Signaturenlehre

Was Heilpflanzen uns mitteilen

Seit Anbeginn setzt sich die Menschheit mit Pflanzen auseinander: Als Nahrungs- und Heilmittel, als Rohstoff zur Nutzung für alle möglichen Anwendungen.

Die auffälligsten Merkmale der Pflanzen sind ihre Blüten. Viele bunt blühende Pflanzen schauen uns mit ihrem Blütengesicht freundlich an. Ganz besonders empfinden wir das bei den Korbblütlern, zu denen die Margariten und Sonnenblumen gehören.

Die Pflanzen öffnen sich ihrer Umwelt über die Blüten, sie sind ein wesentlicher Teil pflanzlicher Kommunikation. Das gilt für den Dialog mit Tieren wie mit uns Menschen. Blüten sind die Sexualorgane der Pflanzen, deren raffinierte Mechanismen dem Anlocken von Bestäubern dienen, letztlich dem Arterhalt, der Vermehrung und der Ausbreitung.

SonnenblumenDie Korbblüter sind Sonnenkinder, die ihre Blüten der Sonne zuwenden. Ihr Blütenkorb ist aus vielen einzelnen Blüten zusammensetzt, ist also keine Einzelblüte, sondern ein Korb voll Blüten, ein Blütenstand, der uns erscheint wie ein Gesicht, das die Umgebung anschaut und eine Herausforderung ist zu antworten. Das fängt an beim Gänseblümchen, der Kamille, Margariten, dem Sonnenhut bis hin zur Sonnenblume, die mehr als 2 m hoch wachsen kann.

Die meisten Lippenblütler betören durch ihre Düfte, sie sprechen also wenigerLavendel-Blüten die  Augen an als die Nase. Sie kommunizieren mit ihrer Mitwelt über ätherische Öle, mit denen sie Emotionen auslösen und Erinnerungen wecken. Ätherische Öle dienen aber auch dem Schutz vor Bakterien, Pilzen und anderen Fressfeinden. Nicht umsonst finden wir in dieser Familie viele unserer Gewürze und Parfüm-Pflanzen, wie Thymian, Basilikum, Lavendel.

Die Doldengewächse sind eine Familie mit einem sehr klaren Ordnungsprinzip, das stark an kosmischen Grundsätzen orientiert ist. Die Doppeldolden mit ihrem gegliederten Aufbau verbinden sowohl sammelnde zentrierende Kräfte, wie hingebende und entäußernde.

Über ihre kräftigen, meist hohlen Stängel, verbinden sie den Himmel mit der Erde. In großen Speicherwurzeln sammeln sie die Energien und zeigen damit eine starke Betonung des Erdelementes. Im Körper hat das seine Entsprechung in den Atemwegen und der Verdauung. Beispiele: Anis, Kümmel, Fenchel.


Mit diesen kurzen Charakterisierungen habe ich drei unserer bedeutendsten Heilpflanzenfamilien skizziert. Alle drei haben eine starke Beziehung zur Sonne, setzen aber die Energie sehr unterschiedlich um.

Die Signaturenlehre

Paracelsus (1493 bis 1541) schrieb: „Den Pflanzen sind Kennzeichen mitgegeben, die darauf hinweisen, wofür sie dem Menschen dienen können, der Mensch muss nur lernen, diese Kennzeichen zu lesen.“

Weil in der Welt alles mit allem zusammenhängt, der Makrokosmos also mit dem Mikrokosmos korrespondiert und sich in ihm spiegelt, findet man im Himmel, wie im Pflanzenreich und bei den Menschen, die gleichen Prinzipien der Welt verwirklicht.

Die erkennbaren und erfahrbaren Eigenschaften der Pflanzen wurden dabei den Charakteren der Planeten zugeordnet. Deren astrologische Eigenschaften wurden im Weltbild des Mittelalters und der Renaissance genutzt, um die Welt einzuteilen und zu erklären.

Schamanen, beispielsweise bei den Indianern oder in Sibirien, arbeiten mit ähnlichen Analogien. In der spirituellen Durchdringung der Pflanze wächst die Erkenntnis, welche pflanzliche Energie das Gleichgewicht in einem kranken Körper wiederherstellen kann. Die Hinweise auf die entsprechende Zeichen oder Signaturen werden oft im Traum oder Trance gewonnen.

Es fällt uns mit unserer heutigen mechanistischen Denkweise schwer, in die Gedankenwelt des Mittelalters und der frühen Neuzeit oder in die spirituelle Welt der Schamanen einzutauchen. Aber genau das müssen wir versuchen, denn es geht nicht um ein schlichtes Prinzip von Ursache und Wirkung oder Symptom und Wirkstoff. In der Signaturlehre geht es um das Wesen einer Pflanze und die dadurch repräsentierten komplexen Kräfte.

Paracelsus 1540Paracelsus und die ihm folgenden Schüler brachten die intuitiv angewandte Signaturenlehre in ein System und schrieben es gewissenhaft auf. Das machte die Lehre bekannt und leicht anwendbar, nahm ihr damit aber die Dynamik und Lebendigkeit.

Möglicherweise ist gerade die Systematisierung und Fixierung der Signaturenlehre eine Ursache dafür, dass sie heute kaum noch praktiziert oder gar nicht ernst genommen wird. Die moderne Wissenschaft hält diese Lehre für völlig haltlos, obwohl sich herausgestellt hat, dass viele Erkenntnisse der Signaturlehre in der Praxis zutreffen.

Beispiele aus der Signaturenlehre Paracelsus:

  • Leberblümchen bei Leberleiden. Seine dreigegliederten Blätter erinnern an die Leberlappen.
  • Schöllkraut hilft mit seinem gelben Saft gegen die Gelbsucht, eine Lebererkrankung.
  • Die Walnuss, mit ihrem hirnartigen Aussehen, gegen Kopfschmerzen.
  • Die geschwollenen Wurzelknöllchen des Scharbockskrauts gegen Hämorrhoiden.
  • Brennnesseln mit ihren Haaren helfen gegen Haarausfall.

Die Pflanzen selbst interessieren sich für akademische Diskussionen überhaupt nicht. Das Leberblümchen hilft ganz einfach bei Leber- und Gallenleiden, Walnüsse enthalten Linolensäuren und Omega-3-Fettsäuren, die den Blutdruck senken und Kopfschmerzen lösen können.

Brennesselextrakte werden in zahlreichen Pflegemitteln für die Kopfhaut und Haarwurzeln erfolgreich eingesetzt. Die Knöllchen des Scharbockskrautes enthalten einen scharfen Saft, mit dem man Feigwarzen wegätzen, und der in Sitzbädern Hämorrhoiden veröden kann. Die Flavone und Bitterstoffe des Schöllkrauts sind für ihre unterstützende Wirkung auf Leber und Galle bekannt. Das sind überzeugende Beispiele, von denen es noch viele anderen gibt.

Paracelsus und Hildegard von Bingen

Paracelsus erwähnt zur Signaturenlehre und der Kommunikation mit den Pflanzen Hildegard von Bingen und ihre Visionen. Hildegard von Bingen lebte von 1098 – 1179, also im Mittelalter. In ihren visionären Werken „Causa et Curae“ und „Physica“, beschreibt sie viele Pflanzen und benutzt dabei im lateinischen Text deutsche Namen, dadurch wurden viele deutsche Pflanzennamen erstmals dokumentiert.

„Warum“, fragte Paracelsus, „träumte der heiligen Hildegard die Heilkraft der Arzneien?“ Und er beantwortete die Frage: „Weil sie in ihren barmherzigen Gedanken mit ihren Kräutern und mit ihren armen Kranken immerfort Umgang pflog.“

Diese Antwort öffnet einen Zugang für den Umgang mit Heilpflanzen und der Signaturenlehre, der uns auch heute immer noch offensteht, 500 Jahre nach Paracelsus und 900 Jahre nach Hildegard.

Bei der Beurteilung der Heilpflanzen muss man sich in sie versenken. Man darf sich nicht auf einzelne Zeichen beschränken, auch eine geistige Zusammenfassung gehört zur Charakterisierung. Diese Erkenntnis des Wesens der Pflanze leitet dann über zu dem erkrankten Organismus, findet in ihm Entsprechungen und kann ihm so helfen, sein Kräftegleichgewicht wiederzufinden.

Beobachten und Erkennen umfassen die Pflanzen und die Patienten gemeinsam, ganz egal, ob der Patient ein Mensch oder ein Tier ist. Dieser Weg muss wieder die Grundlage der Heilkunde werden.

Die Beurteilung von Pflanzen

Um Pflanzen und ihre helfenden Kräfte beurteilen zu können, ist es also wichtig, genau hinzuschauen, lange und intensiv, und dabei auch auf Kleinigkeiten und feine Unterschiede zu achten. Die Pflanze erzählt, wir müssen zuhören lernen. Und selbst dann, wenn wir nicht interpretieren wollen, vermitteln uns die Signaturen Assoziationen, die wir in der Praxis als "Eselsbrücken“ nutzen können. Sie helfen, uns dann an die geeigneten Pflanzen zu erinnern, wenn es erforderlich ist.

BirkenblätterBei der genauen Betrachtung aller Einzelheiten darf die Gesamtheit der Pflanze nicht außer Acht gelassen werden. Deshalb sollte man sich dazu einige Fragen stellen:

Worin liegt die Stärke der Pflanze?


  • In der Größe, wie bei Beifuss, Sonnenblume, Großer Klette, Topinambur, Alant?
  • In der Blattmasse, wie bei Lattich, Spitzwegerich, Cardy, Löwenzahn, Rhabarber?
  • Im besonderen Duft, wie bei Kamille, Rainfarn, Insektenblume, Mutterkraut, Lavendel, Anis?
  • Liegt ihre Stärke in ihrer kräftigen Wurzel, wie bei Zichorie, Meerrettich, Pastinake, Möhre?

Wie tritt sie auf?


  • Tritt sie in Mengen auf, wie Löwenzahn, Gänseblümchen?
  • Oder steht sie einzeln, wie die Königskerze?

Welche Formen haben Blätter, Blüten und Früchte?

   Welche Assoziationen lösen sie aus

  • zu Verhaltensformen,
  • zu Lebenssituationen,
  • zu Organen,
  • zu Krankheitsbildern?

Wie verhält sich die Pflanze zu ihrer Umgebung?


  • Welche Überlebensstrategien hat sie entwickelt?
  • Wie schützt sie sich vor Fraß, Witterung, Wind, Strahlung, Trockenheit, Nässe oder Pilzbefall?
  • Produziert sie besondere Inhaltsstoffe, z. B. Gerbstoffe, Bitterstoffe, ätherische Öle, wie Eiche, Wermut oder Lavendel?
  • Verteidigt sie sich durch Dornen oder Stacheln, wie Schlehe, Rose, Mariendistel?

An welchen besonderen Standorten wächst sie?


  • In Wüsten, wie die Teufelskralle, auf Salzböden, wie der Queller, oder im moorigem Boden, wie Mädesüß?
  • Welche Anpassungen, welche besonderen Inhaltsstoffe ermöglichen ihr das Leben an diesen Extremstandorten? Speicherwurzeln, hohe Zellkonzentration und Salzdrüsen, besondere Wurzelversorgung, Gerbstoffe?

Altes Wissen und Fingerspitzengefühl

Solche detaillierten Pflanzenbeschreibungen liefern alte Heilpflanzenbücher. Sie belegen die umfangreichen ökologischen Kenntnisse ihrer Autoren. Sie reichen von den besonderen Keimbedingungen der Pflanzen bis zu Samenreife und Ausbreitung.

Dieses spezielle Wissen vermittelte den Heilkundigen, welche Pflanzen sie zu welcher Therapie einsetzen konnten und wie sie zubereitet werden mussten.

Wer heute aus der Fülle der möglichen Heilpflanzen eine oder einige zur Therapie auswählt, nutzt Wissen und Erfahrungen ebenso wie Intuition und Inspiration. Die Signaturenlehre mit ihren Fragestellungen kann bei der Wahl der Mittel helfen.

Zum Abschluss soll Paracelsus noch einmal zu Wort kommen:

„Also lest in dem Buch das die Natur vor euch aufgeschlagen hat. Wer nun nicht in der Lage ist, darin zu lesen und erst das ABC lernt und daraus die Wörter zusammen setzt, der tut sich sicher schwer.“

Manfred Heßel, Dipl.-Ökologe

09.11.2017

Bildergalerie

Zurück zur Übersicht