Häufige Giftpflanzen auf der Weide II

Teil 2 - Symptome und Verdächtige

Pferdeweide

Teil 1 der Artikelserie finden Sie hier: Häufige Giftpflanzen auf der Weide Teil 1

Betrachten wir nun häufige Symptome, die im Zusammenhang mit Giftpflanzen auf Weiden auftreten können, und die "üblichen Verdächtigen" unter den Pflanzen.

Hufrehe

Hufrehe (Laminitis, Klauenrehe) ist eine Erkrankung, die von Graukresse ebenso wie von Robinie (Falsche Akazie, Akazienholz) ausgelöst werden kann.

Graukresse (s. Abbildung rechts) ist auf Graukresseleichten, zur Trockenheit und Versteppung neigenden Böden beispielsweise in Ostdeutschland ein Problem.

Bei der Robinie ist insbesondere die Rinde giftig, weshalb ungeschälte Weidezaunpfähle riskant sind. Bauholz aus Robinie im Pferdestall kann tödlich für Pferde sein.

Weniger bekannt ist, dass Ergotismus, also die Vergiftung mit Mutterkorngiften, zu dramatischen Durchblutungsstörungen speziell an Extremitätenenden führt. Durch diese Durchblutungsstörungen kommt es zum Absterben von Gewebe und in der Folge zum Verlust von Fingernägeln, Krallen oder Klauen/Hufen (komplettes Ausschuhen der Hornkapseln).

Böden, die zur Versteppung neigen, sind für Pionierpflanzen wie Graukresse und Robinie attraktiv. Futtergräser geraten dagegen auf solchen Standorten massiv unter Streß – und reagieren auf diesen für sie ungeeigneten Standort manchmal mit besonders hohen Giftgehalten. Standortangepasste Wildgräser sind nach heutigem Dafürhalten dagegen wirtschaftlich uninteressant.

Ödeme

Manche Pferde bekommen beim Grasen auf abgenagten Pferdeweiden Schwellungen (Ödeme) im Bereich des Kopfes und Halses, seltener des Unterbauches. Besonders die Ohrspeicheldrüsen schwellen an. Oft sind die Tiere teilnahmslos, manchmal erinnert die Symptomatik an einen anaphylaktischen Schockzustand. Die meisten Schwellungen werden im April und im September gemeldet.

Jakobs-Kreuzkraut

Die Tierärztliche Hochschule Hannover verdächtigte als Ursache für diese Schwellungen im November 2007 bei einer Tagung in Leipzig verschiedene Kräuter wie beispielsweise Beifuß, Ferkelkraut, Jakobs-Kreuzkraut, Kleinen Sauerampfer oder Löwenzahn. Diese Kräuter waren auf den untersuchten Flächen besonders zuverlässig anzutreffen. Sie alle füllen gerne Lücken auf, insbesondere in überweideten Flächen.

Zwei Jahre später, im Dezember 2009, wurde erstmals das „Equine Schwingelödem“ als Todesursache von Pferden in Australien beschrieben und die Giftigkeit der Loline für Pferde in Futtergras nachgewiesen. Rinder und Schafe zeigten keine Symptome, während Ödeme auch an den Darmwänden bei den Pferden teilweise zum tödlichen Darmverschluss führten. Die Namensgebung „Lolin“ wurde nach der Pflanzengattung gewählt, in der diese Wirkstoffe erstmals nachgewiesen wurden: Lolium (Weidelgräser, alte Bezeichnung: Lolche).

Angelaufene Beine und Hautentzündungen an den Fesseln

Wenn Pferde auf der Weide dick angelaufene Beine und schwer heilende Hautentzündungen an den Fesseln aufweisen, kann eine Trifoliose, also eine Vergiftung durch Klee vorliegen. Oft heißt es dann, das Futter sei „zu eiweißreich“. Mehr als 30 % Kleeanteil im Gesamtaufwuchs gilt als Grenzwert.

Angelaufene Beine und Hautentzündungen sind gleichzeitig Symptome der Mutterkornvergiftung durch Endophyten. Massenaufwüchse an Klee entstehen bei Überweidung und gleichzeitigem Nährstoffungleichgewicht des Bodens: Wenn vormals gedüngte Böden nicht mehr gedüngt werden, sinkt zuerst der Stickstoffgehalt, dann der Kaliumgehalt, während Phosphor nicht verlagert wird. Klee kann sich im Gegensatz zu Gräsern über seine Wurzelknöllchen selber mit gebundenem Luftstickstoff versorgen und hat so einen Konkurrenzvorteil. Je intensiver das Gras kurz gefressen wird, desto einfacher kann der Klee sich breit machen. Konkurrenz und Nährstoffmangel sind für die Gräser Stress und können erhöhte Giftgehalte bewirken.

Taumeln, gestörter Bewegungsablauf

Verschiedene Pflanzen führen bei Weidetieren zu Nervenstörungen mit beeinträchtigten Bewegungsabläufen und taumelndem Gang. Die „Taumelkrankheit“ wird oft auf Sporenpflanzen zurückgeführt, speziell auf den Duwock (Sumpf-Schachtelhalm) und den Adlerfarn.

Neben diesen Giftpfanzen kommt auch Weidelgras als Ursache der Taumelkrankheit in Frage. Schachtelhalm übt im Ökosystem die Funktion einer Mineralpumpe aus: Wenn der Oberboden an Nährstoffen extrem arm ist, können diese Tiefwurzler wertvolle Mineralien aus der unbelüfteten Tiefe des Bodens an die Oberfläche befördern. Das Gras wächst an solchen Stress-Standorten schlecht, der Schachtelhalm üppig. Der Humus aus dem mineralreichen Schachtelhalm ist oft der Dünger, der Bodenorganismen und Pflanzen ein Leben auf extremen Böden ermöglicht.

Schleimhautentzündungen, Koliken, Wiesendermatitis und zentralnervöse Störungen

Diese Symptome werden verschiedenen Hahnenfuß-Arten zur Last gelegt. Die höchsten Giftgehalte treten zur Blütezeit auf. Lufttrocknung verringert die Giftgehalte im Heu so stark, dass keine Vergiftungen mehr zu befürchten sind.

Der Kriechende Hahnenfuß als Zeiger für Bodenverdichtung und daraus resultierende Staunässe tritt bei schweren Beweidungsfehlern massenhaft auf. Er gilt als weniger giftig als der Scharfe Hahnenfuß, der feuchtes Grünland liebt und reichlich Lücken zur Keimung nutzt, wenn schwere Weidetiere zu Zeiten ins Grünland gelassen werden, in denen der weiche Boden nicht tragfähig ist. Feuchtgrünländer sind vorzugsweise Mähflächen und können oft nur am Ende trockener Sommer kurzfristig von Pferden betreten werden, soll im Folgejahr kein gelbes Wunder blühen.

Die höchsten Giftgehalte finden sich im Gifthahnenfuß, der in Gräben und an Ufern wächst. Nur wenn der Bagger oder die Hufen seine Konkurrenz, die Gräser, vernichten, kann er vorübergehend die Regie übernehmen – bis er wieder überwachsen wird und seine Samen auf die nächste Chance warten.

Wenig bekannt ist, dass auch Mutterkorngifte Schleimhautentzündungen, Koliken, Hautentzündungen und Nervenstörungen verursachen. Chronischer Missbrauch mutterkornhaltiger Migräne-Medikamente verursacht schlimme Magen- und Darmgeschwüre.

Aufnahme von Gerbsäuren und Bodenlecken

Manchmal kann man Pferde auf den Weiden dabei beobachten, wie sie nicht nur herabgefallene Eicheln fressen, sondern gezielt die Fruchtbecher der Eicheln aufnehmen. Die Fruchtbecher haben besonders hohe Gerbsäuregehalte, höher als in den Eicheln. Otfried Lengwenat hat ein Heft geschrieben mit dem Titel "Was braucht mein Pferd? Ein Ratgeber zur praktischen Fütterung". In dem Heft schreibt er über Eicheln in der Pferdefütterung u. a., dass die Menge 10% des Krippenfutters nicht übersteigen sollte und Fruchtbecher aufgrund der hohen Gerbsäuregehalte nicht mitgefüttert werden dürfen.
EichenrindeAuf die Trocknung sei besonderer Wert zu legen, denn verdorbene Eicheln könnten zu schweren Gesundheitsschäden führen. Die Nährwertanalyse gibt er folgendermaßen an: Zuckergehalt ca. 3%, Rohprotein ca. 44%, wobei die Verdaulichkeit von Eiweiß bei Eicheln laut Lengwenat bei ca. 0% liegt, Futterwert ca. 7 MJ verdaulicher Energie. Pferde, die gezielt Gerbsäuren aufnehmen, behandeln dadurch möglicherweise ein bestehendes Durchfallproblem.

Eichen- und Ulmenrinde werden traditionell als Mittel gegen Durchfall eingesetzt – und bewirken bei Überdosierung selbstverständlich Verstopfung. Falls keine Verstopfung (bzw. Kolik) zu beobachten ist und das Tier große Mengen Gerbsäuren fressen möchte, dann erscheint es sinnvoll nachzuforschen, was das Tier damit möglicherweise kompensiert.

Manchmal lecken solche Pferde zudem am Boden. Das Bodenlecken wird häufig an tonigen, lehmigen oder humosen Böden beobachtet. Solches Verhalten kann – bei angemessener Mineralversorgung der Tiere – eine gezielte Aufnahme von Giftbindemitteln (Tonmineralien, Huminsäuren) sein. Gräsergifte können Durchfall und Koliken auslösen.

Da Ergotalkaloide und Lolitreme bei der Lufttrocknung im Heu innerhalb von Wochen und Monaten verringert werden, ist Heu meistens arm an Gräsergiften – was für Silage leider nicht gilt. Treten bei Silage- oder seltener bei Heufütterung neben Verdauungsstörungen auch dicke Beine und Hautentzündungen an den Fesseln oder gar Lahmheit auf, dann könnte die beobachtete Aufnahme von Gerbsäuren und Giftbindelmitteln aus dem Boden eine gezielte Selbstbehandlung durch das Pferd sein.

Wesensveränderung, Rauschzustände

Gelegentlich benehmen sich Pferde nach dem Grasen sehr seltsam und zeigen ein völlig verändertes Wesen. Der ruhige, zuverlässige Partner scheint unsichtbare Gespenster zu sehen, starrt in der Gegend rum und fürchtet sich. Bei manchen Pferden zeigt sich dieses seltsame Verhalten nach einem Stallwechsel und geht bei einem erneuten Wechsel wieder weg. Manche Pferde werden vorübergehend unreitbar und im Umgang lebensgefährlich.

Halluzinationen und extreme Schreckhaftigkeit können von unterschiedlichsten Giftpflanzen und Giftpilzen ausgelöst werden. Können derartige Gewächse im Bereich der Weide gefunden werden? Wurden sie angefressen? Wenn nichts zu finden ist, dann können auch die ganz normalen psychoaktiven Gräsergifte die Ursache der Wesensveränderung sein. Statt sich von seinem „bekifften“ Partner zu trennen, könnte ein einfacher Futterwechsel dann die Lösung des Problems sein.

Head-Shaking

Zu den Problemen, die zur Unreitbarkeit führen können, gehört auch das sogenannte „Head-Shaking“. Es gibt unzählige mögliche Ursachen für diese heftige Reaktion der Pferde, von Verletzungen der Nerven bis hin zu Allergien. Wenig bekannt ist, dass Gräsergifte aus der Gruppe der Lolitreme bei Rindern, Hirschen und Alpakas nachweislich Head-Shaking auslösen können. Bei Alpakas und Hirschen ist diese Diagnose weit ernster als beim Pferd, denn bei diesen Tieren führen die Gifte zu bleibenden Nervenschäden, weshalb im Falle der Vergiftung geraten wird, die betroffenen Tiere zu erlösen.

Auf abgenagten Ausläufen ist die Gefahr besonders hoch, speziell wenn nach lange anhaltender Dürre das Graswachstum wieder einsetzt.

Extremer Speichelfluß

Wenn Pferde auf der Weide mit starkem Speichelfluß aufgefunden werden, gelten Saponin-haltige Pflanzen wie die Roßkastanie, Efeu oder das Seifenkraut als verdächtig. Auch Schmetterlingsblütler wie der Rotklee kommen in Frage, wenn sie mit dem Pilz Rhizoctonia leguminicola infiziert sind, der das Pilzgift Slaframin enthält.

Auch das Endophytengift Ergovalin in mit Neotyphodium-Pilzen infizierten Futtergräsern kann massives Speicheln auslösen.

Weidebedingter Hahnentritt

Selten, aber doch weltweit diskutiert werden Nervenstörungen bei weidenden Pferden, die sich durch einen vorübergehenden Hahnentritt (Zuckfuß, engl.: stringhalt) bemerkbar machen. Fast alle Pferde erholen sich vollständig nach Futterwechsel. Verantwortlich gemacht wird das Ferkelkraut, da es oft gefunden wird, wo dieses Problem auftritt.

Ferkelkraut

Zwar ist nicht klar, welcher Inhaltsstoff die Nervenstörung auslösen könnte. Bei einem einzigen Fütterungsversuch gelang es, bei einzelnen Pferden Nervenstörungen auszulösen. Leider war der Veröffentlichung nicht zu entnehmen, ob das verfütterte Ferkelkraut von der verdächtigen Fläche verunreinigt war durch Anteile von Weidelgras.

Nervenstörungen durch Lolitreme in Weidelgräsern sind hinlänglich bekannt. Dort, wo Ferkelkraut auf Weideflächen massenhaft auftaucht, „scheiden sich die Gräser“: Auf sehr gut nährstoffversorgten Flächen, die für moderne Futtergräser und Löwenzahn ideal sind, ist das Ferkelkraut nicht konkurrenzfähig. Ebenso weicht es auf sehr nährstoffarmen Flächen, auf denen sich das Mausohr-Habichtskraut und Ruchgras ansiedelt.

Das bedeutet: Dort, wo Ferkelkraut gute Voraussetzungen findet, geraten moderne Futtergräser wie das Weidelgras unter Stress – ihnen gehen die Nährstoffe aus. Gestresste Gräser können aber durch hohe Giftgehalte auffallen.

Zyanose

Gefürchtet wegen der plötzlich einsetzenden lebensgefährlichen Situation, aber glücklicherweise extrem selten, ist die Zyanose durch Vergiftung. Blau gefärbte Schleimhäute zeigen das Ersticken durch sauerstoffarmes Blut an. Typisch für diese Vergiftung sind (meistens kurzzeitig und vorübergehend, selten dauerhaft aufgenommene) blausäurehaltige Pflanzen. Verdächtigt werden üblicherweise Kleearten, Traubenkirschen oder auch zarte, junge Grasaufwüchse, beispielsweise der Schwaden.

Obwohl Pferde normalerweise blausäurehaltige Pflanzenteile meiden, kann es in besonderen Situationen zu Vergiftungen kommen. So ist Arbeitspferden im Wald bei der Rodung der eingeschleppten Nordamerikanischen Traubenkirsche vorsichtshalber ein Drahtmaulkorb aufzusetzen. Es ist vorgekommen, dass hungrige Zugpferde bei der anstrengenden Arbeit leider doch irgendwann nach den Blättern und Zweigen langten, so dass tatsächlich eine lebensbedrohliche Vergiftung durch Traubenkirschen mitten im Wald behandelt werden musste.

Ahornsamen und -keimlinge können ein Gift namens Hypoglycin enthalten, das ebenfalls zur Zyanose führen kann – zumindest theoretisch. Zu diesem Thema hat die artgerecht bereits reichlich Informationen auf ihre Seite eingestellt (siehe Atypische Weidemyopathie und Neues zur Atypische Weidemyopathie).

Durch ihre gefäßverengenden Eigenschaften sorgen natürlich auch die Mutterkorngifte der Endophyten in unseren Futtergräsern dosisabhängig für eine Zyanose (Suchbegriff: "fescue foot").

Fazit

Wir müssen uns merken, dass allein die Anwesenheit eines Zeugen am Tatort nicht zwangsläufig bedeutet, dass dieser Zeuge der Täter war. Manchmal wird der Täter einfach übersehen, weil er so „unschuldig“ und „völlig harmlos“ daherkommt.

Dr. rer. nat. Renate Vanselow, Dipl.-Biologin


04.09.2017

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