Die Ernährung der Pferde aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht

Die Fütterung der Pferde ist doch ganz einfach, so wird behauptet: Gras, Heu, Müslis, Mash, Kraftfutter, Mineralfutter. Alles perfekt. Der Bedarf der Pferde an den verschiedenen Nährstoffen – Eiweiß, Kohlenhydrate, Fette, Mineralien und Spurenelemente sowie Vitamine – ist angeblich bis ins Detail genau erforscht, wissenschaftlich korrekt überprüft und damit unbezweifelbar, also gesichertes Wissen. Die meisten glauben daran.

Datenbanken wurden mit diesen Werten gefüttert und Computer drucken dann in Sekundenschnelle einen Futterplan anhand gewünschter Parameter aus. Nach diesen Vorgaben stellen die Futterhersteller ihre traumhaften Produkte her. Von den tausenden Vitalstoffen, die Pflanzen bereitstellen und auf denen Gesundheit und Leistungsfähigkeit beruhen, ist keine Rede.

Es gibt da ein paar Merkwürdigkeiten

Trotz dieser angeblich so optimalen Bedingungen treten heute Krankheiten, die früher selten und den meisten Pferdehaltern gar nicht bekannt waren, ständig auf – so Hufrehe, EMS, Cushing, chronischer Husten, Durchfälle, Kotwasser. Tierärzte sind in den Ställen Dauergäste. Das Durchschnittsalter der Pferde ist vermutlich auf unter zehn Jahre gesunken, genaue Statistiken werden nicht geführt. Daran ändern auch einige wenige 30-jährige nichts. Bei Hochleistungspferden liegt das Durchschnittsalter sogar bei unter fünf Jahren, wie man von Versicherungen erfahren kann. Von der psychischen Belastung einmal abgesehen, ist das Hobby „Pferd“ kaum mehr bezahlbar. Das passt alles nicht zusammen.

Wissenschaftlich bewiesen – eine neue Religion

Wir Menschen glauben gerne, dass die Antworten der Gegenwart die endgültig richtigen und die aus der Vergangenheit überholt sind. Wir wissen demnach heute alles besser und die Wissenschaft behauptet das ja auch ständig. Mediziner, die sich gerne als Wissenschaftler sehen wollen, haben es geschafft, das Vertrauen in die Erfahrungen aus Jahrhunderten zu zerrütten, zu zerstören und oft lächerlich zu machen. Die meisten Menschen sind wissenschaftshörig, gutgläubig und kritiklos und fallen darauf herein. Das Argument „Wissenschaftlich bewiesen“ zieht fast immer.

Wenn es nicht gelingt, uns wieder auf die Natur und ihr Angebot zu besinnen, kann das kein gutes Ende nehmen. Denn nur die Natur weiß den Weg, sie wusste ihn immer. Das hat sie seit Millionen Jahren bewiesen. Und bis vor etwa 70 Jahren hat man sich bei der Ernährung auch weitgehend an der Natur orientiert.

Pferde sind Erfolgsmodelle der Evolution

Alle Lebewesen müssen sich in ihrer Umwelt zurechtfinden. Und Umwelt bedeutet nicht nur alles, was außen ist – also andere Lebewesen –, sondern auch Fressfeinde bis hin zu den Mikroben. Ebenfalls dazu gehören die Klimaverhältnisse und, eng verzahnt damit, die Nahrungsangebote mit allen darin enthaltenen Stoffen, seien sie gut bekömmlich oder auch giftig. Umwelt ist auch das Innere des Darms, in dem sich viele Billionen Lebewesen verschiedener Arten von Bakterien, Pilzen, Einzellern und Würmern tummeln, ohne die ein Wirt nicht existieren kann.

In der Auseinandersetzung damit sind alle Tierarten und alle Pflanzenarten, die heute auf unserem Erdball leben, Erfolgsmodelle, denn ihre Vorfahren bildeten eine nicht unterbrochene Kette von Siegern, von denen jeder lange genug überlebte, um sich fortzupflanzen. Die Kette wurde bis vor wenigen Jahren oder Jahrzehnten nie unterbrochen. So galt es auch für unsere Pferde.

Urpferdchen waren Blatt-, Knospen- und Früchtefresser


Die Urpferdchen lebten vor 50 Millionen Jahren hier in Europa. Die Funde aus der Grube Messel oder in Geiseltal sind beeindruckend. Sie waren Waldtiere und deshalb Blatt-, Knospen- und Früchtefresser, wie man an den versteinerten Mageninhalten und an ihren Zähnen feststellen konnte.

Eine kontinuierliche Entwicklung dieses Urpferdetyps in Europa von damals bis in die Gegenwart hat es nicht gegeben. Bis zu Equus caballus waren weite Wanderungen nötig, viele Wege und Umwege, auf denen sich die Familie der Equidae in verschiedene Gattungen und in viele Arten aufspaltete, bis letztlich nur noch die heute lebenden Pferdeartigen, darunter Equus caballus, übrig geblieben sind.

Die Paläontologen hatten große Probleme damit, die Entwicklungsgeschichte der Pferde richtig zu interpretieren. In Asien und Europa, ganz zu schweigen von Afrika, gab es nämlich bis vor etwa zwei Millionen Jahren keine Pferdeartigen. In Amerika hingegen ist eine große Vielfalt verschiedener Pferdearten entstanden. Die Verbindung mit den Funden in Messel und in Geiseltal ließ sich erst herstellen, als man die Kontinentalverschiebung verstanden hatte, also erst vor etwa 100 Jahren mit den Forschungen Alfred Wegeners.

Die Kontinente wandern


Vor 50 Millionen Jahren sah die Erde noch ganz anders aus. Der Osten des nordamerikanischen Kontinents berührte noch den westlichen Teil des eurasischen, dem heutigen Europa. Erst im Tertiär kam es zur endgültigen Trennung. Nordamerika wanderte in einem Tempo, das dem Wachstum von Fingernägeln entspricht, nach Westen und mit ihm die Vorfahren der Pferde. In Eurasien starben sie vollständig aus.

Vor zwei Millionen Jahren begann das Eiszeitalter, das Pleistozän. Weite Teile des nördlichen Amerikas und Eurasiens lagen unter einer kilometerdicken Eisschicht. Irgendwann war es dann soweit, dass Amerika mit seiner Halbinsel Alaska im Westen mit dem Osten Asiens zusammenstieß. Durch die Eisbildung sank der Meeresspiegel um mehrere hundert Meter. Es bildete sich die Landverbindung, von der heute nur noch einige Inseln übriggeblieben sind. Wir nennen sie die Beringstraße. Nun konnten Pferde über diese Landbrücke in das nordöstliche Asien einwandern. Anfangs waren es mehrere Gattungen und Arten, aber nur eine einzige Gattung überlebte, die sich in verschiedene Arten und Unterarten aufspaltete, wie wir sie heute kennen: Die Vorfahren unserer Hauspferde und aller anderen heute lebenden Equusarten, also Esel, Halbesel und Zebras.

Das Nahrungsangebot: Vielfältig und artenreich


Ihr Weg führte sie entlang der Eisgrenze durch Tundren, Kaltsteppen und boreale Wälder, nur weiter südlich auch durch wärmere Savannenlandschaften. Die Nordpferde waren also Tundren-, Kaltsteppen- und Waldpferde. Weite Wanderungen von Nord nach Süd und wieder zurück, dem jahreszeitlichen Nahrungsangebot folgend – so wie es Rentierherden auch heute noch tun – lassen sich nachweisen. An diese eiszeitlichen Bedingungen und das entsprechende Futterangebot haben sich die westeuropäischen Pferde angepasst. Sie fraßen Gräser, Flechten und Zwergsträucher – und in den kurzen Sommermonaten die reich blühende Tundrenflora mit ihren vielen Blütenpflanzen. Von Pferden als Steppentieren kann keine Rede sein.

Pferde sind also überwiegend Geschöpfe der Kälte und nicht der Wärme, mit der sie nicht gut zurechtkommen. Darüber sollte jeder nachdenken, der meint, dass sein Pferd friere und bei jeder Gelegenheit eingedeckt werden müsse.

Vereisungen und Warmzeiten, die Interglaziale, wechselten sich im Rhythmus von etwa 100.000 Jahren ab, wobei die Eisphasen immer etwa doppelt so lange dauerten wie die Warmphasen. Während der warmen Perioden – in einer solchen leben wir aktuell – drang der Wald vor, der nun das Futter der Pferde mit Rinden, Knospen, Blättern und Früchten bereicherte. Sicher fraßen sie gerne Hagebutten und andere reife Früchte, die Blätter von Brombeere und Heidelbeere, die ganzjährig zur Verfügung standen, und sie gruben Wurzeln und Knollen aus. So würden es unsere Pferde heute immer noch tun, wenn man sie ließe. In den Warmzeiten wuchsen viele Pflanzen, die wir bis vor wenigen Jahrzehnten bei uns auf allen Weiden vorfanden, die aber heute auf den Einheitswiesen verschwunden sind. An den Waldrändern fanden sie viele Laubbäume, darunter Eichen und Buchen, deren Blätter so wichtig sind für die Regulierung der Verdauung. Viele hundert Nahrungskomponenten kamen so zusammen. Heute sind es nur noch wenige, kaum mehr als zehn.

Tundralandschaft im europäischen Teil Russlands

Nordpferde sind Tundren- und Waldpferde

Einen großen Teil ihres genetischen Erbes haben unsere Hauspferde von diesen Vorfahren geerbt und ganz entsprechend ist auch ihr Nahrungsbedarf. Sie sind keine Steppentiere, was immer identifiziert wird mit „Grasfresser“. Das Argument, Pferde seien reine Grasfresser, lässt sich aus ihrer Entwicklungsgeschichte also nicht ableiten. Man hört es auch erst in den letzten Jahrzehnten immer häufiger. Es passt vor allem denen in den Kram, die heute nichts anderes als Gras anzubieten haben, meist reines Weidelgras, von dem sie auch Heu, vor allem aber Silagen und Heulagen herstellen.

Wir leben seit etwa 10.000 Jahren in einer Zwischeneiszeit, in der sich artenreiche Biotope bilden konnten, u. a. bunte Wiesen mit 80, 100 oder noch mehr Pflanzenarten. Solche Wiesen verdanken ihre Entstehung der intensiven Beweidung großer Landsäugetiere und der regelmäßigen Bewirtschaftung durch uns Menschen. Diese Artenvielfalt war bis vor wenigen Jahrzehnten die selbstverständliche Basis für gesunde Ernährung. In den Ländern Osteuropas, wie Rumänien und Bulgarien, ist das immer noch so. Pferde und andere Weidetiere bekamen über die vielen Kräuter eine überwältigende Vielfalt an verschiedenen Pflanzenstoffen, die anregende oder auch heilende Wirkung hatten. So ernährte Pferde brauchen kaum mal einen Tierarzt. Von dieser Vielfalt findet sich auf unseren Wiesen heute fast nichts mehr.

Die Pflanzenvielfalt wurde abgelöst durch Grasäcker mit eingesätem Weidelgras oder wenigen anderen auf Masse, Zucker und Eiweiß gezüchteten Grasarten. Von der Vielfalt der Gräser – in Deutschland wachsen Süßgräser von 65 Gattungen – sind also auch nur noch wenige übriggeblieben: Wiesenschwingel, Deutsches Weidelgras, Wiesenrispe, Lieschgras, Rotschwingel, Glatthafer,  Wiesenfuchsschwanz. Bunte Bergwiese in KärtenBunte Blumen gibt es kaum noch. Treten doch mal noch blühende Pflanzen auf, und blühen sie sogar gelb, werden sie allesamt als Giftpflanzen diskriminiert, weil die Kenntnis der Arten abhandengekommen ist. Gelb wird sofort gleichgesetzt mit Jakobskreuzkraut, also giftig.

Chemie geht vor Biologie

Heute werden die Pferde versorgt mit energiereichem Futter, als wenn sie schwerste Arbeit leisten müssten. Vor allem der Getreideanteil, also das Stärkeangebot, und Zucker in Form von Melasse sind extrem hoch. Wohin sollen die Pferde mit der Energie? Die lebenswichtigen schwerverdaulichen Anteile wie Rinden, Blätter und Stroh, welche das Futter für die Darmbakterien sind, will man den Pferden nicht zumuten, es soll stattdessen leichtverdaulich sein – so wird es auch beworben. Ein gefährlicher Unsinn, der immer in Krankheit – vor allem des Darms – enden muss. Dazu kommen künstliche Vitamine, anorganische Spurenelemente, die häufigen Impfungen und Wurmkuren und bei jeder Gelegenheit chemische Medikamente.
Angeblich alles nötig.

Aber warum gibt es dann so viele kranke Pferde?

Rein rechnerisch erscheint diese Fütterung, wie bereits am Anfang des Artikels erläutert, korrekt. Aber sie hat mit biologisch artgerechter Fütterung nichts mehr zu tun. Abgesehen davon, dass die Verwertbarkeit der vielen künstlichen Futteranteile, wie sie insbesondere in vitaminierten Mineralfuttern angeboten werden, kaum erforscht ist – wen kümmern noch die fehlenden Vitalstoffe wie Enzyme, Bitterstoffe, Antioxidanzien, ätherische Öle etc., bei denen es nicht um die Nährwerte geht, sondern um die Informationen, die jede Zelle des Körpers braucht und über die der Körper mit seiner Mitwelt ständig korrespondiert? Stattdessen werden Pferde mit Fast Food ernährt.

Die Anpassungsfähigkeit der Pferde stößt an ihre Grenzen


Die Umweltbedingungen haben sich immer schon geändert. Den Rhythmus der Eiszeiten habe ich Ihnen erklärt. Die Anpassung daran und an den Menschen ist unseren Pferden in ihrer langen Geschichte bis fast in die Gegenwart gelungen. Es blieb ihnen immer ausreichend Zeit, sich an Veränderungen anzupassen - auch an ein verändertes Futterangebot. Denn es war immer natürlich. Jetzt gilt das nicht mehr. Fast alle artenreichen Wiesen wurden zu Grasäckern gemacht und der Zugang zum Wald ist den meisten Pferden versperrt, sie könnten sich ja vergiften. Pferde müssen fressen, was man ihnen vorsetzt. Sie haben keine Wahl.

Wildpferde heute

Werfen wir einmal einen Blick auf wildlebende Pferde, was die Bekömmlichkeit der natürlichen Futter oder auch ihre Giftigkeit angeht: Wildlebende oder verwilderte Pferde wie die Mustangs, deren Lebensraum nicht begrenzt ist, fressen nicht blind drauflos. Wandernd fressen sie hier etwas und dort, sie testen, was sie fressen und wie es ihnen bekommt. So lernen sie Fressbares von Ungenießbarem zu unterscheiden. Sie sind gute Botaniker. Fohlen lernen von ihren Müttern und der Herde. Insbesondere ihr optisches Gedächtnis ist sehr ausgeprägt.

Zu Vergiftungen kann es so kaum kommen, denn auch hier gilt: die Menge macht das Gift. Die Verleumdungskampagnen der Pflanzen als Quellen der Vergiftung waren äußerst erfolgreich, zum Schaden der Pferde. Unkenntnis und Ignoranz triumphieren. Man sollte sich fragen, wer das befördert hat und in wessen Interesse dies geschehen ist. 

Und jeder, der Pferde hält, sollte sich um mehr Pflanzenkenntnisse bemühen.

Wenn man sich den Gesundheitszustand der Pferde heute betrachtet, gewinnt man den Eindruck, dass sich die Erfolgsgeschichte der Spezies Pferd, Equus caballus, dem Ende zuneigt. Sicher ist: Unsere Pferde werden nicht mehr biologisch-artgerecht ernährt.

Klaus-Reiner Töllner, Biologe

01.04.2019

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