Der Huf als Selektionsfaktor

Wir können uns heute kaum noch vorstellen, welchen ungeheuren Belastungen die Beine der Pferde, vor allem aber ihre Hufe in früheren Jahrtausenden ausgesetzt waren. Seit nun schon 6.000 Jahren sind Pferde unsere engen Begleiter, ohne sie sind Zivilisation und Kultur nicht denkbar.

Die meisten mussten schuften, als Reittiere, vor Karren und Kutschen, vor Pflügen und Eggen, als Lasttiere, für die schnelle Beförderung von Botschaften, sogar unter Tage in Bergwerken.

Eine große Bedeutung hatten sie als Militärpferde, sei es vor Kampfwagen oder Kanonen oder für die Kavallerie. Im deutschen Kaiserreich standen dafür ständig 1.236.000 Pferde zur Verfügung.

Auch im Zweiten Weltkrieg, man möchte es heute kaum mehr glauben, erreichte die Zahl der im Deutschen Heer verwendeten Pferde 1943 eine Höhe von 1.380.000 Tieren. Insgesamt haben ca. 2.750.000 Tiere in diesem Krieg ihren Dienst getan.

Stellen Sie sich mal die Belastung für die Mongolenpferde auf den Eroberungszügen über tausende Kilometer im 12. und 13. Jahrhundert vor oder, aktueller, die Flucht der ostpreußischen Bevölkerung auf ihren Pferdewagen. 

Ein besonders berühmtes Beispiel für die schier unglaubliche Belastbarkeit eines Pferdes ist der legendäre Trakehnerhengst Julmond, der eine nach Westen geführte Stutenherde immer wieder umreiten musste. Er hat die Württemberger Zucht nachhaltig geprägt und dafür im Landgestüt Marbach ein Denkmal gesetzt bekommen.

  • Eines mussten alle diese Pferde mitbringen: starke Beine und extrem belastbare Hufe. Nichts war wichtiger als das.

Pferde sind Fluchttiere

Das Leben der Pferde war immer gefährdet. Als sie vor 850.000 Jahren über die Behringstraße nach Eurasien einwanderten, begegneten ihnen riesige Raubtiere: Hohlenlöwen, Höhlenhyänen, Höhlenbären, auch Säbelzahnkatzen und Wölfe, aber die kannten sie auch schon aus Amerika. Das schlimmste Raubtier aber war der Mensch, Homo erectus.

Den Pferden blieb nur die Flucht. Sie lernten laufen, so schnell wie kaum ein anderes Tier, auf vier Hufen mit nur jeweils einem Zeh, und damit optimal angepasst an diese lebenserhaltende Fähigkeit zu fliehen.

Schon eine geringe Schwäche an den Hufen, so dass ein Pferd seiner Herde nicht mehr folgen konnte, machten es zur leichten Beute. Es konnte keine Nachkommen mehr zeugen. Ein Selektionsprozess also über Millionen Jahre.

Als die Pferde domestiziert wurden, war dieser Selektionsprozess keineswegs beendet. Ganz im Gegenteil. Jetzt bekamen widerstandsfähige Hufe eine noch viel größere Bedeutung, denn die Anforderungen an ihre Belastbarkeit erhöhten sich um ein Vielfaches. Während das Wildpferd nur hin und wieder fliehen musste, hatten die Nutzpferde einen viele Stunden dauernden Arbeitstag zu absolvieren, und das ständig.

Zuchtziel: Gesunde Hufe

Pflügen, eine klassiche PferdearbeitStarke und pflegeleichte Hufe wurden zum Zuchtziel. Vor allem nach diesem Kriterium wurden die Zuchttiere ausgewählt. So wurde mehrere tausend Jahre lang erfolgreich gezüchtet. Starke Hufe waren eine Selbstverständlichkeit. Das galt bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Mit der Technisierung in der Landwirtschaft und im Verkehr schien die Geschichte der Pferde als wichtigste Haustiere beendet zu sein, und man sah sie schon als Ausstellungstiere nur noch im Zirkus und im zoologischen Garten.

Das hat sich als Irrtum herausgestellt. Die Pferde erlebten seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine beispiellose Renaissance, nun überwiegend als Freizeitpferde.

Die Lebensumstände dieser modernen Pferde haben sich mit ihren Aufgaben grundlegend geändert. Nicht mehr 8 bis 10 Stunden Dienst oder mehr, wie es früher üblich war, sondern in der Regel 22 bis 23 Stunden stehen, häufig auf kleinem Paddock oder gar in der Box, und nur noch 1 oder 2 Stunden Arbeit täglich, wenn man denn überhaupt von Arbeit sprechen kann.

Pferdehufe mit VollbeschlagDas entscheidende Selektionskriterium „extrem belastbare Hufe für ein langes Pferdeleben von 20 Jahren und mehr“ ist bei der Auswahl zum Zuchttier weitgehend weggefallen. Hufschwächen haben sich eingeschlichen, die es früher in diesem Umfang nicht gegeben hat und gar nicht geben konnte. Diese mangelhafte Selektion ist ein Grund, aber keineswegs der einzige, für die Hufschwächen. Auch die mangelhafte Versorgung mit Stoffen für die Hornbildung hat sich grundlegend geändert bzw. verschlechtert, z. B. mit Methionin, der schwefelhaltigen Aminosäure, die der Körper in Cys­tein umwandelt, den Hauptbestandteil des Hufhorns.

Optimal versorgt und ständig krank?

Angeblich sind Pferde heute optimal versorgt. Aber warum sind sie dann so häufig krank, warum gibt es so viele Hufprobleme? Sie sind eben nicht gut versorgt, sie sind unter- und überversorgt, sie werden vor allem nicht mehr artgerecht ernährt.
Haltung und Fütterung müssen endlich kritisch überprüft werden. Verantwortlich für die Schänden sind:

  1. die Landwirte, die Boxen, Weiden, Gras, Heu und Stroh bereitstellen und bei der Produktion vor allem auf Masse achten,
  2. die Hersteller von Fertigfutter, die am ehesten ihren finanziellen Erfolg im Auge haben, auch wenn immer wieder auf die Gesundheit der Pferde verwiesen wird,
  3. die Kleinzüchter, Gestüte und Zuchtverbände, die ihre Auswahlkriterien für die Zuchttauglichkeit überprüfen sollten,
  4. eine große Anzahl Tierärzte, wenn auch nicht alle, die ihr Management oft nur in der Verabreichung einiger Medikamente sehen,
  5. die Pferdehalter, die endlich wieder die Verantwortung für ihr Tier übernehmen müssen und sie nicht an die Futterhersteller, die Tierärzte oder auch die Hufschmiede und Huftherapeuten delegieren dürfen,
  6. nicht zuletzt die moderne Forschung an Universitäten, die mit ihrer oft eindimensionalen Fragestellung und Abhängigkeit von Geldgebern aus der Industrie monokausale Antworten produziert, wobei die Ganzheit des Organismus und damit das Leben selbst aus dem Blick geraten.

Klaus-Rainer Töllner, Biologe

01.09.2017

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