Was verraten uns die Hufe ...

... über das Pferd, seine Bewegungsabläufe, den Sattel und das Reiten?

Tägliche HufpflegeWie die Jahresringe viel über das Leben eines Baums verraten, sind die Hufe Abbild der Stoffwechselvorgänge im Pferdekörper einerseits und seiner statischen wie dynamischen Belastung andererseits – zumindest innerhalb des letzten Jahres. Um die Frage, was nun genau an den Hufen ablesbar ist, beantworten zu können, sind einige Grundkenntnisse nötig.

So wachsen Hufe

Das Hufhorn wird in der äußeren Schicht der Huflederhaut erzeugt. Sie besitzt die Fähigkeit, laufend Horn in großen Mengen zu bilden. Dabei wird jeder Hornteil des Hufs von dem Teil der Lederhaut erzeugt, dem er anliegt. Also: die Sohle von der Sohlenlederhaut, der Strahl von der Strahllederhaut; einzige Ausnahme ist die eigentliche Hornwand. Sie wird in ihrem Hauptbestandteil von der Kronlederhaut und nicht von der Wandlederhaut erzeugt. Die Hornröhrchen wachsen ja von oben nach unten, also vom Kronsaum aus. Die eigentliche Hornbildung geschieht wie bei oberflächiger Schuppenbildung der Haut: Zellschichten der Oberhaut (dies entspricht der äußeren Schicht der Lederhaut) werden von jeder Stelle aus ständig neu gebildet, massenhaft aufeinander geschichtet und verhornen anschließend. So entsteht eine  zusammenhängende feste Hornkapsel, die jedoch nicht starr, sondern durch ihre besondere Konstruktion vor allem im hinteren Bereich (Ballen und Trachten) mit einer außerordentlichen Federkraft ausgestattet ist.

Damit genügend Nährstoffe für das Hornwachstum zur Verfügung stehen, ist die Lederhaut reichlich mit Blutgefäßen und Nerven ausgestattet. Die Huflederhaut bedeckt das Hufbein, die Hufknorpel auf ihren Außenflächen sowie von unten. Auf ihrer Oberfläche ist sie mit verschiedenen feinen Blättchen (man sagt auch „Zöttchen“) ausgestattet. Durch diese Unterschiede in der Zotten- bzw. Blättchenstruktur wird unterschiedliches Horn gebildet. Gleichzeitig entsteht eine enorm große Horn bildende Oberfläche. Jedes Zöttchen bildet ein Hornröhrchen. In den Bereichen zwischen den Zöttchen wird das sogenannte Zwischenröhrchenhorn (Kitthorn) gebildet, das die einzelnen Hornröhrchen untrennbar miteinander verbindet. Kitthorn und Hornröhrchen wachsen als zusammenhängende Hornmasse gleichmäßig nach unten – in der Regel etwa 7 – 8 mm pro Monat. Unbeschlagene Hufe wachsen übrigens etwas schneller als beschlagene.

Da die einzelnen Wandabschnitte der Hufkapsel verschieden hoch sind, dauert es unterschiedlich lange, bis die Wand einmal komplett erneuert ist:

  • Zehenwand 12 – 14 Monate
  • Seitenwände 8 – 9 Monate
  • Trachtenbereich 5 – 6 Monate

Die Hufsohle – also der Teil, der den stärksten Belastungen ausgesetzt ist – benötigt nur wenige Tage bis maximal 2 Wochen für eine „Rundumerneuerung“. Viele verschiedene Faktoren haben Einfluss auf das Hufwachstum:

  • Vererbung
  • Ernährung
  • Umgebung (Bodenverhältnisse)
  • Pflege
  • Bewegung

1. Grundgesetz:
Mehr Bewegung – mehr Durchblutung – mehr Hornwachstum

Wenn sich das Pferd bewegt, entsteht mehr Durchblutung in der Kronlederhaut, damit eine bessere Nährstoffversorgung und in der Folge mehr Hornwachstum – vereinfacht dargestellt. Allerdings hat der positive Druckreiz Grenzen: Wird der Druck zu stark (z. B. durch zu steile Wände oder Wandabschnitte, zu schnelle Bewegung auf hartem Boden etc.), kann es zu regelrechten Quetschungen im Kronsaum kommen. Dann wird die Blutzufuhr abgequetscht und die Hornbildung gestört.

2. Grundgesetz:
Die Hufkapsel bildet sich in ihrer Form stets so aus, dass sie den aktuellen Gegebenheiten am besten angepasst ist.

Das heißt, die Hufform kann sich auch beim erwachsenen Pferd noch verändern. Nur deshalb kann der Schmied bzw. Barhufpfleger überhaupt Einfluss nehmen auf die Hufform, das Auffußen und den Bewegungsablauf des Pferdes – und zwar positiv wie negativ.

Eine korrekte, ausgewogene Stellung (man sagt auch: gute Hufbalance) erzeugt einen Huf, der durch seine Form und seine Stabilität das Gewicht des Pferdes optimal tragen kann und zudem die Basis für optimale Bewegungsabläufe schafft. Dagegen bringt eine mangelhafte Hufstellung eine Fülle von Störungen des Bewegungsapparates mit sich (z. B. verkürzte Tritte, Stolpern, Chipfrakturen, Rückenprobleme, Hufrollenerkrankung, Hornspalten, Ballenverlagerungen etc.).

Zwischen Hufform und Bewegungsablauf besteht zudem eine „Wechselwirkung“. Das gerade beschriebene Wirkungsprinzip funktioniert nämlich in beide Richtungen: So bringt eine veränderte Hufform (z. B. Bockhuf oder zu flache Hufe oder Zwanghufe etc.) das Pferd aus der Balance mit entsprechenden Auswirkungen auf seine Bewegungsabläufe und der damit einhergehenden Belastung für die verschiedenen Muskeln und Bänder. Bewegungsstörungen (besser gesagt „Abweichungen vom physiologischen Normalzustand der Bewegung“) verändern die Hufform. Das Pferd läuft sich sozusagen seiner Bewegungseinschränkung entsprechend eine natürliche „Einlage“ an. Mehr dazu gleich.

Auch in punkto Hufwachstum gibt es einige Grundprinzipien, die man kennen muss, um die Form eines Hufs im Bezug auf die zu Grunde liegenden Belastungsvorgänge, die genau zu dieser Hufform geführt haben, beurteilen bzw. ableiten zu können.

Unter der Last wächst die Wand steiler

Logisch, denn eine senkrecht stehende Stütze kann mehr Last aufnehmen als eine schräg stehende. Die Natur reagiert darauf besser als ein Statiker, der für einen Architekten solche Werte berechnen muss. So reagiert der Pferdekörper entsprechend auf vermehrte Last zu einer Seite. Beispielsweise wird bei einem zeheneng auffußenden Pferd die äußere Hufwand (hier kommt mehr Last an) steiler und die innere flacher. Gleichzeitig bildet sich an der flacheren Wandseite ein breiterer Tragrand aus, denn hier treffen die Hornröhrchen schräg auf den Boden und damit nicht im runden Anschnitt, über den Druckreiz auf den Kronrand sondern oval. Gleich viele ovale Röhrchen bilden einen breiteren Rand als runde. Der breitere Tragrand reibt sich langsamer ab als der schmalere (auf der steilen Seite). Dadurch bleibt der Huf auf der flacheren Seite höher. Es entsteht ein Ungleichgewicht, das immer stärker wird, wenn keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden (ausgleichende Hufbearbeitung). Ein Pferd mit einem solchen unausbalancierten Huf (z. B. wenn jemand schief ausgeschnitten hat, sodass innen mehr Horn stehen blieb) läuft auch unausbalanciert: d. h. der vorgeführte Huf wird nach außen abgelenkt, das Gewicht ruht vermehrt auf der Außenkante des Hufs. In der Folge wird die Außenkante immer steiler, die Innenseite immer flacher. Eine zehenenge Stellung kann sich entwickeln. Umgekehrt führt eine vermehrte Gewichtsbelastung auf der Außenseite der Hufe (z. B. weil das Pferd mit einem zu engen Sattel geritten wird, dessen Kopfeisen auf der Schulter drückt, und das Pferd zur Schmerzvermeidung eine Schonhaltung einnimmt, bei der es die Schulter „einzieht“) zu einem veränderten Hufwachstum, sodass sich auch hieraus eine zehenenge Stellung entwickelt (u. U. nur einseitig, wenn z. B. der Sattel vom Aufsteigen auf der linken Seite links im Kopfeisen steiler geworden ist als rechts).

Für die Beurteilung, welche Ursachen nun zu einer Hufkapselverformung geführt haben, ist es wichtig, herauszufinden, was zuerst da war, „die Henne oder das Ei“ – sprich: die unphysiologische Bewegung bzw. Fehlstellung der Gliedmaße oder die verformte Hufkapsel. Dazu heben Sie das Bein vom Boden an – und zwar oberhalb des Vorderfußwurzelgelenks (Vorderbein) bzw. Sprungsgelenks (Hinterbein), ziehen es nach vorne und oben. Das Pferd muss das Bein dabei locker hängen lassen, sonst verfälscht der Zug der Bänder das Bild! Schauen Sie nun von oben über die Gelenkmitte – Vorderfußwurzelgelenk bzw. Sprunggelenk – über die Mitte des vorderen Kronsaums bis zum Tragrand des Hufs. Sehen Sie zu beiden Seiten gleich viel vom Tragrand, so ist die Fußungsfläche symmetrisch. Der Huf passt also zur Gliedmaßenstellung. Die Ursache für eine asymmetrische Hufkapselform liegt hier also im Bewegungsablauf oder in einer manifestierten (in der Jugend nicht korrigierten) Fehlstellung. Anders, wenn an einer Seite mehr Hufrand hervorschaut: Dann handelt es sich um eine bloße Hufkapselverformung. Sie kann durch fehlerhafte Bearbeitung, kurzfristige Fehlbelastungen oder Wandausbrüche verursacht worden sein und darf auch beim erwachsenen Pferd – muss sogar! – korrigiert werden. Im Falle eines Beschlags würde dabei an der zu steil gewordenen Seite das Eisen etwas weiter gelegt. In der Folge verändern sich die Belastungsverhältnisse (das weite Eisen „suggeriert dem Kronrand“ einen flacheren Wandverlauf) und die neuen Hornröhrchen wachsen flacher herunter. Bei der Barhufpflege würde die flachere Wand etwas gestreckt (dünner geraspelt). Sie wächst dann in der Folge steiler. In beiden Fällen stellt sich wieder eine ausbalancierte Hufkapsel ein.

Die beschriebenen Unterschiede erkennen zu können ist wichtig, denn nur dann ist eine zielgerichtete Ursachenforschung und eine für das Pferd sinnvolle Korrektur möglich. Liegen die Ursachen beispielsweise in einer Blockade weiter oben liegender Gelenke (bei den Vorderbeinen häufig Brustwirbelsäule, bei den Hinterbeinen meist Kreuzdarmbeingelenk) oder Muskelverspannungen, so muss hier zunächst Abhilfe geschaffen werden, bevor die Hufstellung korrigiert werden darf. Ansonsten würde man die Schmerzen des Pferdes steigern und den Bewegungsablauf verschlechtern. Sind die Blockaden beseitigt, muss unmittelbar danach auch die Hufstellung angepasst werden. Ansonsten würde die noch vorhandene – jetzt falsche – vom Pferd selbst angelaufene „Einlage“ die Blockade erneut provozieren.

Beispiele von durch Hufkapselverformung veränderten Bewegungsabläufen

Lange Zehe, niedrige Trachten – viel zu flacher Hufwinkel. In der Bewegung werden dadurch die Ellbogen nach hinten und die Schultern herunter gedrückt. Oberarmmuskel und Brustmuskulatur müssen eine – ihnen nicht zugedachte – „gewichthebende“ Rolle übernehmen, um dem entgegen zu wirken. Treibt der Reiter zudem beständig vorwärts, müssen diese Muskeln das Pferd zusätzlich „vorwärts ziehen“. Um die Schultern vor dem Zusammenfallen zu bewahren und den Kopf zu stützen, hält das Pferd mit dem Unterhals gegen (Armkopfmuskel und Brustbeinkopfmuskel müssen übermäßig arbeiten und hypertrophieren), der dadurch „trainiert“ wird. Das Pferd ist nicht in der Lage, über den Rücken zu arbeiten. Die langen Rückenmuskeln verkrampfen und bilden sich mehr und mehr zurück. Wird das Pferd weiterhin mit dem Reitergewicht belastet, kontrahiert der Muskel am Halsansatz, weil er das Schulterblatt nach vorn ziehen muss. Auch er verkrampft. Ebenso der Trapezmuskel (oben auf dem Hals vor dem Widerrist), weil auch er nicht richtig arbeiten kann. Er verkümmert, und es bildet sich der für solche Pferde typische „Axthieb“.

Hinterhufe entwickeln beim jungen, gerade angerittenen Pferd plötzlich eine zehenweite Stellung: Dies geschieht, wenn die Innenseite der Hufe steiler, die Außenseite flacher wird. Meist infolge zu früh verlangter Verstärkungen, für die das junge Pferd noch zu wenig Kraft hat. Dann fußen die Hinterbeine nicht kraftvoll gerade nach vorne, sondern breit zur Seite weg. Die Kruppenmuskulatur und die Region um das Kreuzdarmbeingelenk verspannen. Hält der Zustand längere Zeit an (typisch bei vielen Auktionspferden), verändern sich auch die Hufe.

Hinterhufe werden immer flacher: Ursache kann ein vermehrtes Arbeiten in der Versammlung sein. Durch die vermehrte Hankenbeugung werden die Hinterhufe im hinteren Teil (Trachten) stärker belastet. Je nach Bodenverhältnissen kann das zu vermehrtem Abrieb im hinteren Bereich führen. Deswegen sind beispielsweise viele Barockpferde nur hinten beschlagen.

Vorderhufe werden immer steiler: Ursache können Verspannungen in der Schultermuskulatur sein (z.B verursacht durch Sattel, Longiergurt, Blockaden, harte Reiterhand etc.). Die Folge sind kurze Schritte (um Schmerz zu vermeiden), wenig Raumgriff, steileres Auffußen durch mehr Spannung auf den Beugesehnen. Dadurch wird die gesamte Vorhand und auch die Hufe auf Dauer steiler.

Ein Hinterhuf wird außen steiler, innen weiter und flacher: Gleichzeitig beobachten Sie bei diesem Pferd dann mit Sicherheit auch, dass das betroffene Bein nicht mehr sauber in die Spur des Vorderbeins fußt, sondern innen daneben (Foto oder Zeichnung). Es scheint mit diesem Bein mehr unter die Körpermitte zu fußen. Ursachen sind meist Blockaden im Kreuzdarmbeingelenk – in diesem Fall ist dann oft das Darmbein einseitig nach außen oder hinten rotiert evtl. verbunden mit einer zusätzlichen Absenkung des Kreuzbeins nach hinten.

Ein Hinterhuf wird außen weiter und flacher, innen steiler: Das Pferd läuft mit dem betroffenen Hinterbein außen an der Spur des Vorderbeins vorbei. Ursachen sind auch hier in der Regel Blockaden im Kreuzdarmbeingelenk – in diesem Fall ist dann oft das Darmbein einseitig nach vorne rotiert evtl. verbunden mit einer zusätzlichen Absenkung des Kreuzbeins nach vorne. 

Fazit

Gerade zwischen Rückenproblemen und Hufen besteht beim Pferd ein enger Zusammenhang. So erzeugt jedes Rückenproblem abweichende Bewegungsmuster, wodurch die Art des Auffußens beeinflusst wird. Daraus entwickelt sich auf Dauer eine verformte Hufkapsel, die unter Umständen zu bleibenden Fehlstellungen führen kann – wenn z.B. Blockaden dann irgendwann verknöchern und damit irreparabel werden.

Dipl. Ing. agr. Karin Kattwinkel,
Pferdegesundheitstrainerin und geprüfte Hufpflegerin GdHK

06.09.2017

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