Der lange Weg zum Behindertenbegleithund

Den Blindenhund und seine Aufgaben kennt jeder und hat solche Hunde auch schon bei der Arbeit gesehen. Inzwischen aber wurde der Tätigkeitsbereich der Hunde ganz erheblich ausgeweitet. Ihre Intelligenz, ihre Lernbereitschaft und ihre Anhänglichkeit machen das möglich.

An MS Erkrankten und gelähmten Menschen ersetzen sie Arme und Beine, für Hörgeschädigte hören sie, Epilepsiekranke warnen sie vor dem nächsten Anfall. Das sind nur einige wenige Bereiche, in denen Hunde den Menschen helfen.

Deshalb spricht man heute eher von Behindertenbegleithunden, von Service- oder Assis­tenz­hunden. Der sprachliche Wirrwarr ist wohl darin begründet, dass das Tätigkeitsfeld solcher Hundehelfer inzwischen sehr weit gefächert sein kann.

Behindertenbegleithunde erhalten nach ihrer Grundausbildung eine Spezialausbildung, die genau auf die individuellen Bedürfnisse und Erfordernisse ihres jeweilig betroffenen Menschen angepasst und zugeschnitten ist. Die Ansprüche an den Hund sind so verschieden wie die Schäden durch Erkrankungen und Unfälle und die daraus entstandenen Beeinträchtigungen. Die Hunde müssen möglichst genau die Fähigkeiten ersetzen, die dem Menschen verloren gegangen sind.

Die Ausbildung solcher Behindertenbegleithunde ist ein noch recht junger Zweig im Aufgabenfeld der Hundeausbildung. Er erfordert vom Ausbilder und vom Hund höchste Sensibilität.

Voraussetzungen

Mehrmals in der Woche klingelt das Telefon und eine Stimme sagt „Wir haben einen Welpen, der soll ein Behindertenbegleithund werden.“  Mein erster Gedanke: Na super, da wurde nicht richtig nachgedacht.

Beim Kauf eines größeren Wertgegenstandes werden Vor- und Nachteile der einzelnen Modelle miteinander verglichen. Es wird über den Grad der Ausstattung diskutiert, über Farbe, Größe, Eigenschaften und Preis. Und beim Hund?

Dabei ist es doch gerade bei einem Behindertenbegleithund wichtig, sich Gedanken über seine Eignung, seine zukünftige Aufgabe und Funktion zu machen. Und es müssen die Fragen beantwortet werden: Wer und wie kann die Erziehung bewerkstelligt werden, was geschieht mit dem Hund, wenn der Betroffene für längere Zeit in die Klinik muss oder wie kann die Ausbildung des Hundes mit seinem Menschen finanziert werden?

Die wichtigste Frage aber ist, welche Aufgaben soll der Hund später übernehmen? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt ab, welches „Hundemodell“, also welche Rasse für den gemeinsamen Weg in Betracht kommt.

Nun, ich versuche mich auf das Telefonat zu konzentrieren und durch Fragen herauszufinden, was mein Gesprächspartner von mir erwartet, und was er mit seinem Hund schon gemacht hat. Nach einer halben Stunde steht dann die erste Entscheidung an: Soll ein unverbindlicher Besuchstermin zu einem Statusgespräch vereinbart werden?
Ja. Dann kündige ich den Besuch eines Trainers und Ausbilders vom Deutschen Ausbildungsverein für Therapie- und Behindertenbegleithunde e.V.  (DATB e.V.) oder vom Deutschen Berufsverband für Therapie- und Behindertenbegleithunde e.V. (DBTB e.V.) an. Der findet im Hause des Hundebesitzers statt.

Vielleicht sind Sie, liebe Leserinnen und Leser, nun leicht verwundert über diese zögerliche Herangehensweise. Doch es sprechen 10 Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet zu Ihnen. Die Euphorie zu Beginn weicht schnell dem Alltag und der Routine. Denn in einem fertigen Behindertenbegleithund steckt tägliche Arbeit, viel Liebe und vor allem Konsequenz bei der Ausbildung.

Allzu häufig wird der wichtige Entwicklungsaspekt des jungen Hundes nicht ausreichend berücksichtigt. Der menschliche Ehrgeiz fordert von einem einjährigen Hund viel zu früh Vollkommenheit, dabei ist der in seiner Entwicklung vielleicht gerade mal einem ca. 17-jährigen vergleichbar.
Bis ein Hund in seiner körperlichen, geistigen und psychischen Entwicklung gereift ist, vergehen durchschnittlich drei Jahre. 1000 Tage Wiederholungen und immer wieder etwas Neues. 1000 Tage freundliche Korrektur und Lob, wenn es richtig war. Lob ist der stärkste Motivator. Das erfordert Geduld, viel Geduld und Liebe.
Doch was ist bei einem Behindertenbegleithund richtig? Das erkennt man an seinen Aufgabengebieten.

Aufgaben

Die Körperarbeit: Tätigkeiten, die der Hund unmittelbar am Körper des Menschen verrichtet. Dazu zählen das Ausziehen von Jacke, Handschuhen, Socken, Hose u.s.w.

Die Umweltarbeit: Tätigkeiten, die der Hund in der Umwelt durchführt. Bedienelemente wie Ampel- oder Fahrstuhlknopf drücken, Türen oder Schubladen öffnen und schließen, Waschmaschine leeren, Packtasche beim Einkauf tragen, und ähnliches.

Apportieren: Aufheben und Anreichen von heruntergefallenen Gegenständen bzw. gereichter oder selbst aufgenommener Gegenstände und das Bringen dieser Gegenstände zum Betroffenen oder zu anderen Personen.

Anzeigearbeit

Bereich 1: Bei hörgeschädigten oder gehörlosen Menschen anzeigen, wenn es klingelt, sei es an der Tür oder das Telefon.

Bereich 2: Menschen mit Epilepsie bei einem anstehenden Anfall warnen.

Bereich 3: Menschen mit Diabetes bei drohender Unterzuckerung warnen.

Rollstuhlarbeit: Tätigkeit unmittelbar am Rollstuhl, begleiten und ziehen über kleinere Hindernisse wie Anhöhen oder Bordsteinkanten und Tragen der Pack­tasche.

Fazit

Nun verstehen Sie, dass ein Behindertenbegleithund nicht gleich Behindertenbegleithund ist. Je nach individuellem Bedürfnis des Betroffenen und Notwendigkeit, aber auch der Begabung des Hundes, gestalten sich die Ausbildungskriterien für diesen speziellen Hund.

Bei allen Unterschieden gibt es auch wichtige gemeinsame Voraussetzungen, die zu erfüllen sind. Solche Hunde müssen gesund sein und erhalten werden. Sie sollen Freude an der Arbeit, Interesse an und einen engen Bezug zu Menschen haben, und Begeisterung am gemeinsamen Lernen mit ihrem Menschen. Auf dieser Basis kann aufgebaut werden.

Ines Pawlitzki

1. Vorsitzende DATB e.V.

01.02.2011

Bildergalerie

Zurück zur Übersicht