Mein Pferd ist sauer

- im doppelten Sinn

Wer denkt schon gleich an eine organische Störung, wenn sich sein Pferd lustlos oder aber übernervös und bockig zeigt. Wer weiß schon, dass Weben, Koppen oder häufiges Durchgehen nur in seltenen Fällen „Charakterfehler“ sind, sondern Ausdruck davon sein können, dass die Pferde im wahrsten Sinne des Wortes „sauer“ sind – und zwar nicht nur psychisch, sondern auch physisch?

Immer dann, wenn Pferde auffällige Verhaltensänderungen oder wiederkehrende Krankheitsbilder – Therapieresistenz nennt das der Fachmann – zeigen, sollte man an eine mögliche Übersäuerung denken.

So spielt die Übersäuerung eine große Rolle bei:

  • Hufrehe,
  • Kreuzverschlag,
  • Sommerekzem,
  • chronischem Husten,
  • allgemeiner Leistungsschwäche
  • und Koliken.
  • Auch bei degenerativen Gelenkerkrankungen (Arthrosen, Rheuma, Knochenwucherungen) ist sie zumeist beteiligt.
  • Ebenso deuten Schmerzzustände infolge von Muskelverspannungen auf ein Säureproblem hin.

Was sind eigentlich Säuren und welche Rolle spielen Basen?

Säuren sind chemische Verbindungen, die Wasserstoff enthalten. Sie schmecken sauer – daher der Name. Mit Metallen oder Basen reagieren sie und bilden neutrale Salze.

Basen sind die Gegenspieler der Säuren. In Wasser gelöst heißen sie Laugen. Messwert für den Grad der basischen bzw. sauren Reaktion ist der pH-Wert. Dabei wird die Konzentration der Wasserstoffionen gemessen. Diese gibt Auskunft über den sauren oder basischen Charakter einer Lösung. Die Skala reicht von 0 bis 14, wobei 7 die Neutralität von reinem Wasser anzeigt. Nach unten wird es zunehmend saurer, nach oben immer basischer.

Typische Dellen, die sich bei stark übersäuerten Pferden im Laufe der Zeit bilden. Diese Ansammlung von Schlackstoffen und Gewebswasser ist durchaus mit Cellulite beim Menschen vergleichbar.Anzeichen einer Übersäuerung

Wie „sauer“ darf ein Pferd eigentlich sein?

Einfache Antwort: überhaupt nicht, wenn man vom Mageninhalt einmal absieht. Ansonsten funktioniert der gesamte Pferdeorganismus am besten im neutralen oder basischen Bereich: Blut, Speichel, Sekrete der Leber sind mehr oder weniger basisch. Besonders basisch ist das Sekret der Bauchspeicheldrüse. Es dient dazu, den im Magen durch die dort gebildete Salzsäure gesäuerten Nahrungsbrei zu neutralisieren, damit die Nährstoffe im Dünndarm aufgenommen werden können. Im gesunden Zustand liegt der pH-Wert des Darminhalts also auch eindeutig im basischen Bereich. Bei gestörter Verdauung entstehen durch Gärung oder Fäulnisprozesse Säuren.

Der Darm entledigt sich dieser störenden Substanzen mit Hilfe von Durchfällen. Das Bindegewebe, die Muskeln und die Zellen der Organe sind schwach sauer, weil bei der Verbrennung von Nährstoffen zur Energiegewinnung Kohlensäure entsteht. Für die Zellen ist lebenswichtig, dass sie ständig entsäuert werden. So weiß man beispielsweise, dass der menschliche Herzmuskel aufhört zu arbeiten, sobald der pH-Wert auf 6,2 abgesunken ist. Das Säuregefälle zwischen Blut, Bindegewebe und Organzellen begünstigt den Abtransport der Säure aus den Zellen durch das Bindegewebe hindurch ins Blut.

Mit dem Blut wird die Säure dorthin transportiert, wo sie entsorgt werden kann: in die Lunge, wo Kohlensäure mit dem Atem als CO2 ausgeschieden wird, in die Niere, die Säure mit dem Harn ausscheidet, sowie in die Schweißdrüsen der Haut und in den Darm.

Der Körper bildet „Giftmülldeponien“

Diese körpereigene Giftmüllentsorgung funktioniert nur bis zu einer bestimmten Grenze.  Wird mehr Säure erzeugt als Blut, Nieren, Atmung, Darm und Haut wieder abgeben können, fängt der Körper an, diese zu deponieren. Das passiert vor allem im Bindegewebe. Bei vernünftiger Fütterung und ausreichender Bewegung an frischer Luft kann das Bindegewebe die gespeicherte Säure immer wieder loswerden. Doch wenn nicht, ist die Kapazität irgendwann erschöpft, und die Säure landet auch in Körperbereichen, die dies weniger gut verkraften, wie beispielsweise in den Gelenken (dort fördert sie das Entstehen von degenerativen Gelenkerkrankungen), den Sehnen und Bändern, schließlich in der Muskulatur.

Jeder, der selbst schon einmal Muskelkater gehabt hat, weiß, wie weh es tun kann, wenn durch Überanstrengung zuviel Milchsäure gebildet wurde. Die Einlagerung organischer Stoffwechselsäuren in die Muskulatur hat ähnliche Folgen. Interessanterweise sucht sich der Organismus für diese Einlagerung solche Muskeln aus, die eher selten benötigt werden. Die Folge ist eine Versteifung des Muskels und die Neigung zum Verkrampfen. Ein ständig verspannter Muskel klemmt dann die durch ihn verlaufenden Nerven wie eine Rohrzange ein. Das Pferd bekommt Verspannungsschmerzen, die es kaum wieder los wird. Dadurch können Abwehrverhalten und Widersetzlichkeiten bei der Arbeit entstehen.
Spätestens jetzt merkt der Mensch: Das Pferd ist sauer. Wenn er auch daraus meist noch längst nicht die richtigen Schlüsse zieht.
Übrigens: Mit zunehmendem Alter lässt die Fähigkeit des Pferdekörpers nach, sich der Säuren zu entledigen – mit eine Ursache für das Auftreten typischer „Alterserkrankungen“ wie Arthrose etc.

Körper und Psyche beeinflussen sich gegenseitig

Ist der Körper eines Pferdes erst einmal mit Säure überlastet, so reagiert dieser völlig anders als der eines Pferdes, bei dem sich die Körpersäfte im Säure-Base-Gleichgewicht befinden. Dies liegt am Einfluss des sauren Stoffwechselgeschehens auf das vegetative Nervensystem. Das vegetative Nervensystem steuert alle wichtigen Körperfunktionen, die nicht vom Bewusstsein beeinflusst werden: Herzschlag, Verdauung, Körpertemperatur, Schlaf, Atmung, Nierentätigkeit etc. Trotzdem ist es nicht völlig unbeeinflusst von Psyche und Körper. Aufregung, Stress oder Angst wirken sich auf die Tätigkeit der Lebensnerven aus.

Dabei unterscheidet man zwei Nervensysteme – Sympathikus und Parasympathikus. Der Sympathikus ist so etwas wie ein „Impulsgeber“, der „Anreger“. Er setzt Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin frei, beschleunigt Herzschlag und Atmung, erhöht den Blutdruck, macht den Körper fluchtbereit, reguliert beim Hengst den Samenerguss und hemmt die Darm- und Blasenentleerung. Außerdem ist er an Fieber, Entzündungen, Erschöpfungszuständen, allen Krankheiten und an der Übersäuerung beteiligt.
Sein Gegenspieler ist der Parasympathikus, der „Beruhiger“. Er lässt Magen- und Verdauungssäfte fließen, verlangsamt Atmung und Herzschlag, ist verantwortlich für Blasen- und Darmentleerung.

Säure macht krank – Krankheit macht sauer – ein Teufelskreis

Alle genannten Funktionen beeinflussen umgekehrt auch wieder die Tätigkeit der beiden Nervensysteme. Und genau hierbei spielt die Säure eine entscheidende Rolle. Zum einen ist sie einer der Motoren des Sympathikus.

Säure bedingt Erregungszustände, wenn eigentlich Ruhe angesagt wäre. Säure lässt ohne Grund Stresshormone explodieren. Säure versetzt das Abwehrsystem in Alarmbereitschaft, obwohl vielleicht nur harmlose Stoffe in den Pferdeorganismus gelangen (Allergie und Ekzemneigung).
Säure hemmt die Verdauung und das Ausscheiden von Giftstoffen. Säure begünstigt jede Art von Krankheit. Bei basischer Stoffwechsellage dagegen wird der Parasympathikus angeregt. Sie ist also gut für die Gesundheit, sorgt für geregelte Verdauung, Ruhe, Erholung und Ausgeglichenheit.

Was macht unsere Pferde sauer?

Fütterungsfehler


Ein Zuviel an Eiweiß, vor allem durch hohe Kraftfuttergaben; Mineralstoff- und Elektrolytmangel führen in der Regel zu einer Übersäuerung. So sind Säurekrankheiten bei üppig gefütterten Pferden, die viel leisten, häufiger als bei knapp gehaltenen Pferden zu finden. Auch der Zeitpunkt des Fütterns spielt eine Rolle. Muskelarbeit verbraucht Basen. Bei der Atmung wird Bikarbonat (eine Base) verbraucht. Zum Neutralisieren der bei der Muskelarbeit entstehenden Milchsäure werden Basen verbraucht. Deshalb belastet das Arbeiten direkt vor oder nach der Fütterung den Basenvorrat, der eigentlich für die Verdauung benötigt wird.

Am Anfang wird der Organismus mit der Versauerung noch spielend fertig. Erst nach längerer Zeit erscheinen die ersten – oft unbemerkten – Symptome: ein bisschen Durchfall, vorübergehende Steifheit, Hautveränderungen oder schlechtes Hornwachstum. So fängt das an...

Körpereigene Vorgänge


Bei der Eiweißverdauung wird Säure gebildet. Jeder Energievorgang in den Zellen setzt Kohlensäure frei. Psychische Einflüsse wie Stress, Angst, Trauer machen über die Anregung des sympathischen Nervensystems sauer. Bewegungsmangel, Mangel an frischer Luft sowie chronische Gärvorgänge im Darm (z.B. durch Fütterungsfehler, verdorbenes Futter etc.) sind weitere Ursachen einer zunehmenden Versauerung.

Krankheiten


Jede Krankheit wird durch Säuren gefördert. Natürlich kann die Säuretheorie nicht alle Pferdekrankheiten erklären. Wissenschaftlich nachgewiesen ist jedoch, dass bei allen Krankheiten gleichzeitig eine Übersäuerung des Organismus vorliegt. Und: die meisten Krankheiten – angefangen von einer akuten Entzündung bis hin zur Hufrehe oder dem Sommerekzem bessern sich schneller, wenn parallel dazu eine Entsäuerung eingeleitet wird.
So kann in vielen therapieresistenten Fällen von immer wiederkehrenden Koliken, Hufrehe, Ekzem, schlechtem Hufhorn oder großen Kotwasseranteilen allein durch die regelmäßige Gabe von puffernden Basenpräparaten eine Besserung erzielt werden.

Stress


Auch ständiger Stress macht Pferde sauer – zunächst psychisch, dann aber auch physisch. Schlechte Behandlung, Überforderung, Arbeiten unter hohem Druck, ständige Missverständnisse aktivieren den Sympathikus. Der Körper kann die Säuren nicht mehr los werden. Der säuerliche Gesichtsausdruck – den es auch bei Pferden, wie z.B. ehemals bei Candy, gibt – ist äußerliches Zeichen für den Gemütszustand, aber auch für das körperliche Befinden.

Wissenswert:

Bei einer Übersäuerung versucht jeder Organismus – und das gilt für Tiere ebenso wie für Pflanzen und den Menschen – irgendwoher Basenbildner wie z.B. Calcium zu bekommen – zur Not aus dem eigenen System; sprich bei Mensch und Pferd aus den Knochen. Der Weg zu den so genannten degenerativen Gelenkerkrankungen ist geebnet!
Wenn die Auswirkungen einer permanenten Übersäuerung als Krankheit – wie beispielsweise Ekzem oder ständige Koliken – zutage treten, ist die Säurekatastrophe im Körper schon da.

Fehlleistungen von Bauchspeicheldrüse und Leber (es werden zu wenig Basen gebildet), Nierenschwäche oder Nierenerkrankungen (mangelhafte Ausscheidung der Säuren) sowie Magenprobleme können eine Übersäuerung sozusagen auf direktem Wege verursachen. Verschiedene Medikamente (z.B. Cortison, Salizylsäure oder saure Entzündungshemmer) bewirken, besonders bei Langzeitanwendung, einen Mineralstoffmangel und damit eine Übersäuerung.

Wie lässt sich eine Übersäuerung feststellen?

Die beschriebenen Symptome geben – vor allem, wenn mehrere gleichzeitig auftreten oder Krankheiten allen Therapieversuchen hartnäckig widerstehen – schon einen eindeutigen Hinweis. Der Tierarzt kann eine Übersäuerung anhand der pH-Wertmessung im Urin oder im Kotwasser feststellen. Nicht aussagekräftig ist der pH-Wert des Blutes, da sich dieser nur bei akuter und sehr drastischer Übersäuerung verändert.

Was tun, wenn das Pferd schon sauer ist?

Neben der Reduzierung von eiweißreichem Futter sind Sonne, ausreichende Vitamin-, Mineralstoff- und Spurenelementversorgung, viel frische Luft und Bewegung wichtig. Um den Basenvorrat aufzufüllen, füttert man Basenpräparate, wie z.B. AlkaTOP oder Bikarbonate, Karlsbader Salz etc., kurweise zu. Nach Hochleistungen möglichst auch Elektrolyte ergänzen!
Ein gutes homöopathisches Mittel zur Entsäuerung ist Natrium phosphoricum. Verwenden können Sie auch die Schüssler Salze Natrium bicarbonicum (Nr. 23) und Natrium phosphoricum (Nr. 9).

Übrigens: Sauer macht lustig.
Auch dieser Spruch stimmt, aber nur in Bezug auf den Geschmack der Futtermittel. So schmecken Obstessig und saure Äpfel zwar sauer, wirken aber basisch.

Dipl. Ing. agr. Karin Kattwinkel

05.09.2017

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