Für Sie besucht: „Großtier-Rettung“

Ein Kurs in der Pferdeklinik Burg Müggenhausen, Weilerswist

„Gestürztes Pferd aus Isarkanal gerettet“ – dieses Video ging im September 2017 durch alle Medien. Zum Glück sind es meist nicht ganz so dramatische Situationen, zu denen die Feuerwehr zum Einsatz ausrückt.

Gleich zu Beginn des Kurses „Großtier-Rettung“ stellt Tierarzt, Feuerwehrmann, Veterinäranästhesist und Kursleiter Dr. med. vet. Christoph Peterbauer dann auch klar: „Die meisten Einsätze sind keine Notfälle, auch wenn es sich für die Besitzer so darstellt.“ Er hat sich zum Ziel gesetzt, den 16 Teilnehmern des Kurses – vom Feuerwehrmann bis zur Pferdephysiotherapeutin – die grundlegenden Kenntnisse der Großtierrettung beizubringen. Und um es vorweg zu nehmen: Das gelingt ihm aufgrund der fundierten Fachkenntnisse und einer großen Prise Humor sehr gut. Am Ende sind sich daher auch alle Teilnehmer einig, dass sie diesen Kurs sofort wieder besuchen würden und weiterempfehlen werden.

Großtier-Rettung – das hört sich nach spektakulären Einsätzen an und manchmal ist das auch so. Dies zeigt Dr. Peterbauer eindrucksvoll mit zahlreichen Videos, anhand derer er den Teilnehmern gute Ansätze, aber insbesondere fehlerhaftes Verhalten erklärt. Denn viel zu oft bringen sich die Retter bei diesen Einsätzen selbst in Gefahr. Sei es, weil sie keine passende Ausrüstung haben, weil sie es nicht besser wissen oder weil sie sich einfach nicht die notwendige Zeit nehmen, den Einsatz gut und vernünftig zu planen. Denn in den meisten Fällen ist die Zeit für eine vernünftige Rettungsplanung vorhanden.

Hier kommt dann der wichtigste Faktor bei der Großtier-Rettung ins Spiel: Ruhe bewahren. Dr. Peterbauer gibt zu, dass Gelassenheit meist einer der Faktoren ist, die bei einem solchen Einsatz am schwierigsten zu beeinflussen sind. Das menschliche Verhalten in Bezug auf Tiere generell, sowie die persönliche Bindung zum Tier und der Wunsch zu helfen im Besonderen, veranlasst die Betroffenen (und auch die Helfer) oft zu irrationalem Verhalten, zu Heldentum oder zu riskanten Aktionen. Daher besteht umso weniger Gefahr, je früher in Tierrettung ausgebildete Personen an der Unglücksstelle eintreffen.

Erschwerend kommt hier jedoch dazu, dass die herbeigerufene Feuerwehr oftmals deutlich weniger Erfahrung im Umgang mit Großtieren hat als die Besitzer. Und obwohl allen Beteiligten bei der Bergung von verunglückten Großtieren damit geholfen würde, wenn ein Tierarzt vor Ort wäre, der durch eine gezielte Sedierung des Tieres sowohl die Retter als auch das Tier selbst schützen könnte, wird von den Disponenten der Feuerwehr so gut wie nie ein Tierarzt mit hinzugezogen.  Schlimmer noch: Es existiert in den meisten Rettungsleitstellen nicht einmal ein Rettungsplan zur Großtier-Rettung und die wenigsten Wehren verfügen über entsprechende Schutzkleidung für die Feuerwehrleute sowie die notwendige, technische Ausrüstung zur Bergung großer Tiere. Dabei kostet die Ausrüstung nur rund 2.000 Euro. Und sie müsste ja nicht in jeder Feuerwache vorhanden sein; mehrere Wehren könnten sie sich teilen. Hauptsache, der Disponent in der Rettungsleitstelle weiß, bei welcher Feuerwehr entsprechende Ausrüstung vorhanden ist. Stattdessen wird im Zweifelsfall „halt alles rausgeschickt“, was vor Ort hilfreich sein könnte. „Gut gemeint – aber oft völlig sinnfrei“, meint Dr. Peterbauer. „Ein Tierrettungseinsatz ist im Grunde ein normaler technischer Einsatz der Feuerwehr wie jeder andere auch. Und diese werden ja auch geplant. Das ist hier nicht anders.“ Allerdings muss man sich bei einem solchen Rettungseinsatz natürlich vor Augen halten, dass es sich um ein großes, schweres Lebewesen handelt, welches – insbesondere bei Pferden – einen ausgeprägten Fluchtinstinkt besitzt. Und bekommt das Pferd die Möglichkeit zur Flucht, wird es diese Möglichkeit ohne Rücksicht auf die Helfer wahrnehmen, denn in solchen Situationen sind Pferde kopflos und panisch.

„Dass sich das verunglückte Pferd beim Eintreffen der Rettungskräfte womöglich ruhig verhält, heißt nicht, dass es auch ruhig ist“, so Dr. Peterbauer. „Tatsächlich ist es so, dass Pferde in diesen Momenten versuchen, zu Kräften zu kommen, um einen neuen Versuch zu starten, sich aus der Situation zu befreien.“

Und durch genau solche Fehleinschätzungen kommt es dann immer wieder zu gefährlichen Zwischenfällen bei der Rettung. Hinzu kommen zusätzliche „Stimulanzien“, die aus Unwissenheit die Gefahrenlage vor Ort für Tier und Helfer verschärfen: Mit Blaulicht und Martinshorn anrückende Einsatzfahrzeuge,  rumpelnde Traktoren oder Kranwagen, deren Vibrationen sich über den Boden zum Körper eines feststeckenden Pferdes übertragen – das trägt nicht dazu bei, ein panisches Pferd zu beruhigen.

„Alles falsch!“, meint denn auch Dr. Peterbauer. „Eine weitestgehend gefahrlose Bergung ist nur dann machbar, wenn das Tier möglichst ruhig ist. Und um das zu gewährleisten, gehört immer ein Tierarzt mit vor Ort, der das Tier zum richtigen Zeitpunkt für eine Bergung ausreichend sediert.“ Darüber hinaus ist nur in rund 10 % der Fälle tatsächlich großes Einsatzgerät wie ein Bergekran oder ein Bagger notwendig. Bei den restlichen 90 % sind Gurte, spezielle (stumpfe) Haken, das richtige „Gewusst-wie“ und Muskelkraft vollkommen ausreichend.

Dies demonstriert Dr. Peterbauer dann nach dem Mittagessen sehr realitätsnah im praktischen Teil des Kurses. Dazu hat er „Biscuit“ mitgebracht, einen rund 200 kg schweren „Pferde“-Dummy, der auf dem Weg nach Weilerswist im Pferdeanhänger zusammengebrochen ist und nun aus eben jenem Anhänger gerettet werden muss.

Bergung aus dem PferdehängerDr. Peterbauer erklärt anhand dieses ersten Szenarios, welches die Gefahrenbereiche beim Pferd sind, wo die Retter sich in einem sicheren Bereich aufhalten und welche Hilfsmittel es für die Rettung gibt – und wie man ein Pferd innerhalb von wenigen Minuten aus einem Pferdeanhänger rettet, ohne den Anhänger auch nur betreten zu müssen.

Doch bevor die Teilnehmer selbst zu Gurten und Haken greifen, lernen sie zunächst, mit einem 7 m langen Seil ein Notfallhalfter mitsamt Führstrick zu knüpfen. Solche Seile gibt es so ziemlich auf jedem Feuerwehr-Einsatzfahrzeug, denn sie sind vielseitig einsetzbar. Im Einsatz wird mit einem solchen Notfallhalfter der Kopf des Pferdes gesichert, sollte es kein Stallhalfter tragen – die Kopfsicherung ist Pflicht bei der Rettung. Außerdem kann damit ein Pferd schnell aus einer Gefahrenzone gebracht werden (z. B. auch bei einem Stallbrand), denn es sind lediglich zwei Schlingen zu knüpfen. Im Gegensatz dazu tun sich Ungeübte mit den üblichen Stallhalftern oft recht schwer, wie die Übung an zwei „Freiwilligen (lebenden Ponys)“ zeigt. Das Notfallhalfter hat zudem den Vorteil, dass es ebenso schnell auch wieder ausgezogen ist.

Nachdem alle Teilnehmer an den Probanden das Knüpfen des Halfters geübt haben, kommt wieder „Biscuit“ zum Einsatz. An ihm zeigt Dr. Peterbauer, wo und wie die Gurte für die verschiedenen Zugrichtungen platziert werden müssen und wie man die Gurte unter das (oftmals liegende) Pferd bekommt, bevor die Kursteilnehmer sich ans Üben begeben. Nun mag man meinen, dass das doch nur für Feuerwehrleute interessant ist. Und tatsächlich hatte die Pferdeklinik den Kurs insbesondere für Feuerwehrleute und Tierärzte ausgeschrieben. Doch nicht nur bei Einsätzen der Feuerwehr kommen die gelernten Techniken zum Einsatz. Jeder Pferdebesitzer kann von heute auf morgen mit einem in der Box oder auf der Weide festliegenden Pferd konfrontiert werden. Hier kann der Pferdebesitzer das Pferd mit einfachen Hilfsmitteln soweit unterstützen, dass es alleine wieder aufstehen kann.
Das Gleiche gilt, wenn das Pferd sich zunächst über den Rücken wälzen muss, um wieder aufstehen zu können. Natürlich braucht man hier dann nicht das gleiche Equipment wie die Feuerwehr. Aber schon für knapp 100 Euro erhält man im Internet die drei notwendigen Dinge, um ein Pferd aus einer solchen Situation zu befreien. 

Zum Abschluss des Kurses steht dann noch ein Übungseinsatz auf dem Plan, bei dem sich das Szenario wie folgt darstellt: „Biscuit“ ist einen Hügel hinuntergerutscht und liegt nun mit den Beinen zum Teil in einem See, sodass er sich aus eigener Kraft nicht mehr aufrichten kann. Bei diesem Einsatz zeigen insbesondere die teilnehmenden Feuerwehrleute, dass sich viele Teile ihrer regelmäßigen Übungen (und Einsätze) 1:1 auf diesen Einsatz anwenden lassen: Der Einsatz wird von einem Einsatzleiter geleitet, die Unfallstelle wird abgesichert. Schaulustige müssen zurückgehalten, die Pferdebesitzerin beruhigt werden. Die Hilfsmittel müssen zum Unfallort gebracht und dort angereicht oder aus dem Arbeitsumfeld entfernt werden. Das sind Abläufe, wie sie bei vielen (Übungs-)Einsätzen vorkommen und die routiniert ausgeführt werden. Lediglich die Rettung des Pferdes ist ein fremdes Szenario, die von den Feuerwehrleuten jedoch souverän gemeistert wird.

Fazit

Alle Teilnehmer haben aus diesem Kurs viele wichtige Informationen mitgenommen. Jedoch sind auch alle Teilnehmer einstimmig der Meinung, dass ein solcher Kurs regelmäßig absolviert werden müsste – und dass noch viel mehr Menschen diesen Kurs besuchen sollten, insbesondere die Einsatzkräfte der Feuerwehr. Außerdem sollte die Zusammenarbeit zwischen Feuerwehren, Polizei und Tierärzten vertieft werden.

Nachbetrachtung

Besonders faszinierend war es für die „Laien“ unter den Teilnehmern zu sehen, wie die Feuerwehrleute aus unterschiedlichen Wehren beim Übungseinsatz sofort zusammenarbeiteten, gerade so, als würden sie immer zusammenarbeiten. Hier merkte man deutlich, dass es für die verschiedenen Abläufe bei Einsätzen Standards gibt, die überall gleich geübt werden. Die Feuerwehren sind immer froh, wenn sie unterschiedliche Szenarien für Übungen zur Verfügung haben. Hier sollten sich Stallbesitzer mit den Feuerwehren zusammentun und z. B. die Stallevakuierung üben. Das hat folgende Vorteile:

  • Die Feuerwehrleute lernen die Stallungen kennen und wissen im Notfall, wo es Löschwasser gibt, wo der Sicherungskasten ist, ob es ggf. eine Photovoltaikanlage gibt, die besondere Sicherheitsmaßnahmen benötigt und welche Plätze zur Freilassung der Pferde vorhanden sind. Die Pferde werden durch die Übungen daran gewöhnt, wenn plötzlich Feuerwehrleute in voller Montur mit Atemschutzgeräten im Stall auftauchen.
  • Im direkten Kontakt können die Feuerwehrleute den Umgang mit gestressten und evtl. panischen Pferden üben. Durch den Stall- und die Pferdebesitzer erfahren sie bei solchen Übungen zudem, welches die Leittiere im Stall sind, denen die anderen Pferde sich schnell anschließen.
  • Die Pferdebesitzer lernen bei einer solchen Übung, wie sie sich im Notfall verhalten sollten: Telefonkette aktivieren, Unterstützung der Feuerwehr bei der Befreiung der Pferde (z. B. die Pferde vorm Stall in Empfang nehmen).
  • Letztlich wird so das Verständnis untereinander gefördert: die Feuerwehrleute werden sich der Sorgen und Ängste von Pferdebesitzern bewusster und die Pferdebesitzer lernen zu verstehen, warum Feuerwehrleute im Einsatz wie vorgehen. Man lernt quasi eine „gemeinsame Sprache“ zu sprechen.

Zum Schluss bedanken wir uns sehr herzlich bei Dr. Christoph Peterbauer für den sehr lehrreichen Kurs sowie bei der Pferdeklinik Burg Müggenhausen, die uns die Teilnahme an dem Kurs ermöglicht hat, obwohl wir nicht der Zielgruppe angehören. Wir hoffen, dass wir mit diesem Text viele Pferde und Stallbesitzer dazu animieren können, einen solchen Kurs zu besuchen und gemeinsam mit der Feuerwehr vor Ort Übungen durchzuführen.

Corinna Simmerkuß & Elke Schilling

Dr. med. vet. Christoph PeterbauerDr. med. vet. Christoph Peterbauer schloss 1997 sein Veterinärmedizinisches Studium an der Universität Wien ab. 2007 folgte der Abschluss der  Facharztausbildung am European College of Veterinary Anaestehsia und Analgesia.

Er ist Animal Rescue Specialist und Krisen- und Katastrophenmanager.

Immer wieder wurde er bei Einsätzen als Feuerwehrmann mit der Problematik der Großtierrettung und dem für solche Einsätze fehlenden Wissen und Equipment konfrontiert. Aus diesem Grund gründete er die Animal Rescue Academy.

Einen wichtigen Tipp gibt Dr. Peterbauer den Teilnehmern mit auf den Weg: Übt den Notfall in den Ställen!

Weitere Informationen gibt es unter http://www.animalrescue.at

31.05.2018

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