Rassehund am Ende?

Überzüchtet und krank, von zweifelhafter Schönheit – so sehen immer mehr Hundefreunde den Rassehund. Angesichts von Erbkrankheiten, Inzucht und Kurzlebigkeit ist das kein Wunder. Zugleich kommen massenhaft Straßenhunde aus Rumänien oder Spanien als Nothunde zu uns. Auch der Mischling als gesunde Alternative, bewusst kreiert im Kleid des „Designer-Dogs“, ist im Kommen. Andere rufen gar heute noch neue Hunderassen ins Leben. Viele fragen sich, was ist denn der passende Hund in unserer heutigen Gesellschaft?

Wo finde ich nur den richtigen Hund für mich?

Hat der Rassehund noch einen Sinn? Sind Nothunde, Mischlinge, Designer-Dogs eine Alternative? Welche Vorteile und Nachteile haben diese Hunde als Begleiter in unserer Gesellschaft? Bei diesen Fragen scheiden sich oft die Geister. Die einen sehen nur noch im importierten Nothund aus Spanien die einzig ethisch legitime Hundehaltung.

Organisationen wie Peta sehen in der Zucht von Rassehunden gar die Wurzel des Übels und wollen die gesamte Rassehundezucht verbieten. Auf der anderen Seite pilgern Zehntausende auf die großen Hunde-Shows des VDH wie im Mai und Oktober in Dortmund, wo dann die Europa- und FCI-Jahrhundertsieger prämiert werden. Sieger wurden dort zuweilen Hunde, die der Autor dieser Zeilen eher als Qualzucht einstufen würde: z. B. Möpse ohne Fang mit kreisrunden Schädeln und glubschigen Augen, Bulldoggen mit riesigen Nasenfalten, die noch über die eh schon extrem kurze Nase reichen.
Letztere wurden reihenweise mit Championaten überhäuft, obwohl der gültige Standard starke Nasenfalten ausdrücklich verbietet. Der Standard war erst im Oktober 2010 zugunsten der Gesundheit des Bulldogs geändert worden. Doch die Masse der Züchter und Funktionäre der Show-Zucht scheint das nicht zu interessieren. Bei etlichen Hunderassen sind Kaiserschnittquoten von über 50 %, ja 80 % wissenschaftlich belegt. Auch darüber geht man seit Jahren geflissentlich hinweg – in weiten Teilen der Zucht, bei den Tierschutzorganisationen und Amtsveterinären.

Menschengemachtes Hundeelend

Wir zeigen gerne auf Länder in Süd- und Osteuropa und importieren von dort hunderttausende als Nothunde nach Deutschland. Manche Tierschützer meinen, diese Hunde könnten nur hier ein schönes Hundeleben führen. Doch wir in Deutschland sollten auch vor der eigenen Türe kehren. Die allumfassenden Restriktionen gegen Hunde sind alles andere als die Grundlage eines schönen Hundelebens. Auch das Elend in der Rassehundezucht stellt uns nicht gerade ein gutes Tierschutzzeugnis aus. Und das ist leider kaum einmal Thema der Medien. Agar- und Nahrungsmittelindustrie wie Politik haben kein Interesse an einem wirkungsvollen Gesetz zum Tierschutz in der Zucht. Das würde nur die Profite in der industriellen Fleischproduktion gefährden, in der es auch nicht sonderlich tiergerecht oder gar artgerecht zugeht. Und so wundert es kaum, dass wir seit 1999 nur eine einzige rechtskräftige Verurteilung wegen Verstoßes gegen §11b des Tierschutzgesetzes notieren können.
Hat sich nun die Zucht von Rassehunden überlebt? Dazu sollte man erst einmal klären, was überhaupt ein Rassehund, was Hunderassen sind.

Was ist eigentlich ein Rassehund?

Hunderassen gibt es schon seit vielen tausend Jahren. Nur wurden diese früher nicht nach aufgeschriebenem Standard gezüchtet, genetisch isoliert und mit Ahnentafeln als Zertifikat gehandelt. Insbesondere war die Bewertung eine grundlegend andere. Früher wurden die Hunde nach ihrer Leistung bewertet. Die Anforderungen der Arbeit formulierten den Standard der Zucht. Gute Gesundheit und ein robustes Wesen waren selbstverständliche Grundtugenden. Von den wenigen Schoßhunden adeliger Damen abgesehen, hatten die Hunde durchweg harte Aufgaben für den Menschen zu erfüllen. Diese Arbeitsaufgaben waren höchst unterschiedlich. Sie erforderten jeweils ganz spezielle Fähigkeiten. Die Eigenschaften der Arbeitshunde mussten je nach Einsatzzweck sogar gegensätzlich sein. Die einen, wie die Hütehunde mussten dem Schäfer ganz genau folgen, während die Herdenschutzhunde ihre Aufgaben mit größter Selbstständigkeit erfüllen mussten, gerade dann, wenn kein Schäfer da war, um Anweisungen zu erteilen.

Die Arbeit der Hunde

Es gab viele Aufgaben für Hunde, die wir heute vergessen haben. Hunde waren bis vor 60 Jahren noch regelmäßig im Einsatz als Zugtiere. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts sogar in großer Zahl. Die Städte waren voll mit Hundefuhrwerken der Handwerker und kleinen Händler. Es gab sogar Zwei- und Dreispänner als Kutsche des „kleinen Mannes“. Auf dem Land zogen Hunde die Milchkarren oder brachten die Mahlzeiten zu den Bauern ins Feld.

Jahrhunderte lang war auch der Turnspit im Einsatz, eine heute vergessene Hunderasse. Er war niederläufig, vom Aussehen her etwa ein kräftiger Dackel. Der Turnspit musste stundenlang Treträder bewegen. Damit wurden Butterfässer angetrieben oder Pumpen, Blasebälge für die Schmiede wie auch der große Grillspieß am Kamin adeliger Häuser. Der Turnspit sah zwar aus wie ein Dackel, hatte aber einen ganz anderen Charakter als dieser. Während ein Teckel mutig und selbständig im Bau nach Kaninchen jagt und hier seinen Eigensinn ausbilden musste, war der Turnspit im Dienste seiner eintönigen Aufgabe geduldig und genügsam. Mit dem Aufkommen der Dampfmaschinen und später der Elektromotoren ist der Turnspit ausgestorben. Ein Denkmal haben wir diesem treuen Arbeiter für die Menschheit nie gesetzt.

Verschiedene Aufgaben, unterschiedliche Charaktere

Entlang den Anforderungen der Arbeit für den Menschen wurden die Hunde in immer weitere Rassen aufgeteilt. Dabei wurden die Unterschiede in den für eine Rasse typischen Charakteren noch viel wesentlicher als etwa das Aussehen. Das Exterieur wurde in unserer Zeit zum Mittelpunkt. Erst der heutige Mensch, der sich gerne hoher Tierschutz- und Umweltstandards rühmt, bewertet seinen „besten Freund“ primär nach Äußerlichkeiten, zum Teil solchen banalster Art. Die Show-Zucht hat es geschafft, dass ein Farbfleck an der „richtigen Stelle“ höher bewertet wird als die körperliche und mentale Gesundheit eines Hundes. Dagegen macht die Unterschiedlichkeit, die Vielfältigkeit der rassetypischen Charaktere erst den ganz besonderen Reiz der Partnerschaft aus.

Wir haben den quirligen Terrier, die gemächlichen Molosser, den lernbegierigen Border Collie, den charmanten Mops, den eigensinnigen Akita Inu, den jagdtriebigen Beagle und alle die zahlreichen Hunderassen, die zugleich auch alle ihre unterschiedlichen Pakete an Wesensmerkmalen repräsentieren. Natürlich ist jeder Hund ein Individuum mit einer besonderen, einmaligen Identität, gleich ob Rassehund oder Mischling.
Aber bei einem Rassehund bildet sich die Individualiät immer auf dem Fundament seiner mehr oder weniger ausgeprägten rassetypischen Eigenschaften aus. Genauso wie es große und kleine Doggen gibt, so ist klar, dass eine Dogge immer größer ist, als ein Chihuahua. Dasselbe gilt für das Wesen. Hunderassen unterscheiden sich nicht nur im Exterieur, vielmehr auch in ihrer inneren Ausstattung, ja in ihren Genen. Heute kann man problemlos die Hunderasse anhand der Gene bestimmen. So einen Test kann man für 50 Euro machen lassen. Schon in den 1930er Jahren wiesen US-amerikanische Forscher nach, dass sich die Rassen anhand ihrer Eigenschaften bei der Konditionierung, ihrer Erregbarkeit wie auch ihrer Gelassenheit klassifizieren lassen.

Show- wie Mischlings-Zucht zerstören die alte Partnerschaft

In der Show-Zucht wird seit vielen Hunde-Generationen kaum noch auf ein rassetypisches Wesen geachtet. Es gibt hier nur wenige positive Ausnahmen wie bei den Hovawarts. Trotzdem hat sich in weiten Teilen noch ein rassetypisches Wesen erhalten. Das ist in der Zucht der Arbeitslinien oder Arbeits-Hunderassen, heute meist Jagdhunde, kein Zufall. Hier müssen die Hunde vor einer Zulassung zur Zucht umfangreiche Prüfungen bestehen, die neben der körperlichen auch die mentale Gesundheit und das rassetypische Wesen umfassen.

In ihrer Vernachlässigung des Wesens der Hunde erhält die Show-Zucht Unterstützung aus der Nothunde-Szene. Auch hier wird gerne ein rassetypischer Charakter der Hunde bestritten und allein die individuelle Entwicklung gelten gelassen. Dasselbe gilt für die europaweite Szene der Mischlings-Vermehrer und „Züchter“ sogenannter Designer-Dogs.
Mit dem Abstreiten rassetypischer Wesensmerkmale erteilt man sich selbst einen Freibrief für das Kreuzen beliebiger Rassen, etwa von Terriern und Bulldoggen, was regelmäßig höchst problematische Hunde hervorbringt. Mit diesem „Freibrief“ kann man auch Mischlinge, die seit Generationen nur das freie Leben als Straßenhunde kennen, in eine Etagenwohnung nach Köln-Chorweiler vermitteln. Das besondere Problem bei Mischlingswürfen ist grundsätzlich, dass man nie vorhersagen kann, welches Wesen die ausgewachsenen Hunde nach zwei Jahren zeigen werden. Wissenschaftliche Studien haben das nachgewiesen und darüber hinaus, dass Mischlingsnachkommen sogar Eigenschaften ausbilden können, die den beiden Ausgangsrassen völlig fremd sind. So zeigten die Mischlinge von Deutschem Schäferhund und Husky sehr hohe Ängstlichkeit, eine Eigenschaft, die kein Ahne der Elternrassen auch nur ansatzweise zeigte.

Ich sehe in der Unterschiedlichkeit, der Vielfältigkeit, die durch die verschiedenen Hunderassen geboten wird, ein wunderbares Erbe. Die speziellen rassetypischen Charaktere der Hunde haben auch einen ganz praktischen Vorteil. Schon beim Welpen weiß ich im Groben, ob der Charakter des erwachsenen Hundes zu mir, meinen Lebensvorstellungen und meinen Möglichkeiten passen wird. Bei einem Mischling weiß man das nie.

Da entpuppt sich der süße, liebe Welpe, den man so putzig in einer Etagenwohnung aufgezogen hat, nicht selten nach der Pubertät als triebstarker Jäger, dessen Lebenswünschen man nicht gerecht werden kann und/oder auch will. Das Ergebnis sehen wir in den Tierheimen. Insofern ist der Rassehund eine wesentlich verlässlichere Grundlage für ein artgerechtes Zusammenleben für die Zukunft der alten Partnerschaft. Daher sehe ich nicht in der Abschaffung des Rassehundes den Ausweg aus der heutigen Misere seiner Zucht, vielmehr in einer grundlegenden Wende zum Erhalt eines gesunden Rassehundes.

Christoph Jung
Rassehund am Ende? Sind Mischling,
Nothund, Tierheimhund die Alternative?
Verlag BoD Norderstedt,
ISBN: 9783842367364,
140 Seiten, 14,80 Euro

05.09.2017

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