Saatgut für Pferdeweiden und Wiesen Teil 9

Giftige Grasbestände - was tun?

Wiese mit Zottigem Klappertopf im Schwäbisch-Fränkischen WaldFür jedes Problem hat die Natur eine Lösung – auch für gezüchtete Super-Ungräser? Die Pferdeweide kann uns als Modell für die globalen Auswirkungen der Züchtung robuster Nutzpflanzen dienen. Was mag uns blühen durch diese Geister, die wir rufen? Für den Umgang mit giftigen Super-Ungräsern sind verschiedene Szenarien denkbar, von denen einige bereits praktiziert werden. Welchen Preis zahlen wir für unseren Größenwahn, gottgleich die Schöpfung manipulieren zu wollen?

Kann man giftige Gräser zurückdrängen?

Ist es möglich, giftige Gräser durch Saatgut und gezielte Förderung anderer Gräser oder Kräuter zu verdrängen? Gibt es so etwas wie eine „Verdrängungssaat“?

Vor wenigen Jahrzehnten war Weidelgras tatsächlich nur auf Standorten langfristig zu halten, die ihm zusagten. Weidelgras braucht fruchtbare Böden und viel Feuchtigkeit, dazu ein mildes Klima. Ideal sind regenreiche, maritime Standorte mit fruchtbaren Böden wie in Leicestershire, England. Auf unfruchtbaren Böden, an trockenen Standorten oder an Standorten mit langen, harten Wintern (z. B. kontinentales Klima) braucht dieses Gras besondere Fähigkeiten, die ihm von seinen Partnern, den Endophyten, verliehen werden. Rohrschwingel findet man gerne auf nassen Standorten. Er erträgt sogar zeitweise Überstauung durch Wasser. Doch er kann auch an sehr trockenen Standorten ausharren, wenn er mit seinen Partnern infiziert ist.

Die Widerstandskraft der infizierten Gräser geht so weit, dass sie, einmal durch Ansaat etabliert, auch nach Aufgabe der Landwirtschaft und Renaturierung zum Zwecke des Naturschutzes auf unfruchtbaren Böden nicht durch die standorttypischen Wildgräser verdrängt werden können.Im Gegenteil: Infizierte Wirtschaftsgräser verhalten sich im Grasland anderen Pflanzen gegenüber wie invasive Neophyten. Mit giftigen Endophyten infizierte Wirtschaftsgräser werden durch intensive Beweidung, insbesondere bei Dürre, gefördert und ihre Bestandsanteile nehmen unter Beweidung allgemein durchschnittlich um 5% pro Jahr zu.

Gegenspieler pflanzliche Halbparasiten: Klappertöpfe

Eine Ausnahme bei der Verdrängung infizierter Gräser stellen die pflanzlichen Halbparasiten aus der Familie der Sommerwurzgewächse dar: Augentrost, Zahntrost oder Klappertöpfe parasitieren an Gräsern. Cheplick und Faeth (2009) schreiben über die Beziehung von Klappertopf (Rhinanthus) und Wiesenschwingel:

„Lehtonen et al. (2005b) fanden, dass von Endophyten produzierte Alkaloide auch von hemiparasitären Pflanzen abgesondert werden können. In experimentellen Studien an Wiesenschwingel (Lolium pratense [Anm. Vanselow: neuer Name für Festuca pratensis]) der mit Neotyphodium uncinatum infiziert war, zeigten sie, dass eine wurzelhemiparasitäre Pflanze (Rhinanthus serotinus) Alkaloide von ihrem Wirtsgras erwirbt. Die gestohlenen Alkaloide steigern die Widerstandsfähigkeit der hemiparasitären Pflanze gegenüber der generalistischen Blattlaus Aulacorthum solani. Der mutualistische Endophyt wird dadurch in Gegenwart des Hemiparasiten zum Parasiten, was durch reduziertes Wachstum des infizierten Grases angezeigt wird. Daher kann die Anwesenheit einer anderen Pflanzenart, in diesem Fall ein Wurzelhemiparasit, die Interaktion des Endophyten mit seinem Wirtsgras umkehren.“ Zitat aus Cheplick & Faeth 2009.

Der Klappertopf klaut also seinem Wirtsgras die wertvollen Wirkstoffe des Grasendophyten, mit denen der sein Wirtsgras schützen sollte. Das Gras füttert damit einen Endophyten UND einen pflanzlichen Parasiten durch, ohne irgendeinen Nutzen von seinem Pilzpartner, also dem Endophyten, zu haben.
Das schwächt natürlich das infizierte Gras. Im Beisein von Klappertopf wird also der Pilzpartner zur Belastung (Parasit).

Infizierte Gräser werden im Grasland aufgrund ihrer nun bestehenden Konkurrenzschwäche im Vergleich zu nicht infizierten Gräsern zurückgedrängt. Klappertopf wird übrigens weder frisch noch getrocknet vom Vieh gefressen.

Kleiner Klappertopf, Fruchtstand

Wer sie schüttelt, erkennt die Pflanze am Geräusch: Schwere kleine Samen klappern in den Samenkapseln.

Nutzt der Klappertopf die dem Gras geklauten Wirkstoffe in vollem Umfang so, wie sie sind, oder baut er sie teilweise um in eigene Stoffe? Dazu findet sich keine verlässliche Angabe – vermutlich hat das noch niemand untersucht. Die Klappertöpfe enthalten eigentlich ganz andere Wirkstoffe als infizierte Gräser. Die Europäische Giftdatenbank an der ETH Zürich (www.clinitox.ch) weiß über die Gifte der Klappertöpfe und den Anteil dieser Pflanzen im Gesamtbestand des Graslandes:

„Aucubin (Rhianthin). Ein Anteil von 1-2 % des Rhinanthus alecterephorus gilt als wertvoll, ab 3% (ca. 10 Pflanzen pro qm) als ertragsmindernd. Im Heu ist das Rhianthin nicht mehr wirksam (Briemle, 2000; Dietl & Jorquera, 2003).“ Zitat aus: http://www.vetpharm.uzh.ch

Zum Gift der als „wenig giftig“ geltenden Klappertöpfe selber finden wir in der Giftdatenbank:

„Das Rhinanthin kann eine Entzündung im Magen-Darm-Bereich verursachen, die Verdauung hemmen und zu Durchfall und Kolliken führen. Weiterhin kann es eine Entzündung des Zentralnervensystems und der Nieren bewirken, was sich mit Krämpfen und blutigem Urin äussert.“ Zitat aus: http://www.vetpharm.uzh.ch

Im Naturschutz macht man sich den Klappertopf inzwischen gezielt bei der Renaturierung ehemals intensiv bewirtschafteter Grasländer zu Nutzen: Man sät Klappertopf in das bestehende Gras ein. Die schweren Samen fallen durch den Bestand problemlos auf den Boden und keimen. Mit Klappertopf lässt sich die Vormachtstellung der Gräser innerhalb von nur einem Jahr brechen, so dass artenreiche Kräutermischungen aus regionalem Wildsaatgut (Regiosaatgut) eingesät werden können. Wer diesen Weg beschreiten möchte, möge bedenken, dass durch Klappertopf die Produktivität des Graslandes deutlich sinkt, zur Ernährung der Weidetiere also mehr Fläche oder zusätzliches Raufutter benötigt wird.

Wann ist Umbruch und Neustart von Grasland unvermeidlich?

Wenn Grasland giftig wird (s. Serie Häufige Giftpflanzen auf Pferdeweiden), dann zeichnet sich unter Nutzung die über Jahre langsam fortschreitende Infektion des Grasbestandes durch zunehmend beobachtete Symptome bei den Weidetieren ab. Wenn die Pferde nicht mehr länger als 2-3 Stunden pro Tag aufs Gras können ohne Symptome (wie etwa Hirsutismus) zu zeigen, dann ist für die meisten Pferdehalter ein Schwellenwert erreicht, der einen Umbruch und Neustart der Futterfläche unumgänglich macht.

Verdacht oder Tatsache? Infektion durch Analysen überprüfen

Der Pferdehalter kann seinen Verdacht recht einfach überprüfen. Das nicht blühende, blattreiche Gras (junger Aufwuchs, z. B. nach dem Schnitt) kann nicht vom parasitären Mutterkornpilz befallen sein. Lassen sich dennoch Mutterkorngifte (Ergotalkaloide) in diesem Gras nachweisen, dann ist dieses Gras mit giftigen Endophyten infiziert. Dabei kann es sich um Gras-Kernpilze („choke disease", Erstickungsschimmel) handeln. Auch die Endophyten unserer Wirtschaftsgräser (Neotyphodium) zählt man neuerdings zur Gattung der Gras-Kernpilze.

Der Pilzsymbiont unseres Deutschen Weidelgrases, bisher „Neotyphodium lolii“, heißt nun „Epichloe festucae var. lolii“, der des Rohrschwingels, bisher „Neotyphodium coenophialum“, heißt nun „Epichloe coenophiala“.

Zuverlässige Laboranalysen für einige typische Ergotalkaloide auch dieser Pilze führt z. B. das Labor Biocheck in Leipzig durch.

Wie startet man infiziertes Grasland neu?

Im ersten Teil dieser Saatgut-Serie stellte ich unter der Überschrift „Eine Frage des Saatguts“ einen Fall vor, in dem ein Holsteiner Wallach in einer Offenstallhaltung wegen Hufrehe durch Vergiftung eingeschläfert werden musste. Ich beendete den Bericht über den Vergiftungsfall mit den Sätzen: „Die kaum ein Jahr eingesäte Weide wurde umgepflügt und mit anderen Gräsern angesät. Seitdem wird sie problemlos beweidet.“ Wenige Wochen, nachdem der Artikel online gestellt worden war, wurde ich gebeten, mir die inzwischen sieben Jahre alte Grasfläche erneut anzuschauen: Es war ein leichter Fall von Hufrehe aufgetreten. Die Begehung ergab, dass mittlerweile zwischen 10 und 50% des Grasbestandes von Deutschem Weidelgras gebildet wurde. Das infizierte und vernichtete Gras hatte offensichtlich in Form von Samen und Wurzelresten überlebt und war im Laufe der Jahre erneut zu beachtlichen Anteilen am Bedeckungsgrad gelangt.

Aus diesem Grunde wird in Übersee oft empfohlen, vorsorglich alle 5 bis 10 Jahre das Grasland völlig neu mit nicht infizierten Saaten anzulegen bzw. jährlich bis zu einem Viertel der Fläche.

Grundsätzlich muss berücksichtigt werden, dass eine Verdünnung durch die Einsaat von Leguminosen (Weißklee, Roter Wiesenklee, Hornklee), wie es in der Rinderhaltung in den USA gerne praktiziert wird, in der Pferdehaltung ohne den gewünschten Erfolg bleibt. In der Rinderhaltung wird ein Infektionsgrad von 30% im Grasbestand toleriert. Pferde sind erheblich empfindlicher als Wiederkäuer. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Verdünnung giftiger Gräser in der Pferdehaltung zwecklos ist: Symptome der Vergiftungen treten bei Pferden schon bei sehr geringen Giftgehalten und Infektionsgraden im Bestand auf (Cross 1997).

Die meisten Empfehlungen zur Erneuerung des Graslandes basieren auf Herbiziden und Umpflügen der Flächen, sowie auf extrem dicht wachsendem, andere Gewächse erstickendem Ackerbau (Futteranbau), der möglicherweise überlebenden infizierten Gräsern keine Chance lässt. Derart erdrückende Bestände sollten mindestens ein, besser zwei Jahre bestehen bleiben.

Da infizierte Gräser sich über Samen ausbreiten, sollten infizierte Bestände auf keinen Fall absamen dürfen. Für Wiederkäuer wird empfohlen, den infizierten Bestand immer im Schossen zu nutzen (Kurzumtriebsweide) und weder blühende noch extrem tief abgefressene Bestände (Stress) entstehen zu lassen. Auch das Rinderfutter sollte vor der Blütenbildung gemäht werden, da die Blüten besonders hohe Giftgehalte aufweisen.

In den USA werden drei unterschiedlich aufwändige und erfolgreiche Methoden praktiziert:

Schnellste aber unsicherste Methode

Ab Frühjahr jede Samenbildung unterbinden. Im Spätsommer den Bestand mit Herbiziden zweimal hintereinander im Abstand von einer Woche totspritzen. Danach Neuansaat mit endophytenfreiem Saatgut. Bis zu 50% des infizierten Grases kann bei dieser Methode erneut durchwachsen.

Gemischte Methode (auch bekannt unter „spring killing, summer rotation and fall seeding“ oder „spray – smother – spray recipe“)

Grasbestand vor der Samenbildung totspritzen. Fläche umpflügen. Sommerfrucht pflanzen. Im Herbst erneut durchwachsendes infiziertes Gras totspritzen. Danach endophytenfreies Saatgut säen. Die Chancen, giftige Gräser abzutöten, sind bei dieser Methode besser.

Gründlichste aber langwierigste Methode

Im späten Sommer oder zeitigen Frühjahr Bestand mit Herbizid totspritzen. Über Winter eine einjährige Ackerfrucht pflanzen (Wintergetreide o. ä. dicht wachsende Bestände). Düngung im Frühjahr. Im Spätsommer oder Herbst falls nötig (durchwachsende infizierte Gräser) erneut mit Herbiziden totspritzen. Danach Ansaat endophytenfreier Gräser.

Für alle drei Methoden gilt grundsätzlich:

Pflügen oder Herbizide sind umso erfolgreicher, wenn man danach wartet, bis es erneut grünt, und die Maßnahme dann wiederholt. Im Ökolandbau wird manchmal mit Abstand dreimal hintereinander gepflügt, um besonders stark verunkrautete Flächen ohne Herbizideinsatz von den unerwünschten Gewächsen zu säubern. Je länger der Ackerbau anhält, desto gründlicher werden giftige Gräser (Wurzelreste, Samen) vernichtet. Statt einer Ansaat könnte auch eine Saatgutübertragung den neuen Bestand starten.

Die Fuchsschwanz-Heuwiese

Es gibt einen Weg, infizierte Grasländer ohne Umbruch oder Herbizideinsatz in eine nicht infizierte Heuwiese zu überführen, wenn der Boden fruchtbar und frisch (feucht) ist. Wiesen-Fuchsschwanz liebt feuchte, nährstoffreiche Böden und ergibt bei maximal zweischüriger Mähnutzung ein hervorragendes Pferdeheu. Zudem wächst er bei reichlicher Mistdüngung über 120 cm hoch und sehr dicht. Ein produktives Gras, das eine hohe Ernte abwirft. Gerne darf er mehrmals im Jahr mit Mist versorgt werden, um die Wüchsigkeit zu erhalten.

Wiesen-FuchsschwanzDa Wiesen-Fuchsschwanz so dicht und hoch wächst, kann er andere Gräser und Kräuter im Laufe der Jahre komplett erdrücken. Gut mit Mist versorgte Flächen, die nicht zu früh gemäht werden, entwickeln sich oft ganz von alleine zu Fuchsschwanz-Monokulturen. Da dieses Gras deutlich früher im Jahr als die meisten anderen blüht, hat es zum Schnittzeitpunkt oft bereits kräftig Samen verloren. Später Schnitt fördert daher seine Dominanz im Bestand.

Man kann Wiesen-Fuchsschwanz problemlos in bestehende Grasländer einsäen. Die jungen Pflanzen entwickeln sich erst im zweiten oder dritten Jahr kräftiger. Der Fuchsschwanz ist also sozusagen ein „Spätzünder“. Wenn ihm die Fläche zusagt, legt er dann aber auch los.

Was Fuchsschwanz nicht mag, ist neben Trockenheit und Nährstoffmangel die Beweidung. Wiesen-Fuchsschwanz ist nicht weidefest. Das bedeutet, dass ständiges Verbeißen und Betreten ihn schwächt und verdrängt. Damit ist auch gesagt, wie aus Fuchsschwanz-Monokulturen in kurzer Zeit auch ohne Klappertopf artenreichere Bestände geformt werden können.

Falls eine Fläche aus Wiesen-Fuchsschwanz aus einem vormals giftigen Grasbestand entstanden ist, können jedoch noch Reste giftiger Gräser vorhanden sein. Dann könnten sich diese unter Beweidung innerhalb kürzester Zeit wieder ausbreiten. „Mal eben schnell“ mit Fuchsschwanz als Heugras infizierte Weidelgrasflächen ersetzen und danach „schnell mal eben“ wieder beweiden, funktioniert nicht. Wer diesen Weg beschreiten möchte, der sollte nicht in Jahren rechnen, sondern in Jahrzehnten.

Weidehygiene hält giftige Endophyten fern

Es gibt ein paar einfache Verhaltensregeln, mit denen man unbeabsichtigte Infektionen von gesundem Grasland mit giftigen Endophyten vermeiden kann. Diese Regeln stammen überwiegend aus der landwirtschaftlichen Beratung in den USA und sind ganz sicher sinnvoll:

  • Keine Fütterung von Heu oder Silage möglicherweise infizierter Gräser auf den eigenen Weideflächen. Die Endophyten werden über die Grassamen weiter gegeben. Die Samen aus Heu und Silage sind keimfähig und können giftige Endophyten einschleppen.
  • Tiere, die auf infizierten Flächen geweidet haben, dürfen nicht sofort auf nicht infiziertes Gras gelassen werden. Ihr Dung enthält gefressene Samen, die durchaus noch keimfähig sind. Es dauert mindestens 2-3 Tage, bis das samenhaltige Futter den Verdauungstrakt passiert hat. So lange sollten die Tiere auf einer kontrollierten Fläche stehen (abäppeln!), bevor sie in das nicht infizierte Gras gelassen werden
  • In den Hufen sammelt sich nicht nur Erdreich. Auch Samen werden von den Tieren mit ihren Hufen und Klauen übertragen. Das gilt auch für Schuhsohlen oder Treckerreifen. Daher sollen infizierte Flächen keine direkte Verbindung (Treibwege, Weidetore) zu nicht infizierten Flächen haben.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen können giftige Endophyten übertragen werden, wenn in der noch nicht infizierten „Empfängerfläche“ die entsprechenden Wirtsgräser (Weidelgräser und Schwingel) vorkommen. Die Übertragung kann z. B. durch Getreideblattläuse während des Saugvorgangs geschehen, oder durch Wühlmäuse, die die Wurzeln der Gräser in unterirdischen Gängen als Vorrat lagern und so die Gräser aus Fläche A in einer direkt benachbarten Fläche B ansiedeln.

Ich persönlich bin davon überzeugt, dass die wirtschaftlich interessanten Weidelgräser und Schwingel in der Pferdehaltung nicht benötigt werden. In Deutschland stehen uns genug andere heimische Grasarten für alle Standorte zur Verfügung. Wo keine Wirtsgräser vorkommen, können auch ihre giftigen Endophyten nicht leben. Daher plädiere ich für Saatgutrezepturen speziell für Pferdehaltungen, die frei sind von diesen Wirtsgräsern.

Wo infizierte Flächen vorhanden sind und genutzt werden müssen, sollte die Gräserblüte und Samenbildung unbedingt verhindert werden. Solche Flächen dürfen auf keinen Fall überweidet werden, insbesondere nicht bei Sommerdürre. In Stresssituationen ist genau zu beobachten, ob besonders empfindliche Tiere quasi als „Indikatoren für Gifte“, die sie aufgrund ihrer genetischen Disposition oder vorhandener Stoffwechselanomalien nicht vertragen können, verdächtige Symptome zeigen. Falls Symptome auftreten oder die Witterung gefährliche Stressreaktionen der Gräser erwarten lässt, sollten alle Tiere vorsichtshalber von dieser Fläche genommen und auf eine nicht infizierte Fläche oder ein Paddock mit Heufütterung gebracht werden.

Im Gegensatz zu Übersee, wo unsere heimischen Gräser als importierte Wirtschaftgräser in Form von resistenten Zuchtlinien eingesetzt werden, haben wir hier bei uns auch die für die Selbstregulation des Graslandes notwendigen Gegenspieler dieser Gräser und ihrer Endophyten. Sie sind wie die Immunabwehr eines Körpers zu verstehen. Diese Gegenspieler sind neben der Konkurrenz durch andere heimische Gräser und Kräuter vor allem die pflanzlichen Halbparasiten (siehe oben: Klappertöpfe), die gezielt den Infektionsgrad der Gräser reduzieren und die Vormachtstellung der Gräser im Bestand brechen können.

Bewahren statt säen

Wer nicht begreift, warum der Gebrauch von Saatgut ein Beweis dafür ist, dass nicht nachhaltig und ordnungsgemäß gewirtschaftet wurde, der braucht von artgerechter Haltung auf naturnahem Grasland nicht zu träumen. Giftige Endophyten werden rücksichtslose Ausbeuter, allen voran leider fast immer Pferdehalter, langfristig aus dem Grasland verdrängen.

Wenn wir weiterhin rücksichtslos intensivieren und dazu widerstandsfähigste Gräser erzeugen, besteht die Gefahr, dass die Pferde in Zukunft in Paddock-Haltungssystemen mit Raufutter leben müssen. Falls nicht nur das frische Gras, sondern auch das Heu der Zukunft für Pferde zu hohe Wirkstoffgehalte aufweist, bleibt schließlich nur die traditionelle heufreie Ernährung mit Futterstroh und dosierten Mengen von Leguminosenheu (Kleearten, Luzerne, Esparsette, Seradella).

Artgerechte und naturnahe Pferdehaltung (siehe Serie über Polnische Koniks) ade? Frei lebende Koniks im Naturschutzgebiet Schäferhaus.

Giftige Endophyten sind ähnlich gefährlich wie multiresistente Krankenhauskeime!

Einmal eingeschleppt, sind giftige Endophyten nicht kontrollierbar. Wo ihre Wirtsgräser wachsen, können sie zum permanenten Risiko werden, da niemand weiß, ob und wann diese Gräser infiziert werden. Ist eine Infektion mit besonders giftigen Endophyten erst einmal eingetreten, dann ähnelt die Situation der eines Patienten, der sich einen multiresistenten Krankenhauskeim zugezogen hat: Eine gezielte Bekämpfung ist nicht möglich, nur eine Stärkung der Widerstandskraft des Patienten und die Vermeidung von Stress.

Übertragen auf unser Grasland bedeutet das, dass wir artenreiche Grasländer für unsere Pferde benötigen, in denen jede Pflanzenart ihre Funktion als Teil des Ganzen übernimmt und ausfüllt. Pflanzliche Halbparasiten wie die Klappertöpfe sind kein Luxus der Artenvielfalt, sondern dienen dem uralten Mechanismus der Selbstregulation unserer heimischen Grasländer, vergleichbar der körpereigenen Immunabwehr. Einmal mit besonders gefährlichen Endophyten infizierte Bestände dürfen nicht gestresst werden, damit infizierte Gräser nicht die Oberhand gewinnen.

Artgerechte oder gar naturnahe Pferdehaltung ist ohne Weidelandschaften nicht denkbar. Artenreiches Grasland kann in Deutschland nur erhalten bleiben, wenn wir aufhören, ständig und überall - ob durch Ansaat von Zuchtgräsern, Wildgräsern oder Saatgutübertragung - die Ausbreitung giftiger Endophyten zu fördern. Zerstörung traditionellen Dauergraslandes ist nicht einfach wieder gutzumachen.

Welchen Preis zahlen wir für die Züchtung multiresistenter „Nutzpflanzen“? Im Prinzip züchten wir da selber die Resistenz gegen „menschgemachte Übernutzung“. Wir reduzieren durch diese Superpflanzen also unsere eigene Besiedlungsdichte auf diesem Planeten. Werden Super-Ungräser und giftige Nutzpflanzen das Ende „produktiver“ Monokulturen und der Massenvermehrung des Menschen sein? Wie wird die Landwirtschaft der Zukunft aussehen, wenn die Pflanzen gegen uns aufrüsten, quasi immun gegen den invasiven Neozoon Mensch werden?

Dr. Renate Vanselow, Diplom-Biologin

Dieser Artikel ist Teil 9 unserer Serie über Saatgut - lesen Sie weiter:

Literatur


Cheplik G.P. & S.H. Faeth (2009): Ecology and Evolution of the Grass-Endophyte Symbiosis. - Oxford University Press, pp. 241.

Cross, D.L. (1997): Fescue toxicosis in horses. In: C.W. Bacon & N.S. Hill (eds.), Neotyphodium/Grass Interactions, Plenum Press – New York: 289-309.

05.04.2017

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