Pferde deuten Menschenmimik

MenschengesichterPferde können Menschen deren inneres Befinden „an der Nasenspitze ablesen“!

Diese gewagte Behauptung versuchten Wissenschaftler um Karen McComb, University of Sussex, Brighton, anhand von Untersuchungen mit 28 Pferden auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen. Das Studienergebnis war erstaunlich:

Pferde können den Gesichtsausdruck des Menschen richtig interpretieren!

Wie kamen die Forscher zu dieser Schlussfolgerung?


Sie beobachteten 21 Wallache und 7 Stuten, die am Halfter vor lebensgroße Fotos von Menschen (aggressiv bzw. freundlich blickend) geführt wurden. Das freundliche Menschengesicht betrachteten die Pferde mit beiden Augen gleich lange, das aggressive Männergesicht (mit gefletschten Zähnen) hingegen häufiger mit ihrem linken Auge. Ein Zeichen für die Wahrnehmung einer Bedrohung?

Laut Aussage der Studie – ja. Denn das linke Auge leitet Informationen als erstes zur rechten Gehirnhälfte. Und diese wiederum verarbeitet Gefühle. Anscheinend wollten die Testpferde die mögliche Gefahr besser einschätzen können, die von dem aggressiven Gesicht offenbar ausgehen könnte. Und schauten deshalb eher mit dem linken Auge? So die Interpretation der Wissenschaftler.

Nun hat diese Studie meines Erachtens einen kleinen Haken


Einerseits wird von der Fähigkeit der Pferde ausgegangen, den Gesichtsausdruck von Menschen richtig deuten zu können. Andererseits konnten laut Fazit der Forscher signifikante Verhaltensunterschiede der Pferde nicht festgestellt werden. Im Übrigen handelt es sich um eine sehr kleine Probandenzahl, die die Aussagekraft der Versuche natürlich schmälert. Überdies spielt im Kontakt zwischen Mensch und Pferd immer die Körpersprache des Menschen eine zentrale Rolle, die auf den Versuchsfotos vermutlich kaum zum Tragen kam.

Die Tatsache, dass Pferde auch untereinander über ihren Gesichtsausdruck kommunizieren, nahmen die Forscher offenbar als Bestätigung ihrer Versuchsergebnisse.

Auch die Mimik der Pferde wird immer genauer untersucht

Mittlerweile wurde ein sogenanntes Kodierungssystem (EquiFACS, Equine Facial Action Coding System) für Pferdemimik entwickelt. Ausgehend vom bereits existierenden Kodierungssystem für menschliche Gesichtsbewegungen modifizierte man dieses System hinsichtlich der Gesichtsmuskulatur von Pferden – und erarbeitete 17 verschiedene „Bewegungseinheiten“. Hierzu zählen alle Gesichtsausdrücke, die ein Pferd mit seiner Gesichtsmuskulatur zeigen kann: Augenbrauen hochziehen, Augen rollen, Zähne zeigen, Lippenstellungen – und natürlich die vielfältigen Möglichkeiten des Ohrenspiels. Letzteres gilt für den Menschen nicht …

Dieses Kodierungssystem förderte das erstaunlich reiche Repertoire an Ausdrucksnuancen von Pferden zutage (Menschen 27 Bewegungseinheiten, Schimpansen 13, Hunde 16, Katzen 21). Zudem gibt es offenbar zahlreiche Übereinstimmungen zwischen dem Ausdrucksvermögen von Mensch und Pferd!

Welch Fortschritt, Schmerzanzeichen des Pferdes kodieren zu können. So wird auch weniger sensiblen menschlichen Zeitgenossen ermöglicht, das Befinden ihres Pferdes einzuschätzen …

Allerdings: Bisher noch nicht erforscht sind „pferdische“ Gesichtsausdrücke, die mit positiven Erfahrungen assoziiert sind – Freude, Zufriedenheit, Fröhlichkeit, Gelassenheit usw. Hier kann es zu groben Fehlinterpretationen der Pferdemimik und Körpersprache kommen. Trotz Kodierungssystems! Meine eigene, mittlerweile verstorbene Stute riss beim Anblick ihres nahenden Futters den Kopf hoch, das Maul auf, fletschte die Zähne und gluckste vor Vergnügen bei FLACH angelegten Ohren …

Dr. Frauke Garbers, Biologin

Quellen


http://www.spektrum.de/news/ein-mienenspiel-fast-wie-bei-menschen/1359498

http://www.spektrum.de/news/koennen-pferde-unseren-gesichtsausdruck-lesen/1398933

https://de.wikipedia.org/wiki/Hemisph%C3%A4renmodell

http://www.spektrum.de/alias/hirnforschung/warum-unsere-rechte-hirnseite-anders-denkt-als-die-linke/1036149

https://www.dasgehirn.info/aktuell/frage-an-das-gehirn/linke-und-rechte-hirnhaelfte-verschiedene-welten

http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2006/3693/pdf/Vaitl_GU_39_06.pdf

http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0131738#sec005

26.06.2017

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