Pferdefütterung ohne Weide und Heu

- geht das?

Seit Jahrtausenden begleitet das Pferd den Menschen als Kulturfolger. Zuerst war es der Mensch, der den Pferden als Fleisch liefernden Jagdtieren folgte. Später in der Geschichte war es umgekehrt, das Pferd als Reittier, das nun auch selber als Jagdhelfer eingesetzt wurde, folgte dem Menschen. Es diente als Helfer im Krieg, in der Landwirtschaft, als Postbote und Zugtier und nebenbei immer schon als Sportgerät zum Vergnügen oder demonstrativem Luxus wie heute ein teures Auto.

So geriet es als Haustier auch in Regionen, die ihm als Steppentier eigentlich in Flora und Klima nicht angemessen sind. Die Menschen versuchten deshalb schon immer, für ihre Schützlinge Ernährungsformen zu finden, die sie unabhängig von der Umgebung arbeitsbereit erhielten, und das sogar ganz ohne moderne Fütterungsberater.

In den felsigen Höhen der Anden beispielsweise, bis zu 3500 Meter hoch und höher, wächst nur spärliches sehr kurzes oder überhaupt kein Gras. Die fruchtbaren Täler sind so eng, dass dort kein Platz für Weiden ist, weil dieses Land überlebenswichtig für den Nahrungsanbau des Menschen ist. Trotzdem gibt es dort viele Einhufer, besonders die typischen Paso Llanos, und auch ganze Eselherden. Letztere finden auch in kargen Andenhöhen noch ihr Auskommen, nicht aber die anspruchsvolleren Pferde. Wie also löst man das Ernährungsproblem, wenn es kein Weidegras und kein Heu gibt, also die essentiellen Futtermittel, ohne die eigentlich kein Pferd gesund bleiben kann?

Ich habe mich deshalb dort umgeschaut und fand eine interessante Fütterungsmethode, die es wert ist, beachtet oder sogar in Teilen übernommen zu werden. Ich habe als Tierärztin die Pferde begutachtet und geritten und fand außergewöhnlich gesunde, leistungsbereite Tiere vor, die auch im hohen Alter noch einsatzfähig waren. Das ist besonders erstaunlich, da sie viel Kraft brauchen, um in der dünnen Luft klettern zu können, was im Hochgebirge nicht ausbleibt, und das ohne Weide oder ein Gramm Heu. Auch die Hufe waren tadellos, ein Zeichen für einen ausgeglichenen Stoffwechsel, obwohl der Untergrund fast nur aus steinigem Geröll und Felsen besteht. Dieses Fütterungs-System funktioniert auch für die Zucht.

Die Pferde leben bei jedem Wetter unter freiem Himmel in Ausläufen mit Naturerde, Tränke und einem überdachten Unterstand mit langem Trog. Einen Leckstein habe ich nirgendwo gesehen, allerdings sind dort Erde und Wasser, das von den Gletschern kommt, sehr mineralreich (Na, Cl, S, Ca, Si u. a.).

Die Pferde bekommen vier Mahlzeiten am Tag: Zweimal täglich gibt man grünes langes Hafergras mit Körnern in Milchreife, also angebauten unreifen Hafer samt Stängeln, gelegentlich auch grünes entsprechendes Weizengras. Eine Mahlzeit besteht nur aus Möhren. Als weitere Mahlzeit werden eigens für die Pferde gezogene Gerstensprossen gereicht. Dabei werden Gerstenkörner zuerst in Eimern mit Wasser aufgequollen. Am nächsten Tag werden diese auf flachen Blechen ausgebreitet und im Dunkeln feucht vorgekeimt, bis sie ca. 1 cm lange weiße Sprossen haben. Danach kommen die „Backbleche“ in Regale, wo sie im Halbdunkeln weiter wachsen und leicht anfangen zu grünen. Sie werden dann dem Licht ausgesetzt und wachsen bis 15 cm Höhe. Die ganze Prozedur dauert je nach Temperatur 8 bis 10 Tage und muss deshalb in allen Stadien ständig als Nachschub dienen.

Die einzelnen Würzelchen der Gerstenkörner liegen eng und verfilzen im Wachstum unten miteinander, sodass zum Schluss ein weiß-grüner Kuchen entsteht, der zum Füttern in Tortenstück große Teile zerhackt wird.

Ärmere Bauernpferde müssen sich dort allerdings oft mit Haferstroh und grünen Maisblättern begnügen. Doch auch diese Pferde sahen wohlgenährt aus.

Dazu der tierärztliche Kommentar: Schon 1550 empfahl Federigo Grisone grünes Gerstengras, um „die Roß vor vielen Krankheiten zu bewahren“. Frische Sprossen sind wahre Vitalstoffbomben und die hochwertigste Nährstoffkonzentration, die in der Natur zur Verfügung steht. Sie bieten eine Fülle an Vitaminen, Aminosäuren, Mineralien, Spurenelementen, Pflanzenhormonen und ätherischen Ölen, dies alles in ausgewogener und naturgebundener Form im Gegensatz zu synthetischen Vitaminen, die Fertigfutter und Müslis künstlich zugefügt werden und deren Bedarf eigentlich niemand genau kennt. Wie Weidegras haben die Getreidekeime wertvolles Chlorophyll, dabei jedoch eine viel höhere enzymatische Aktivität, die für eine gesunde Darmflora sorgt. Vor dem Stadium der Knotenbildung haben sie
den höchsten Gehalt an Vitalstoffen. Zudem ist Gerstengras stark basisch, was eine säurearme, den Organismus entgiftende Ernährung unterstützt. Nicht umsonst gibt es sogar Menschen, die zur Gesunderhaltung oder Therapie Gerstengras als Saft oder Pulver zu sich nehmen.

Diese Information sollte aber nicht dazu verleiten, Pferden jetzt kein oder weniger Gras und Heu zu füttern. Im Gegenteil leiden viele Pferde in Europa an einer Unterversorgung mit Raufutter, weil Körnerfütterung schneller und sauberer zu verabreichen ist und weniger Platz beansprucht, aber den für Pferde lebenswichtigen Bedarf an Rohfaser nicht genügend abdeckt. Bei Sprossen und grünem Hafer handelt es sich jedoch ebenfalls um Gras, wenn auch in anderer, gehaltvollerer Art als Heu und nebenbei staubfrei. Wegen dieser Vorteile gibt es auch Länder, wo trotz Vorhandensein von Weiden und Heu zusätzlich Sprossen verfüttert werden, zum Beispiel auf französischen Vollblut-Gestüten. Eine sehr gesunde Fütterung, die der Überlegung lohnt, auch in Deutschland.
Also, gönnen Sie Ihrem Pferd ab und zu mal eine Handvoll Sprossen! Man kann diese fertig kaufen oder selbst anzüchten, sollte aber dabei auf Schimmelbildung achten.

Dr. med. vet. Vera Biber

05.09.2017

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