Ätherische Öle in der Tierheilkunde

Pflanzen produzieren in speziellen Öldrüsen stark duftende flüchtige Stoffe von sehr komplexer Zusammensetzung. Damit schützen Sie sich vor Keimen, Pilzen und Fressfeinden, gleichzeitig dienen diese Vielstoffgemische auch als Botenstoff, zum Beispiel um bestäubende Insekten und andere Tiere herbeizulocken.

Aromatika

Pflanzen, die einen nennenswerten Gehalt an ätherischen Ölen enthalten, werden als Aromatika bezeichnet. Dazu zählen viele Heilpflanzen und die meisten unserer Gewürzpflanzen wie Minze, Basilikum, Thymian, Salbei, Anis, Fenchel oder Ingwer, um nur einige zu nennen.

Die ätherischen Öle aus Pflanzen können in allen Pflanzenteilen vorkommen, wie Blüte, Blatt, Wurzel, Holz oder Samen.

Eine Pflanze kann auch unterschiedliche Öle produzieren – zum Beispiel Zimt. Zimtrindenöl und Zimtblätteröl haben ganz unterschiedliche chemische Zusammensetzungen. Anis und Sternanis, zwei völlig verschiedene Pflanzenarten, bilden dagegen ein ätherisches Öl, das nahezu identisch riecht. Dafür ist der hohe Gehalt an Trans-Anethol verantwortlich. Beide Öle dürfen als Anisöl gehandelt werden – in der Regel ist es Sternanis! Beide Öle können zur Beruhigung der Schleimhäute in Bronchien und Magen-Darm eingesetzt werden und sie wirken zuverlässig gegen Hautmilben.

Ätherische Öle

Ätherische Öle sind als stark duftende, flüchtige Vielstoffgemische definiert. Sie sind gut löslich in Fett und Alkohol. Ätherische Öle selbst hinterlassen beim Verdampfen keinen Fettfleck. Die ätherischen Öle haben meist einen für ihre Stammpflanze charakteristischen Geruch. Sie werden in der Regel durch Wasserdampfdestillation gewonnen. Dazu wird in einem verschlossenen Brennkessel mit zerkleinertem Pflanzenmaterial heißer Wasserdampf eingeblasen. Der Wasserdampf treibt das ätherische Öl aus der Pflanze. In einem gekühlten Rohr kondensiert das Öl-Wasser-Gemisch, und in einem Auffangbehälter wird das ätherische Öl vom Wasser getrennt. Das Wasser enthält immer noch 0,01 bis 0,5 % ätherische Öle und wird als Hydrolat angeboten. Ätherische Öle sind aus vielen verschiedenen chemischen Verbindungen zusammengesetzt. Da sie kein Fett enthalten, verdampfen reine ätherische Öle immer rückstandsfrei. Im Wasser sind sie beinahe unlöslich (hydrophob). Wegen ihrer geringen Dichte bilden sie auf dem Wasserspiegel meist eine schwimmende Schicht. Darum werden sie zu Tees oder zu Bädern mit emulgierenden Zusätzen wie Milch, Honig oder auch Salz gegeben.

Hydrolate oder Pflanzenwässer

Hydrolate, Pflanzenwässer oder auch Aromatische Wässer genannt, entstehen bei der Wasserdampfdestillation von Pflanzen als Kondensat bei der Abkühlung des Destillationsdampfes. 

Bereits die alten Ägypter nutzten Pflanzenwässer zur Körperpflege, ls Aroma in Getränken und für kosmetische Zwecke. Hydrolate enthalten die wasserlöslichen Pflanzenstoffe und in Spuren auch ätherische Öle. Sie haben ähnliche Wirkungen wie die entsprechenden ätherischen Öle, wirken deutlich milder und können daher auch unverdünnt angewandt werden. Hydrolate sind je nach pH-Wert und Herstellungsverfahren, nur wenige Monate bis maximal 1 bis 2 Jahre haltbar, sie sollten dunkel und kühl bei etwa + 10° C gelagert werden.

Zur Herstellung der Hydrolate werden je nach Pflanze unterschiedliche Pflanzenteile – meist Blüten, Blätter, Stängel oder die Rinde – in einer Destille destilliert; das heißt, heißer Wasserdampf wird durch das Pflanzenmaterial geleitet und somit werden die wasserlöslichen Inhaltsstoffe aus den Pflanzen „herausdestilliert“. Das Destillieren erfordert viel Erfahrung, so müssen die Wassertemperatur, der Druck und die Zeit der Destillation genau auf die Pflanze abgestimmt sein. Waren Hydrolate noch vor wenigen Jahren ein Nebenprodukt bei der Destillation der ätherischen Öle, so gibt es inzwischen eine Rückbesinnung auf die „Blüten- und Pflanzenwässer“ und ihre therapeutische Nutzungen. Moderne Herstellungsverfahren mit kontrollierten Druck- und Temperaturführungen garantieren hochwertige und wirksame Hydrolate, die auch therapeutisch einsetzbar sind.

Aromatherapie

Darunter verstehen wir den systematischen therapeutischen Einsatz rein pflanzlicher ätherischer Öle und Hydrolaten in der innerlichen und äußerlichen, sowie der olfaktorischen Anwendung.

Der Begriff Aromatherapie ist nicht geschützt und wird oft eher kosmetisch und wellness-mäßig benutzt. Die meisten verbinden damit eine Mischung aus Massage und Duftlampe; das ist nicht falsch, aber das deckt nur einen kleinen Bereich der Aromatherapie ab, die als Teil der Pflanzenheilkunde/Phytotherapie gilt. Therapeutisch interessiert uns die Wirkung der ätherischen Öle, als einzelnes reines Pflanzenöl oder als Ölmischung.

Alle ätherischen Öle wirken keimhemmend

Ihre antimikrobielle Wirkung ist gut erforscht. Ihre besondere Bakterienwirksamkeit liegt in der Komplexität der Vielstoffgemische, die aus 100 bis 500 Verbindungen bestehen können. Mikroben bleiben gegenüber den Vielstoffgemischen der ätherischen Öle besonders anfällig, sie sind nicht in der Lage, dagegen Resistenzen zu bilden wie sie es bei den Einstoffsynthetika können!

In den konzentrierten ätherischen Ölen zeigt sich die Überlegenheit der Pflanzenheilkunde mit ihren Wirkstoffmischungen, die anders wirken als die synthetischen Reinstoffe. Dazu kommt, dass durch evolutionäre Anpassung die erwünschte Darmflora von Menschen und Tieren, von den üblichen Dosierungen der ätherischen Öle nicht angegriffen wird. Neben der antimikrobiellen Wirkung zeichnen sie sich auch durch ihre fungizide, also Pilze bekämpfende Wirkung aus. Das Besondere, was sie von den Antibiotika abhebt, ist, dass sie auch Viren in ihrer Entwicklung hemmen können, also ihre virostatische Wirkung. 

Besondere virostatische Wirkung haben Melisse (bei Herpes), Teebaum, Eukalyptus und Lavendel.

Besonders stark

Lavendelöl desinfiziert 20-mal stärker als Sagrotan. Dabei ist es mild und gehört zu den wenigen Ölen, die man im Humanbereich auch unverdünnt anwenden kann. Bei unseren Tieren mit ihren empfindlichen Riechorganen verdünne ich ätherische Öle grundsätzlich.
Thymian und Knoblauchextrakte wirken stärker gegen Tuberkelbazillen als Penicillin.
Hieraus können wir ersehen, warum bereits ein Kräutertee eine heilende Wirkung hat und auch warum wir die hochkonzentrierten ätherischen Öle nur verdünnt einsetzen dürfen. Denn ein Tröpfchen ätherisches Öl repräsentiert die Inhaltsstoffe von 50 g, 100 g oder gar 1000 g Kräutern!

Anwendungen

Ätherische Öle werden hauptsächlich äußerlich angewandt, verdünnt mit einem Trägeröl werden sie auf den Körper aufgebracht. Aufgrund ihrer kleinen Molekülstruktur gelangen ätherische Öle leicht über die Haut und die Schleimhäute von Mund, Magen-Darm, aber auch die Lungen in das Gewebe und in den Blutkreislauf. Bei einer Massageanwendung mit ätherischen Ölen lassen sich die Wirkstoffe bereits 15 Minuten nach der Anwendung im Urin des Behandelten nachweisen.

Über die Riechsinneszellen gelangen die Duftinformationen ins Gehirn und können dort über das spezifische Auslösen von Emotionen Einfluss auf das vegetative Nervensystem, auf die Hormonproduktion und auch auf das Immunsystem nehmen. Jüngere Forschungen haben gezeigt, dass die Darmzellen und die Zellen aller inneren Organe über Riechrezeptoren verfügen. Sie reagieren auf die Düfte; die Zellen werden davon stimuliert, deswegen ist die lokale Anwendung der ätherischen Öle oder der Hydrolate so erfolgreich.

Auch bei der innerlichen Anwendung sollte man ätherische Öle unbedingt verdünnen. Wenn die Anwendung im Darmbereich erwünscht ist, dann hat sich die Einnahme mit einem Stück Trockengemüse oder Trockenfleisch bewährt – ja und zur Not, nehmen Sie halt ein Leckerli oder ein Stückchen Brot.

Werden ätherischer Öle, die nur in fettem Öl gelöst wurden, eingenommen, so wird der größte Teil bereits über die Magenschleimhaut resorbiert. Dadurch verzögert sich der gewünschte keimhemmende, heilende und blähungswidrige Effekt im Darm oder er bleibt ganz aus.

Der große Vorteil der Anwendungen liegt darin, dass wir eine sehr zügige Wirkung erreichen können, gerade bei Problemen im Magen- und Darmbereich. Wenn die Tiere Kräuter oder Kräuterextrakte nicht aufnehmen wollen oder können, bleibt uns immer die Option der Einreibung, um die gewünschte Wirkung über die Haut zu erzielen.

Durchblutungsstörungen, Zerrungen oder Prellungen können mit Zubereitungen aus ätherischen Ölen lokal behandelt werden, ebenso auch Verspannungen oder Hautreizungen.

Ihre desinfizierende Wirkung entfalten die ätherischen Öle nicht nur auf der Haut oder den Schleimhäuten, sie desinfizieren auch die Luft in Zimmer, im Stall, in der Box oder in einem Käfig. Sie verbessern die Atemluft und sie dringen mit ihren Wirkstoffen tief bis in die Bronchienspitzen ein. Sie bekämpfen mit ihren Wirkstoffen Keimrasen und unerwünschten Schleim und sorgen für eine leichteres Abhusten oder Ausfließen des festsitzenden Schleims.

Allergische Reaktionen

Umweltbelastungen, Fehlernährungen sowie vielfältig geschwächte Immunsysteme – Menschen und Tiere reagieren immer häufiger auf bestimmte Pflanzenstoffe allergisch. Ätherische Öle bilden hier keine Ausnahme und gerade wegen ihrer Konzentration ist hier eine besondere Vorsicht geboten.

Menschen machen den Allergietest, indem sie mit einem verdünnten Öl vorsichtig die Armbeuge betupfen. Hunde kann man an der verdünnten Substanz schnuppern lassen oder vorsichtig einen verdünnten Tropfen auf die meist helle Ohrinnenseite geben. Eine eventuelle Reaktion in Form einer Rötung kann dann gut beobachtet werden. Bei Katzen gehen wir mit der allergrößten Vorsicht vor und testen nur in starken Verdünnungen in der Umgebung.

Tragende und säugende Tiere können auch sehr intensiv auf ätherische Öle reagieren, da sind das Wissen und die Erfahrungen der Therapeuten gefragt. Auch hier sind die generellen Aussagen „in dieser Zeit nie“ sehr engstirnig. Wir können mit ätherischen Ölen (Fenchel- oder Kümmelöl) den Milchfluss fördern oder wir können ihn – mit Salbeiöl – stoppen. Je genauer wir wissen, was wir erreichen wollen und welche Pflanzenöle dafür geeignet sind, umso präziser können wir behandeln.

Qualitäten der ätherischen Öle

Naturreine Öle werden direkt aus einer Pflanze gewonnen (z.B. Reines Thymianöl).

Natürliche Öle bestehen aus mehreren naturreinen Komponenten, werden also nicht ausschließlich aus der namensgebenden Pflanze gewonnen. Zitronenmelisse wird wegen der geringen Ausbeute oft mit Zitronengras „gestreckt“.

Naturidentische Öle werden nach dem Vorbild der chemischen Zusammensetzung natürlicher ätherischer Öle synthetisch hergestellt, so dass sie ähnlich wie natürliche Öle riechen. Die Zusammensetzung naturidentischer Öle ist weniger komplex als die der natürlichen Varianten, so besteht beispielsweise naturidentisches Rosmarinöl aus ca. elf Bestandteilen, während das naturbelassene ätherische Öl ca. 150 Inhaltsstoffe aufweisen kann.

Die naturidentischen Öle werden in Kosmetika, Duftlampenöle, Seifen, Duftkerzen und andere Duftartikel verarbeitet. In der Therapie sind sie eher schädlich, auch in der Raumbeduftung (Aromalampe) sollten sie besser gemieden werden.

Auch bei den Hydrolaten gibt es Qualitätsunterschiede Hydrolate werden heute mit der gleichen Sorgfalt hergestellt wie hochwertige ätherische Öle. Da der Wasserdampf nur gerade so viel ätherisches Öl aufnimmt wie das Wasser transportieren kann, duften sie zwar weniger intensiv. Dafür enthalten die Hydrolate aber zusätzlich die wasserlöslichen Inhaltsstoffe der Pflanzen, die der Wasserdampf mit herausgelöst hat und die Stoffe, die sich durch den Erhitzungsprozess transformiert haben. Das macht die Hydrolate zu einem sanften und doch wirksamen Therapeutikum. Achten Sie auf den Herstellungshinweis „durch Destillation“ und darauf, dass kein Alkohol als Konservierungsmittel hinzugefügt wurde. Steril abgefüllte Hydrolate haben bei kühler, dunkler Lagerung eine gute Haltbarkeit von 1 bis 2 Jahren. Ausflockungen können vorkommen, sind aber kein Qualitätsmangel und können durch Schütteln aufgelöst werden.

Hydrolate in der Anwendung am Tier

Vorteil der Hydrolate ist die bereits vorhandene Verdünnung. Sie können dadurch direkt am Tier auf der Haut und auf den Schleimhäuten angewandt werden. Auch die Hydrolate haben eine stark beruhigende Wirkung. Selbst wenn wir Menschen die pflanzentypischen Düfte nicht mehr wahrnehmen, so erreichen sie die Riechzellen der Hunde, Katzen oder Pferde. Hydrolate eignen sich zur sanften Reinigung der Augen (Rose und Lavendel), zur Reinigung der Ohren (Weihrauch und Rose) und helfen auch bei Ohrentzündungen und Malassezien. Als Duftmaskierung und zur Abwehr von Fliegen und Zecken bieten sich Duftgeranie und Lavendel an.

Zur Befreiung der Atemwege und zur Regeneration der Schleimhäute im Bronchialbereich spielen Salbei- und Origanumhydrolat eine wichtige Rolle.

In Loslöseprozessen und in der Trauerarbeit sind Hydrolate eine nicht zu unterschätzende Hilfe, zumal sie Tier und Halter gleichermaßen therapieren. Auch Tieren aus schlechter Haltung und Tieren, die der Tierschutz vermittelt, helfen Hydrolate. Je nach Typ und Symptomatik können zur Beruhigung Lavendel, zur Erdung Zeder und als Antidepressivum Immortelle eingesetzt werden.

Vorteilhaft ist es, eine Vorauswahl zu treffen, sich etwas auf die Hand zu sprühen und dann das Tier entscheiden zu lassen. Die Reaktionen reichen von angeekeltem Abwenden bis zum lustvollen Handabschlecken.

Hydrolate lassen sich hervorragend in selbstgemachte Shampoos, Cremes, Deodorants und Salben verarbeiten. Bei Tieren werden oft Umschlägen mit Heilerde angelegt oder, wo das nicht geht, der Heilerdenbrei ins Fell gestrichen. Die wasserlöslichen Hydrolate sind hierbei ideal und sollten je nach behandeltem Symptom in den Heilerdenbrei eingerührt werden. Dort wo Kühlung angebracht ist, können dünne Hydrolat-Eiswürfel mit einer Kompresse aufgelegt werden. Dazu ist Pfefferminzhydrolat gut geeignet.

Wenn Sie mit ätherischen Ölen und Hydrolaten arbeiten, werden Sie feststellen, wieviel Freude die Arbeit mit Düften macht. Es wird Sie überraschen, welche Effekte Sie mit wenigen Tropfen Öl oder kurzem Einsprühen mit den Hydrolaten erreichen können. Unsere tierischen Patienten zeigen sich sehr dankbar in diesen Behandlungen und sie lehren uns jeden Tag neu, was die Pflanzen alles leisten können.

Manfred Heßel
Dipl.-Ökologe und Phytotherapeut

31.08.2019

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