Pferde in unserer Welt

Pferde sind ein wunderbarer Ruhepol in unserer hektischen, schnelllebigen Zeit.
Doch was sind das für Tiere, um die wir uns nach Feierabend so gerne sorgen? Wie viel wissen wir wirklich über sie?

Das Verhalten Ihres Pferdes war Ihnen mit Sicherheit mehr als einmal unverständlich und Sie haben versucht, es vermenschlicht zu interpretieren. Die wenigsten jedoch haben Wissen darüber, wie ihr Pferd denkt, wie es lernt und seine Umwelt wahrnimmt. Daher können Sie sich auch keinen Reim darauf machen, warum es beispielsweise vorkommt, dass ein Pferd auf der linken Hand Angst vor der Decke an der Bande hat und auf der rechten Hand nicht.

Um solche für uns Menschen unverständliche Situationen besser verstehen zu können, müssen Sie sich zunächst vor Augen führen, dass sich das Gehirn eines Pferdes grundsätzlich vom menschlichen Hirn unterscheidet. Pferden fehlt die Fähigkeit, strategisch zu denken. Ein Stimulus löst unweigerlich eine Reak­tion aus.
Zudem sind ihre Gehirnhälften nicht so verbunden wie beim Homo Sapiens. Informationen werden nicht gleichermaßen zur rechten und linken Hirnhälfte weitergeleitet. Das wird am oben zitierten Beispiel deutlich: Hier hat unser Pferd gelernt, dass die Decke an der Bande auf der rechten Hand keine Gefahr ist. Diese Verknüpfung ist auf der linken Hand noch nicht entstanden. Daher muss alles von beiden Seiten gelernt werden.

Pferde verarbeiten Informationen aber nicht nur anders als Menschen – sie nehmen die Welt auch anders wahr. Das Auge eines Pferdes ist so aufgebaut, dass es einen bestimmten Lichteinfall und Blickwinkel braucht, um etwas richtig sehen zu können. Eine Pfütze, die wir klar als solche wahrnehmen, kann für ein Pferd wie ein unüberwindbarer Abgrund erscheinen.

Pferde sind keine Menschen


Es mag für einige banal klingen, aber Pferde sind keine Menschen. Sie unterscheiden sich nicht nur durch ihre Physiologie, sondern auch durch ihr Verhalten deutlich von uns. Und doch gehen wir immer wieder „menschlich“ an sie heran.

Ein Pferd, das nicht auf den Hänger will und stocksteif auf der Rampe steht, wird meist von uns gestreichelt und mit Möhrchen oder Hafer gelockt. Nach kurzer Zeit sind alle Möhrchen verspeist und der Hafer ist leer – doch keine zehn Zentimeter sind geschafft. Unsere Geduld schwindet. Ein Gefühl von Hilflosigkeit macht sich breit. Schwere Geschütze sind die vermeintlich letzte Lösung, oft in Form von Longen und erhöhtem Druck. Doch während wir am Strick ziehen und dem Pferd mit Longen den Rückweg versperren, versperrt unser Körper den Weg in den Hänger.
Das Pferd tut das, was in seiner Natur verankert ist und geht rückwärts in den Druck der Longen, setzt sich darauf, steigt vielleicht ein bisschen. Die Minuten verstreichen und der Gedanke aufzugeben macht sich breit. Das Verladen rückt in weite Ferne.

Die Situation aus der Sicht des Pferdes


Das Pferd steht auf der Rampe, bekommt Futter und wird gestreichelt. Es erhält eine Bestätigung für das Auf-der-Rampe-Stehen. Danach wird es jedoch unangenehm überrascht: Jemand zieht am Strick; hinter der Hinterhand ziehen plötzlich Longen. Es gerät in Stress. In seinem Gehirn entsteht blitzartig eine negative Verknüpfung.

Bereits beim nächsten Verladen kann der Hänger schon von Weitem ein Problem darstellen. Um solche Situationen zu vermeiden, müssen wir verstehen, wie Pferde denken. Wie sie lernen und die Welt um sich herum wahrnehmen. Wir müssen unser Tier aufmerksam beobachten und versuchen, Situationen aus der Sicht des Pferdes zu sehen. Wir müssen ihnen mit klaren Signalen auf Basis der Körpersprache verständlich machen, was wir von ihnen wollen. Nur so gelangen wir auf die Ebene der gemeinsamen Kommunikation.

Wenn wir in der Lage sind, dem Pferd unsere Welt in seiner Wahrnehmung verständlich zu vermitteln, können wir mit ihm gemeinsam wachsen. Wir gewinnen einen verlässlichen Partner in jeder Lebenslage – ob im Gelände oder auf einem Turnier. Behandeln wir sie hingegen weiterhin wie ein trotziges Kind, werden wir kein Team. Solange bleibt es unsere Welt, nicht ihre.

Justine Giolbas, Pferdetrainerin

05.09.2017

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