Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 8

Wann treten hohe Giftgehalte in Gräsern auf?

Vor einhundert Jahren mischte man Lolium perenne, besser bekannt unter seinen Namen Deutsches Weidelgras bzw. Englisches Raigras, als Lückenfüller in Grasmischungen, so wie auch Luzerne. Mit diesen Pflanzen versuchte man, schnell einen dichten, ertragreichen Bestand zu schaffen, der Unkrautsamen wenig Platz lassen und den eigentlichen Graslandpflanzen den Weg bereiten sollte. Weder Luzerne noch Deutsches Weidelgras hatten an den allermeisten Standorten langfristig eine Chance, sich zu halten: Sie verschwanden innerhalb weniger Jahre aus dem angesäten Grasland und überließen ihren Platz den standortangepassten Gräsern und Kräutern. Das war ihre Funktion als Lückenfüller.


Die heutige Situation ist eine völlig andere. Heute wird unabhängig vom Standort überall Deutsches Weidelgras als Wirtschaftsgras in Monokulturen genutzt. Und wo es einmal angesiedelt wurde, wird man es kaum wieder los. Schauen wir einmal genauer hin, was da geschieht.


Verbesserte Zuchtsorten

Heute müssen Zuchtsorten für ihre Anerkennung durch das Bundessortenamt hohe Kriterien erfüllen. Grundlage sind das Saatgutverkehrsgesetz und das Sortenschutzgesetz. Zur Zulassung gehört die Prüfung der Eigenschaften der Sorte über mehrere Jahre. Geprüft und registriert werden im Vergleich mit schon vorhandenen landwirtschaftlichen Sorten die Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit der neuen Erbkomponenten (siehe auch Sortenzulassung als Voraussetzung für den gewerblichen Vertrieb). Der Wert einer neu zuzulassenden Sorte wird aus ihren Eigenschaften beim Anbau, dem Ertrag, ihrer Qualität und ihrer Resistenz ermittelt.

Eine Infektion von Wirtschaftsgräsern mit Endophyten, die die Resistenz fördern, interessiert das Bundessortenamt nicht. Interessant sind Resistenzen, nicht jedoch, wie diese zustande kommen. Zwar weiß man beim Bundessortenamt, was ein Endophyt ist, aber der Infektionsgrad oder die Eigenschaften des Endophyten sind kein Kriterium für eine Zulassung.

Neue Sorten sollen besser sein, von höherem (ökonomischen) Wert als bereits vorhandene Sorten. Der Anbau neuer Weizensorten ergibt selten eine Produktionssteigerung höher als 2%. Das erzählte mir der Geschäftsführer einer Firma, die Saatgut produziert. Neue Grassorten dagegen können die Produktivität um bis zu 20% steigern. Diese Zahl würde jeden Landwirt überzeugen, versicherte er. Daher würden die Landwirte ihr altes Grasland durch neue Zuchtsorten ersetzen. Was weder Landwirte noch deutsche Grassamenproduzenten zur Kenntnis nehmen, ist die Tatsache, dass giftige Endophyten in besonders resistenten Zuchtsorten zu drastischen Verlusten in der Produktivität der Rinderhaltung führen können (s.  Hill, N.S.; Hiatt, E.E.; Bouton, J.H. & B. Tapper 2002).

Wann ist mit hohen Giftgehalten zu rechnen?

Im vorangegangenen Artikel haben wir versucht zu begreifen, in welchen Situationen ein Gras unter Stress leiden kann. Fruktane sind Stoffwechselprodukte, die Stress nur sehr ungenau widerspiegeln. Wirkstoffe, auch giftige, beispielsweise zur Abwehr von parasitären Pilzen, Insekten oder anderen Fraßfeiden, aber auch z. B. zur Bewältigung extremer Dürre, treten oft weit stärker situationsgebunden und in ihrer Wirkung spezifisch auf. Dabei sind bestimmte Situationen zu bestimmten (Jahres-) Zeiten gehäuft zu beobachten. Am besten untersucht und dokumentiert sind die Gräsergifte Ergovalin, Lolitrem B und (N-Acetyl-Nor-)Lolin.

Abb. 1: Gemessene Gehalte von Ergovalin und Lolitrem B in Weidelgrasbeständen an 7 Standorten in Australien im Jahresgang. Hohe Giftgehalte treten in Australien vermehrt gegen Ende der heißen Sommerdürre auf. Andere Witterung und andere Zuchtsorten lassen für Deutschland eine andere Verteilung der Messwerte bei ähnlicher Streuung erwarten. Messwerte für Ergovalin und Lolitrem B aus Europa liegen keineswegs niedriger als die hier dargestellten aus Australien. Grafiken verändert entsprechend der auf der Nordhalbkugel üblichen Darstellung nach Reed et al. 2001. 

Hohe Ergovalin-Gehalte im Gras und Futter

Da man im englischsprachigen Raum die Vergiftung durch Ergovalin auch als „Rohrschwingel-Vergiftung“ (Tall Fescue Toxicosis) bezeichnet, wird gerne übersehen, dass das Deutsche Weidelgras bei Infektion mit seinem Pilzsymbionten genauso als Ursache dieser Vergiftung in Frage kommt:

„Es sollte zur Kenntnis genommen werden, dass Deutsches Weidelgras ebenso erhöhte Gehalte an Ergovalin aufweisen kann, weshalb Deutsches Weidelgras ebenfalls Probleme verursachen kann, die mit Ergovalin sowie Lolitrem B in Verbindung gebracht werden.“ Zitat aus: Parsons & Bohnert 2003.

Aber nicht nur frisches Gras oder Heu können die Gifte dieser Gräser enthalten:

„Im Gegensatz zu gelegentlich geäußerten Ansichten werden die Gifte von Endophyten durch das Pelletieren nicht reduziert. Viehhalter sollten daher keine Samenspelzen füttern, wenn diese Grassamenreste nicht auf Alkaloide analysiert und/oder für garantiert endophytenfrei erklärt wurden.“ Zitat aus: Parsons & Bohnert 2003.

Daraus folgt: Infizierte Gräser bzw. ihre preisgünstigen Abfallprodukte aus der Grassamenproduktion, aus denen Pellets hergestellt werden, können zu hohen Giftgehalten in den Pellets führen. Die Ursache ist also nicht immer im Weideland oder im Heu zu suchen. Manchmal ist das Kraftfutter an der Vergiftung Schuld. Zudem ist in den Pellets nicht immer das drin, was der Kunde erwartet. Pellets aus angeblich artenreichen Dauergrasländern können mit Ackergras als Zwischenfrucht im Ackerbau gestreckt worden sein. Gräser können in Folge eines Durchwachsens der ehemaligen Vorfrucht im Luzerneanbau als Verunreinigung in „Luzerne-Pellets“ gelangt sein.

Auch im ökologischen bzw. biologischen Landbau können giftige Gräser auftreten. Dort sind besonders widerstandsfähige Pflanzen erforderlich, da ja auf Pestizide verzichtet wird. Statt Chemie von außen wird hier die rein natürliche Chemie von innen eingesetzt. Alte, seit 1931 verwendete Zuchtlinien der Rohrschwingel-Zuchtsorte „Demeter“ in Victoria/Australien waren mit giftigen Endophyten infiziert (Burnett 2006). Ich vermute, dass die Zuchtsorte „Demeter“ im biologisch-dynamischen Anbau Einsatz fand.

Symptome:

„Betroffene Rinder zeigen eine verringerte Futteraufnahme, einen gesteigerten Gewichtsverlust, raues Haarkleid, vermehrten Speichelfluss, Nervosität, verringerte Trächtigkeitsraten und eine erniedrigte Milchproduktion verglichen mit Rindern, die endophytenfreies Futter erhalten. Zudem kann eine verringerte Durchblutung der peripheren Gewebe zum Absterben von Gewebe an den Beinen (fescue foot), Schwänzen und Ohren führen. In schweren Fällen kann es zum Verlust von Hornkapsel und Schwanz kommen. Obwohl diese klinischen Symptome häufiger bei heißem Wetter beobachtet werden, können sie zu jeder Jahreszeit auftreten.“ Zitat aus: Parsons & Bohnert 2003.


Wir hatten in Teil 7 dieser Serie gesehen, welche Situationen für Gräser Stress sein können. Daraus folgt, dass im Frühjahr nach langanhaltender Dürre bei frostigen Nächten kombiniert mit warmsonnigen Tagen mit besonders hohen Ergovalingehalten zu rechnen ist. Symptome der Vergiftung treten außerdem im Winter nach plötzlichem Temperaturabfall auf, sowie im Sommer bei Dürre und Hitze. Eine scharfe Stickstoff-Düngung führt zu besonders hohen Ergovalingehalten in infizierten Gräsern.


Hohe Lolitrem B-Gehalte im Gras und Futter

Dürre und hohe Temperaturen führen zu hohen Lolitrem B-Gehalten in infizierten Gräsern. Die höchsten Gehalte werden daher meistens im Herbst gemessen. Stickstoffdüngung hat auf dieses Gift je nach Nutzungsintensität des Graslandes eine ganz unterschiedliche Wirkung. Sehr wenig genutztes Grasland zeigt nach Düngung erhöhte Giftgehalte, während intensiv genutzte Grasländer nach Stickstoffdüngung erniedrigte Lolitrem B-Gehalte aufweisen. Von Vergiftungen wird oft nach langer Sommerdürre mit dem Einsetzen warmen Regens berichtet, insbesondere, wenn die Tiere auf abgenagten grünen Ausläufen stehen.

Hohe Lolin-Gehalte im Gras und Futter

Im Frühjahr sind im jungen Gras quasi keine Lolin-Gehalte nachweisbar. Das ändert sich mit zunehmender Reife des Grases. Die höchsten Lolin-Gehalte werden zur Zeit der Samenreife gemessen. Das ist auch etwa die Zeit, in der Heu gemacht wird. Über Lolin-Gehalte in Heu ist nichts bekannt. Wie im Frühjahr, so sind auch im zarten Aufwuchs nach dem Heuschnitt die Lolin-Gehalte sehr gering. Bei erneutem Wachstum im Herbst steigen die Werte wieder an.

Die für eine Lolin-Vergiftung typischen Symptome werden in Deutschland besonders oft im Frühjahr (April) und noch häufiger im Herbst (September) beobachtet. Zu diesen Zeiten wächst wenig Gras aufgrund niedriger Temperaturen. Bedenkt man, dass kurz abgenagtes Gras leicht gestresst ist, und dass solche Vegetation und der Boden darunter der Witterung ungeschützt ausgesetzt sind (siehe Saatgut-Serie Teil 7), dann könnte ein erhöhter Lolin-Gehalt in gestressten Gräsern die Ursache von Symptomen wie Ödemen und Benommenheit sein.


Situationen hoher Selbstdüngung

Hohe Giftgehalte können durch Düngung entstehen. Diese Düngergaben müssen nicht von außen kommen. Es gibt Situationen, in denen Grasland eine deutliche, abrupte Selbstdüngung erlebt. Darauf hatte ich in Teil 7 („Gestresste Gräser – Wann wird es gefährlich?“) hingewiesen. Immer, wenn organisches Material unzersetzt liegen geblieben ist, kommt es mit der Wiederaufnahme der Zersetzung zu einer deutlichen Selbstdüngung.

Organisches Material sammelt sich an, wenn es zu trocken oder zu kalt für einen Abbau der toten Materie ist. Sobald es warm und feucht wird, werden die zersetzenden Organismen im Rohhumus aktiv und beginnen die toten Strukturen zu Nährhumus und pflanzenverfügbaren Stoffen abzubauen. Die Gräser reagieren mit einem Wachstumsschub, genau wie nach einer vom Menschen ausgebrachten Düngergabe. In dieser Situation können bedingt durch die Selbstdüngung höhere Giftgehalte im Gras auftreten.

Schnitt und neuer Aufwuchs

Giftige Aufwüchse gestresster, infizierter Gräser können fast immer problemlos an Wiederkäuer verfüttert werden, denn diese können viel besser entgiften als Pferde. Wer infizierte Grasländer nutzen muss, verkauft daher stark gestressten Aufwuchs im Zweifelsfalle besser an Rinder- und Schafhalter.

Der junge Aufwuchs nach dem Heuschnitt hat bei günstiger Witterung wieder erheblich niedrigere Giftgehalte. Für Zuchtpferde sind infizierte Grasländer grundsätzlich riskant. Die stundenweise Nutzung durch Sportpferde (2-3 Stunden pro Tag) ist meistens ohne äußerlich sichtbare Folgen möglich. Die Laborwerte von Leber und Niere entsprechen jedoch nicht immer dem äußeren Eindruck.

Welche Möglichkeiten Pferdehalter haben infizierte Gräser wieder loszuwerden, das sehen wir im nächsten Teil dieser Saatgutserie.


Dr. Renate Vaselow, Diplom-Biologin

Dieser Artikel ist Teil 8 unserer Serie über Saatgut - lesen Sie weiter:


Literatur

Burnett, V. (2006): Grasses for Dryland Dairying Tall Fescue: Species and Cultivars. – State of Victoria, Department of Primary Industries, Agriculture Notes, AG1241, ISSN 1329-8062.
Hill, N.S.; Hiatt, E.E.; Bouton, J.H. & B. Tapper (2002): Strain-specific monoclonal antibodies to a nontoxic Tall Fescue endophyte. Crop Sci., 42: 1627-1630.

Parsons, C.  & D. Bohnert (2003): Health Concerns with Feeding Grass-Seed Strow Residues. – Western Beef Committee. Cattle Producer´s Library. Animal Health Section. CL626.1-4.

Reed, K.F.M., N.M. McFarlane & J.R. Walsh (2001): Seasonal alkaloid concentrations in perennial ryegras dairy pasture. – Proceedings of the Australian Agronomy Conference, Australian Society of Agronomy.

05.09.2017

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