Speichels ist für den Allergiker also entscheidend. Ich könnte mir vorstellen, dass auch die Speicheldrüsen von Insekten auf die Ergotalkaloide reagieren.

Zecken werden auch sonst erheblich vom Blut ihrer Opfer beeinflusst. Wie sehr die Blutmahlzeit bei Zecken sogar ihre Funktion als Überträger gefährlicher Krankheiten steuert, zeigen aktuelle Studien an Zecken und Weidetieren:

Bayrischer Rundfunk - xenial https://www.br.de/mediathek/video/xenial-wie-entfernt-man-am-besten-eine-zecke-av:5a3c3f2ac365c30017a8124b

Spiegel Online - http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/fsme-und-borreliose-wie-man-sich-vor-zecken-am-besten-schuetzt-a-972016.html

Frankfurter Allgemeine Zeitung - http://www.faz.net/aktuell/wissen/natur/die-welt-der-zecken-das-halloween-besteck-der-blutsauger-12638324.html

New York Times - http://www.nytimes.com/2013/10/30/science/earth/how-does-a-tick-do-its-dirty-work-research-video-offers-a-clue.html?_r=0

Die Vergiftung mit Ergotalkaloiden, also das Antoniusfeuer (Ergotismus), wurde in früheren Jahrhunderten auch Kriebelkrankheit oder Kribbelkrankheit bezeichnet. Die von der Vergiftung verursachten Durchblutungsstörungen erzeugen ein Kribbeln der betroffenen Gewebe. Daneben können die Inhaltsstoffe in giftigen Gräsern selber oder auf dem Umweg über einen veränderten Speichelfluss der Blutsauger Allergien auslösen. Es ist erstaunlich, welche Inhaltsstoffe in Deutschem Weidelgras gefunden wurden (Powell und Petroski 1992). Dies könnte eine Erklärung für das Phänomen sein, dass bestimmte Zusatzfuttermittel gegen Ekzem so erfolgreich eingesetzt werden. Sie enthalten Giftbindemittel, die für ihre Wirksamkeit gegenüber Ergotalkaloiden bekannt sind.

Atemwegserkrankungen der Koniks

Die Professoren Jezierski und Jaworski schreiben (2008, S. 118) über Koniks in Stallhaltungen, dass sie ihrer Beobachtung nach relativ anfälliger für allergische Atemwegserkrankungen seien als andere Pferde. Ich habe daran Zweifel. Mein Besuch in Popielno hat mich sehr nachdenklich gemacht. Das wunderschöne Holzgebäude  aus dem Jahr 1928, in dem die Koniks des Staatsgestüts untergebracht sind, wird bei lang anhaltendem, starken Frost wenig belüftet. Die traditionelle Matratzenstreu und die hohen Heuraufen belasten die Luft zusätzlich.

Gekörter Konik-Zuchthengst im Staatsgestüt Popielno im Holzgebäude von 1928 in traditioneller Stallhaltung: hohe Heuraufen, Matratzenstreu, bei starkem Frost kaum Belüftung.

 Die Luft in dem Stall ist unter solchen Bedingungen, wie ich sie im April 2006 vorfand, sehr belastet. Es roch kräftig nach Schimmelpilz. In vergleichbaren deutschen Ställen hätte ein Großteil der Pferde bei dieser Haltung Atemwegsprobleme.

In dem Stall in Popielno stehen 14-17 Mutterstuten und zwei bis fünf gekörte Hengste in Boxen, Gruppen aus über zehn Pferden von ein- bis dreijährigen Jungpferden getrennt nach Geschlecht (Stuten, Junghengste) in großen Laufställen sowie Wallache für die Arbeit auf dem Hof. Alles zusammen werden also ständig über fünfzig Koniks im Staatsgestüt gehalten, zuzüglich der Fohlen. Während meines Besuchs fiel mir auf, dass keines dieser Pferde im Stall hustete. Vier Mutterstuten mit Fohlen waren ausgelagert worden ins sogenannte „Sanatorium“, eine kleine Offenstallanlage. Diese vier Stuten waren schwer dämpfig und husteten gelegentlich. Sie sind nach dem Absetzen der Fohlen vermutlich aus der Zucht ausgeschieden. Wie die Stallgruppe standen sie im Offenstall auf Matratzenstreu und erhielten trockenes Heu von den großen Rundballen, die in einer Feldscheune ohne Wände (nur ein Dach auf Pfosten) gelagert wurden. Der in diese Scheune gewehte Schnee hatte an den Außenseiten der Ballen teilweise für starke Schimmelpilzbildung gesorgt. Die Schimmelnester wurden nur grob entfernt und das Heu zur freien Verfügung vorgeworfen bzw. in die hohen Raufen der Boxen gestakt.

Um in das Reservat zu den frei lebenden Koniks zu reiten, haben wir uns in der Wallachgruppe Pferde im Laufstall genommen. Die Wallache wurden im geschlossenen Laufstall zwischen den freilaufenden Pferden angebunden und geputzt. Beim Satteln hat mir die Tochter des Gestütsleiters geholfen, eine angehende Tierärztin, denn ich hatte seit meiner Kindheit keine so dicken Ponys mehr gesattelt und hatte Skrupel, den Sattel derart fest zu zurren. Im Gelände hatte ich dennoch Bedenken, ob bergab der Sattel wohl auf den Hals rutschen würde, aber er kam am Widerrist zum Stoppen. Ich glaube nicht, dass unsere Pferde intensiv trainiert waren. Sie wirkten in ihrem dicken Pelz eher wie in Freizeitkondition. Wir waren fast zwei Stunden im Gelände unterwegs mit viel Trab und Galopp. Die Koniks haben nicht gehustet, auch nicht zu Beginn des Ritts. Sie wurden warm, fingen aber kaum an zu schwitzen. Sie waren fleißig, neugierig, nicht schreckhaft – kurz: sehr angenehme Freizeitpferde. Und ich fing an sehr nachdenklich zu werden, denn genau diese Erinnerungen habe ich aus meiner Kindheit in den 70ern mit den Ponys in Schleswig-Holstein: Dunkle Boxen mit traditioneller Matratzenhaltung, hohe Heuraufen, oft angeschimmeltes Heu aber gleichzeitig kerngesunde, „unkaputtbare“ und unglaublich leistungsfähige Ponys („Reitschweine“) auch ohne permanentes Training. Das Einweichen von Heu in Wasser wird in Polen bisher fast nicht praktiziert. Dagegen erbrachte die stalllose Überwinterung dämpfiger Koniks im Freien dort oft deren vollständige Gesundung, und zwar laut Jezierski und Jaworski (2008) innerhalb weniger Wochen. Das spricht alles für eine deutliche allergische Reaktion dämpfiger Koniks.

Wenn ich das mit den heutigen Frischluft-betonten Haltungssystemen, den ausgeklügelten Futterkombinationen und den Trainingsplänen in Deutschland vergleiche, dann frage ich mich, ob wir hier im Westen irgendetwas falsch machen. Wir treiben einen sagenhaften Aufwand, aber die Tiere sind trotzdem nicht gesünder, sondern eher kränker. Wo ist der Haken?

Was läuft falsch bei uns?

Das, was die Stallhaltung der Koniks in Polen von der in Deutschland offensichtlich unterscheidet, ist das Grundfutter, also das Grasland und das Futter, das aus diesem Pflanzenmaterial gewonnen wird. Aber wäre es möglich oder denkbar, dass Gräser wie das Deutsche Weidelgras – seit Ende der 70er Jahre das massiv propagierte Wirtschaftsgras für Norddeutschland – Einfluss darauf haben, wie die Atemwege der Pferde auf Schimmelpilzsporen oder andere Allergene reagieren?

Dass Ergotalkaloide durch Endophyten in Schwingeln und Weidelgräsern systemisch auf physiologische Prozesse einwirken, ist bekannt:

Obwohl wenig Zweifel bestehen, dass das Herz-Kreislaufsystem, die Fortpflanzung und das Nervensystem der Tiere betroffen sind, und es Hinweise darauf gibt, dass der Verdauungstrakt und damit verbundene Organe direkt betroffen sein können, ist noch nicht ganz klar, wie die Ergotalkaloide ihr volles Spektrum physiologischer Effekte in einem Tier bewirken.“ (Zitat aus: Strickland et al. 2011)

Könnte es sein, dass auch die Atemwege in irgendeiner Form durch Gräsergifte betroffen sind und allergische Symptome so begünstigt oder verstärkt werden?

Vor ein paar Jahren stieß ich auf eine Veröffentlichung von Thompson et al. aus dem Jahr 2001 über Rinder, die mit Endophyten infizierten Schwingel gefressen hatten. Aus dem Serum dieser Rinder wurde mehrfach eine Substanz isoliert, die sich Thromboxan B2a (stabiler Metabolit des Thromboxan A2) nennt. Thompson et al. (2001) gaben an, dass diese Substanz gefäßverengend wirke und zudem bronchiokonstriktiv auf die Lunge. Diese Auskunft ist interessant, spielen verengte Bronchien beim Schleimauswurf und bei Asthma doch eine bedeutende Rolle. Die tiermedizinische Behandlung der Dämpfigkeit setzt u. a. auf schleimlösende und die Bronchien weit stellende Medikamente. Was also sind Thromboxane?

Thromboxan wird unter anderem in Thrombozyten gebildet und ist dort das hauptsächlich gebildete Prostaglandin. Es aktiviert die Thrombozytenaggregation über die Thromboxan-Rezeptoren auf den Thrombozyten und ist ein Gegenspieler des vom Endothel gebildeten blutgerinnungshemmenden Prostacyclins. Thrombozyten enthalten ausschließlich Cyclooxygenase-1 zur Prostaglandinbildung. Diese wird durch Acetylsalicylsäure unwiederbringlich funktionsunfähig gemacht und kann dann in Thrombozyten nicht neu gebildet werden (da diese kernlos sind). Daher sind diese Thrombozyten für den Rest ihres 8–12-tägigen Lebens im Organismus auch nach kleinen Dosen von Acetylsalicylsäure in ihrer Aggregationsfähigkeitdeutlich eingeschränkt. Thromboxan bewirkt über die Thromboxan-Rezeptoren auch eine Kontraktion sämtlicher glatter Muskeln an Gefäßen und Luftwegen.“ (Zitat aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Thromboxan)

Übrigens spielen Thromboxane und Serotonin (5-Hydroxytryptamin) auch bei der Hufrehe(Laminitis) eine wichtige Rolle (Menzies-Gow et al. 2008; Peroni 2008).

Ergotalkaloide in Futtergräsern können den aktuellen Trainingszustand eines Sportpferdes direkt beeinflussen. Strickland et al. (2011) erklären, dass einige Ergotpeptide (z. B. Ergovalin), einige Lysergsäureamide und einige Pyrrolizidine (z. B. N-Formyllolin, N-Acetyllolin) der Endophyten an Dopaminrezeptoren binden. Diese Wechselwirkung wird als Ursache der kardiovaskulären Effekte, der beeinträchtigten Thermoregulation und der nervösen Störungen durch diese Gifte angesehen.

Über die Verengung der feinen Äderchen wird nicht nur die Durchblutung (auch der Muskulatur) beeinträchtigt. Das gut trainierte Pferd ist auf einmal aus der Puste, ohne viel geleistet zu haben. Die Oberflächendurchblutung sorgt auch für den Temperaturausgleich über die Haut. Ist dieser behindert, dann übernehmen die vielen Schweißdrüsen beim Pferd diese Aufgabe, das Pferd schwitzt also schon bei geringer Anstrengung oder bei hohen Außentemperaturen deutlich schneller als sonst. Im Frühjahr 2013 schrieb die Tierärztin Dr. Meyer in ihrer Kundenzeitschrift (iwest-news Nr. 6) über die Wirkung der Endophytengifte auf Sportpferde:

„Ein Forscherteam der Missouri State University wies in einer aktuellen Studie zu Auswirkungen der Aufnahme Endophyten-infizierten Futters negative Effekte auf die Erholungswerte nach dem Training nach. Dabei wurde festgestellt, dass diese vasokonstriktive Wirkung der Endo­phytentoxine in einem reduzierten Vermögen Körperwärme abzuleiten resultiert.“

Weniger leicht zu beobachten ist die umgekehrte Folgekette, also Erfrierungen durch Verlust der Thermoregulation vor allem an Extremitätenenden bei Kälte. Erst wenn die Tiere bei Frost lahm gehen, wird ein Schaden bemerkt und wahrscheinlich Hufrehe diagnostiziert, die eigentliche Ursache der Schäden am Huf bleibt jedoch im Dunkeln.

Die freilebenden Koniks in Ost und West können uns also vielleicht helfen, die möglichen Zusammenhänge zwischen „Futtergrundlage Gras“ und Tiergesundheit zu verstehen.

Dr. Renate Vanselow, Biologin

Januar 2015

 

Lesen Sie alle Teile dieser Reihe über freilebende Koniks:

Literatur

Kaufman, W.R. & J.L. Minion (2006): Pharmacological characterization of the ergot alkaloid receptor in the salivary gland of the ixodid tick Amblyomma hebraeum. J. Exp. Biol., 209: 2525-2534. http://jeb.biologists.org/content/209/13/2525.abstract

Menzies-Gow, N. J., M. F. Sepulveda, S. R. Bailey, F. M. Cunningham und J. Elliott (2008): Roles of thromboxane A(2) and 5-hydroxytryptamine in endotoxin-induced digital vasoconstriction in horses. Am. J. Vet. Res. 69:199–207

Müller, C.B. & J. Krauss (2005): Symbiosis between grasses and asexual fungal endophytes. Current Opinion in Plant Biology, 8: 450–456

Peroni, J. (2008): Laminits research at the university of Georgia. Internationales Hufrehesymposium, Freie Universität Berlin, 11.-13. Nov. 2008

Powell, R.G. & R.J. Petroski (1992): Alkaloid Toxins in Endophyte-Infected Grasses. Natural Toxins, 1: 163-170. http://naldc.nal.usda.gov

J. R. Strickland, M. L. Looper, J. C. Matthews, C. F. Rosenkrans, Jr., M. D. Flythe und K. R. Brown (2011) BOARD-INVITED REVIEW: St. Anthony's Fire in livestock: Causes, mechanisms, and potential solutions. J. Anim. Sci., 89:1603-1626. doi: 10.2527/jas.2010-3478, http://www.journalofanimalscience.org

Thompson. F.N., J.A. Stuedemann und N.S. Hill (2001): Anti-quality factors associated with alkaloids in eastern temperate pasture. J. Range Manage. 54(4): 474-489

Vanselow, R. (2005) Pferdeweide – Weidelandschaft. Kulturgeschichtliche, ökologische und tiermedizinische Zusammenhänge. Ein Leitfaden und Handbuch für die Praxis. Westarp Wissenschaften (Die Neue Brehm-Bücherei), Hohenwarsleben, Bd. 657

Vanselow, R. (2011) Giftige Gräser auf Pferdeweiden. Endophyten und Fruktane – Risiken für die Tiergesundheit. Westarp Wissenschaften (Die Neue Brehm-Bücherei), Hohenwarsleben, 3te überarb. Aufl., NBB Kompakt Bd. 1

04.09.2017

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